12.04.2024

Die Europawahl 2024: eine Chance für mehr Jugendbeteiligung

Nutze deine Stimme! Zitat: Für unsere demokratische Zukunft ist es unerlässlich, junge Menschen zu befähigen, aktiv und informiert an der Wahl teilzunehmen.

Zum ersten Mal können in Deutschland junge Menschen ab 16 Jahren an der Europawahl teilnehmen. Was das für sie bedeutet, wie wichtig Beteiligung für unsere Demokratie ist und wie die EU-Jugendprogramme genutzt werden können, um mehr Partizipation junger Menschen in der eigenen Jugendarbeit zu ermöglichen, besprechen wir mit unseren Kolleginnen Marlene Mayer und Barbara Schmidt dos Santos von JUGEND für Europa.

JUGEND für Europa: Die Europawahl findet in Deutschland am 9. Juni 2024 statt. Junge Menschen ab 16 Jahren wählen zum ersten Mal mit. Warum begrüßt JUGEND für Europa die Senkung des Wahlalters?

Marlene Mayer: Die Entscheidung, das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusetzen, sendet eine klare Botschaft: Junge Menschen sind befähigt, aktiv an Entscheidungsprozessen teilzunehmen. Dieser Schritt markiert einen wegweisenden Meilenstein für ein zukunftsfähiges, demokratisches Europa, das von der Mitwirkung junger Menschen geprägt ist und von ihnen mitgestaltet wird.

Barbara Schmidt dos Santos: Die Senkung des Wahlalters für die Europawahl trägt außerdem eine starke Symbolik in sich. Sie bietet einen sehr guten Anlass, Maßnahmen zur Jugendbeteiligung grundsätzlich zu überdenken und stärker in die eigene Jugendarbeit oder in den eigenen Arbeitskontext zu integrieren.

Neue Beteiligungsstrukturen für junge Menschen können geschaffen, bestehende weiterentwickelt oder ausgebaut werden. Insbesondere angesichts des zunehmenden Rechtsrucks in Europa ist es von entscheidender Bedeutung, jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, aktiv Einfluss auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen zu nehmen, die maßgeblich für ihre Zukunft sind.

Die Europawahl erscheint jungen Menschen vielleicht etwas weit weg. Welche Motivation und Herausforderungen seht ihr bei ihnen?

Marlene: Junge Menschen werden fälschlicherweise oft als politisch apathisch angesehen. Ganz im Gegenteil zeigt sich vielmehr, dass sie tatsächlich oft politisch motiviert sind. Anstatt jedoch ihr Vertrauen ausschließlich in etablierte Formen der Beteiligung zu stecken, engagieren sie sich vermehrt in alternativen Formen der politischen Partizipation, die nicht unbedingt direkt mit der repräsentativen Demokratie verbunden sind.

Hierzu zählen z. B. Freiwilligendienste, bürgerschaftliches und jugendpolitisches Engagement in Projekten, aber auch Aktivismus im Rahmen von Protesten und Demonstrationen zum Klimawandel oder gegen den Rechtsruck in Europa.

Barbara: Trotz all dieser Beispiele kann man aber wahrscheinlich realistisch sagen, dass die Europawahl vielen jungen Menschen abstrakt und entfernt von ihrem Alltag erscheint. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, diesen Prozess näher an sie heranzubringen und ihnen die Bedeutung sowie vor allem auch die Auswirkungen dieser Wahl auf ihr eigenes Leben zu verdeutlichen.

Zielgruppengerechte Informationen und Wissenstransfer zur Europawahl sind essenziell, um junge Menschen zu befähigen, bewusste Entscheidungen zu treffen, insbesondere angesichts der Komplexität des Wahlablaufs.

Marlene: Forschungen zeigen zwar, dass die meisten jungen Menschen an europäischen Themen, wie u. a. Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und europäische Angelegenheiten, interessiert sind. Viele fühlen sich jedoch überfordert, sich für Kandidat*innen zu entscheiden, selbst wenn sie das Wahlprozedere der Europawahl bereits kennen.

Es ist auch wichtig zu betonen, dass das Interesse der Eltern an EU-Themen und Politik sowie eine entsprechende thematische Auseinandersetzung in der Schule einen erheblichen Einfluss auf das Wahlverhalten der Jugendlichen haben können. Die Diskrepanz in den Lebensrealitäten junger Menschen kann teilweise erheblich sein.

Informations- und Vertrauensmangel sowie fehlende Repräsentation junger Menschen und ihrer Bedarfe sind weitere gewichtige Gründe, die oft übersehen werden und die Motivation zur Teilnahme an Wahlen beeinflussen.

Es gibt also einige Herausforderungen zu meistern. Gibt es denn auch Empfehlungen, wie junge Menschen für die Europawahl befähigt werden können?

Barbara: Wie gesagt brauchen junge Wähler*innen, insbesondere Erstwähler*innen, zielgruppengerechte Informationen. So können sie sich mit den EU-Kandidat*innen vertraut machen. Dazu gehört, sie selbst und ihre Programme niedrigschwellig vorzustellen. Außerdem gibt es die Aufgabe, jungen Menschen EU-Themen näher zu bringen und die Bedeutung der EU für ihr tägliches Leben zu verdeutlichen. Ein Schwerpunkt sollte dabei auf den politischen Themen liegen, die für junge Menschen besonders relevant sind.

Marlene: Wichtige Aspekte sind dabei auch digitale und soziale Medien. Die digitale Welt nimmt eine zunehmend wichtige Rolle für die Information und Beteiligung von jungen Menschen ein; das spiegeln auch Forschungsergebnisse wider.

Das Internet bietet Plattformen, Werkzeuge und Online-Communities, um sich politisch zu äußern, und es ermöglicht öffentlichen Institutionen, direkt mit jungen Menschen in Kontakt zu treten. Diese Entwicklung birgt jedoch auch Risiken wie Desinformation und das Aufkommen und Verstärken extremistischer Überzeugungen. Es ist daher für Fachkräfte wichtig, vertrauenswürdige digitale Quellen zu kennen und zu nennen.

Zur Europawahl kann man sich gut z. B. bei Eurodesk informieren, die für 2024 eine eigene Kampagne ins Leben gerufen haben. Oder über den Participationpool des SALTO Participation & Information Resource Centre findet man beispielsweise eine Toolbox zur Europawahl 2024.

Barbara: Bei allen Empfehlungen ist allgemein entscheidend, dass bei Vorhaben und Projekten zur Förderung der Partizipation junger Menschen stets die Bedürfnisse der Zielgruppen genau analysiert werden, um bedarfsgerecht agieren zu können. Um über die Europawahl hinaus wirksame Jugendbeteiligung zu ermöglichen, müssen angemessene Strukturen geschaffen werden.

Gibt es diese Strukturen denn in Europa?

Marlene: Eins der Ziele der Europäischen Union ist die verstärkte Beteiligung der Jugendlichen am demokratischen Leben in Europa. Die EU-Jugendstrategie konkretisiert dieses Ziel und betont, dass junge Menschen an der Entwicklung, Umsetzung und Nachbereitung von sie betreffenden politischen Maßnahmen beteiligt werden sollen. Eine politische Absichtserklärung ist also gegeben. Entsprechende Strukturen zur Umsetzung dieses Ziels müssen in den eigenen Organisationen und Arbeitskontexten geschaffen werden, um junge Menschen wirksam zu beteiligen. Hier ist erfreulicherweise derzeit vieles in Bewegung.

Barbara: Wir bei JUGEND für Europa verstehen unseren Jugendbeirat, der uns in der Programmumsetzung in Deutschland berät, genau in diesem Kontext.

Marlene: Und darüber hinaus gibt es natürlich die EU-Programme Erasmus+ Jugend und Europäisches Solidaritätskorps, die als Instrumente der EU-Jugendstrategie genau darauf abzielen, durch die Projektförderung Jugendbeteiligung zu stärken.

Und was bedeutet das ganz konkret? Wie können die EU-Jugendprogramme dazu beitragen, die Beteiligung junger Menschen in Europa zu stärken?

Barbara: Beteiligung ist in beiden EU-Jugendprogrammen eine horizontale Förderpriorität. Das bedeutet, dass Projektanträge mit diesem Schwerpunkt in allen Förderformaten eine größere Chance auf eine finanzielle Förderung haben. Man kann also beispielsweise eine Jugendbegegnung mit jungen Menschen aus vier verschiedenen Ländern durchführen, in der man vergleicht, welche Jugendbeteiligungsmöglichkeiten in der eigenen Kommune bestehen.

Und um zurück zur Wahl zu kommen: Vor und nach der Europawahl bieten sich Projekte zur Vorbereitung und den Auswirkungen der Wahl in Europa an. Durch solche und ähnliche Projekte erhalten jungen Menschen die Möglichkeit, ihre Ansichten frei zu äußern, zur gesellschaftlichen Entscheidungsfindung beizutragen, sie zu beeinflussen und aktiv am demokratischen Leben unserer Gemeinschaften teilzunehmen.

Marlene: Neben der allgemeinen Förderpriorität in beiden Programmen gibt es auch zwei spezifische Förderformate für Jugendbeteiligung. Im Programm Erasmus+ Jugend sind das die Jugendpartizipationsprojekte und im Programm Europäisches Solidaritätskorps die Solidaritätsprojekte.

Mit diesen Formaten sollen gezielt auch junge Menschen selbst angesprochen werden, mit europäischen Partner*innen oder auf lokaler Ebene, also direkt vor der eigenen Haustür, einen Beitrag zu leisten und sich aktiv einzubringen. Die EU unterstützt also nicht nur Organisationen und von Fachkräften angeleitete Projekte, sondern auch junge Menschen, die selbst etwas bewegen wollen, direkt.

Wie ihr schon gesagt habt, gibt es in Europa einen deutlichen Ruck nach rechts. Welche Rolle spielen die Sensibilisierung junger Menschen für europäische demokratische Werte und ihre Beteiligung an Entscheidungsprozessen in der jetzigen Zeit?

Marlene: Beteiligung ist ein grundlegendes Element von Demokratie. Dies sollte in der Arbeit mit jungen Menschen vermittelt werden. Wenn ich als junger Mensch das Gefühl von Selbstwirksamkeit erlange, wenn ich also erkenne, was ich selbst aktiv zur Gesellschaft beitragen kann und welche Auswirkungen mein Handeln hat, stärkt das mein Vertrauen in das demokratische System. Es stärkt ebenfalls die Erkenntnis, dass ich selbst ein Teil dieses Systems bin und dass es auf jede*n Einzelne*n, also auch auf mich selbst, ankommt.

Jugendbeteiligung ist daher untrennbar mit der Wehrhaftigkeit und Stärkung unserer Demokratie verbunden. Sie ermöglicht es jungen Menschen, sich demokratisch in unseren Gemeinschaften und Gesellschaften zu engagieren und aktive Bürger*innen zu werden. Dies gilt umso mehr für Europa, denn die europäische Integration ist ein noch vergleichsweise junger Prozess, der sich dynamisch vollzieht. Er wird von allen Bürger*innen, also auch von jungen Menschen, getragen und mitgestaltet.

Wie seht ihr der Eurowahl entgegen? Warum ist es so wichtig wählen zu gehen?

Barbara: Das Europäische Parlament ist ein faszinierendes und auch wichtiges Organ. Weltweit ist es das einzige Parlament aus Abgeordneten verschiedener Staaten, das direkt von den Bürger*innen gewählt werden kann.

Das Europäische Parlament hat sich im Laufe der Jahrzehnte weitreichende Kompetenzen erkämpft. Es hat mittlerweile ein Mitbestimmungs- und Konsultationsrecht in sehr vielen Politikbereichen der EU, die den Lebensalltag aller jungen Menschen in Europa betreffen.

Für unsere demokratische Zukunft in Europa ist es also unerlässlich, selbst wählen zu gehen und junge Menschen zu befähigen, ebenfalls aktiv und informiert an der Wahl teilzunehmen. Wir hoffen, dass möglichst viele von diesem Recht, sich zu beteiligen, Gebrauch machen und wählen gehen.

Liebe Marlene, liebe Barbara, herzlichen Dank fürs Gespräch.

(JUGEND für Europa)