09.06.2014
DJHT: „Türen auf“! Außerfamiliäre Unterbringung von Kindern im europäischen Vergleich
Dass die Herausnahme und Unterbringung von Kindern und Jugendlichen aus der Herkunftsfamilie schon längst kein nationales Thema mehr ist, zeigte das Fachforum „Alternativen zur Unterbringung von Kindern und Jugendlichen außerhalb der Herkunftsfamilie – Strategien, Ansätze und Herausforderungen im europäischen Vergleich“.
Gleich der Aufschlag durch Maria Herczog, Präsidentin von Eurochild, zeigte, wie sinnvoll und wichtig politische Initiativen auf europäischer Ebene sind. Herczog gab einen Überblick über die kinder- und jugendpolitische Entwicklung der letzten Jahre. Initiiert durch die drei Organisationen SOS-Kinderdorf, IFCO und FICE gibt es seit 2007 „Quality4Children“, eine Formulierung von Qualitätsstandards für die außerfamiliäre Unterbringung und Erziehung mit Bezug auf die UN-Kinderrechtskonvention. Sie wurden durch eine spezielle Methode, das „Storytelling“, von Betroffenen mitentwickelt.
Auf dieser Grundlage wurden 2009 von der UN-Vollversammlung die „Guidelines for the Alternative Care of Children“ verabschiedet. Auch auf der Ebene von Europarat und EU erhielt das Kindeswohl in den letzten Jahren größere Aufmerksamkeit, zuletzt durch die Empfehlung der Kommission „Investitionen in Kinder: Den Kreislauf der Benachteiligung durchbrechen“ (Februar 2013) sowie die gleichnamige Internetplattform. Die öffentliche und politische Debatte habe zu einer wesentlichen Verbesserung der Situation von fremduntergebrachten Kindern und Jugendlichen in Europa geführt, erklärte Anna Herczog.
Anlass dafür gab es genug: Nach 1989, so berichtete Herczog, waren es vor allem die schrecklichen Bilder aus rumänischen Kinderheimen, die einen dringenden Handlungsbedarf auf europäischer Ebene anmahnten. Aber auch in Irland und Großbritannien, in Deutschland (West und Ost, in der Heimerziehung der DDR landeten auch Jugendliche durch angebliches politisches Fehlverhalten), Österreich und der Schweiz machten öffentliche Anklagen ehemaliger Heimkinder das Ausmaß von Zwang und Gewalt bekannt und führten zu Entschädigungsleistungen und zu politischen und fachlichen Diskussionen. Zurzeit wirbt eine von Eurochild getragene europaweite Kampagne „opening doors for europe’s children“ für alternative Angebote für Kinder und Jugendliche.
Wer aber nun meinte, die grundsätzliche Einigkeit darüber, dass Heimerziehung das „letzte Mittel“ sein sollte und aus fachlicher Perspektive Frühe Hilfen und familiennahe Alternativen bevorzugt werden sollten, führe auch zu einer entsprechenden Praxis, wurde eines Besseren belehrt. Die Podiumsvertreter aus Finnland, Großbritannien und Deutschland berichteten zwar von den unterschiedlichen Traditionen der Hilfesysteme und der geltenden Rechtsgrundlagen, sie waren sich aber in ihren Gegenwartsdiagnosen erschreckend einig. Denn in allen Ländern steigt die Quote der Fremdunterbringung rapide – Deutschland liegt dabei ganz vorn. Als Gründe wurden vermehrte Schwierigkeiten in den Familien, auch die Skandalisierung von Einzelfällen genannt. Für eine Fremdunterbringung statt anderer, aufwändiger Lösungen sprechen vor allem finanzielle Gründe. Das Unverständnis darüber fasste der finnische Kollege zusammen: „Obwohl wir immer reicher werden, werden die Probleme immer größer.“
Helle Becker für JUGEND für Europa)
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