09.06.2014

DJHT: Der Verdruss der Ingenieure

Türkei und Europa: Versuch einer jugendpolitischen Bestandsaufnahme

Ufuk war ein guter Schüler. „Ich wollte Sozialarbeiter werden“, erinnert er sich, „oder Anwalt. Mein Lehrer hörte mir aber gar nicht zu sondern beschloss, ich müsse Ingenieur werden.“ 20 Jahre später arbeitet Ufuk Atalay für den türkischen Jugendverband Youth for understanding Turkey. Er wirbt dafür, junge Türken in internationale Projekte einzubeziehen.

Das kostet Zeit. Denn so zugewandt und politisch engagiert Atalay die junge Generation vom Bosporus schildert, so gering ist deren institutioneller Rückhalt. „Von 97.000 Verbänden des Landes sind 810 im Bereich Jugendhilfe engagiert.“ Ihre Mittel reichten gerade aus, um kostendeckend zu arbeiten. An Projektförderung sei nicht zu denken. Heißt: Partner aus der internationalen Jugendarbeit müssen Geld mitbringen. „Es ist gut, mehrere Kanäle abzurufen, Förderprogramme auf nationaler und europäischer Ebene“, empfiehlt Özgehan Denyuva von der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara. Er gehört einem Netzwerk europäischer Jugendforscher an und ist gemeinsam mit Ufuk Atalay zum 15. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag gekommen, um eine politische Bestandsaufnahme der Türkei abzugeben. Vorm dem Hintergrund der erneut aufflammenden Proteste gegen die Regierung, ein Jahr nach den Demonstrationen im Gezipark Istanbuls, ist das spannend.

Ihre Plädoyers für deutsch-türkische Begegnungen äußern beide Referenten aber nicht offen. Der Zuhörer muss sie zwischen den Sätzen lesen: Das Mobilitätsbedürfnis der Jugend dürfte europaweit ähnlich sein, auch das digitale. „Soziale Netzwerke sind enorm wichtig. Türkisch ist die weltweit siebtmeiste verwendete Sprache auf Facebook“, berichtet Ufuk Atalay. Internetcafés gebe es noch in den kleinsten Orten, „deshalb wissen die Jugendlichen, was in ihrem Land und in der Welt vorgeht.“ Wo Jugendliche keine Verbände oder Einrichtungen vorfinden, die ihnen Hilfestellungen geben, „organisieren sie sich selbst, etwa in sozialen Netzwerken“. Der Wille zur politischen Mitgestaltung sei stark, weshalb vielen 18- bis 30-Jährigen der rein auf wirtschaftlich-technologischen Fortschritt angelegte Kurs der Regierung missfalle. „Bildung und Ausbildung orientieren sich an den Naturwissenschaften“, sagt Atalay, „jeder muss Ingenieur werden. Der Leistungsdruck ist enorm.“ Wer durchfällt, landet schnell im Abseits. Die Jugendarbeitslosigkeit im Land liegt bei 25 Prozent. Noch ein Thema von europäischer Dimension.

 

(Tanja M. Kasischke für JUGEND für Europa)

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