15.11.2014

Als Botschafter in der "letzten Diktatur Europas"

Zu den „wunderbaren“ Stigmata, die in Deutschland über Weißrussland herrschen, zählen die Schlagworte: Wodka, kalt und Diktatur. Davon kann Beat Seemann mehrere Lieder singen. Fast so viele wie auf die unvermeidliche Frage: „Warum hast Du den ausgerechnet da Deinen EFD absolviert?"

Wir wollen den 22-Jährigen nicht singen hören, sondern ernsthaft mit ihm über Belarus sprechen, wie das Land eigentlich heißt. Beat kann eine ganze Menge darüber berichten, deshalb der Reihe nach.

Vor dem Ausflug nach Osten war er mit dem Programm „Weltwärts“ in Tansania – eine Erfahrung, die sich später bezahlt  machen sollte. „Ich hatte schon immer ein Faible für Osteuropa“, sagt der aufgeschlossene junge Mann, der auch schon beim Polit-Battle des comeback-events eine gute Figur gemacht hatte. Und warum Belarus? „Da fahren pro Jahr ungefähr 4.000 Deutsche hin. So viele wie im Durchschnitt täglich nach Mallorca.“

Entsprechend unterbelichtet sind auch die Kenntnisse über das Land, das direkt an die EU grenzt – womit wir wieder bei den Stigmata wären. Die stimmen, wie das mit Vorurteilen so ist, in vielen Bereichen gar nicht, und in anderen sind sie eben einfach auch richtig. Klar, kalt ist es da im Winter. Wie in Berlin und Oberammergau auch. Und Wodka wird auch getrunken, aber das vor allem nur noch von den Alten. Die Jungen mögen Bier oder gar keinen Alkohol. Das mit der Diktatur ist so, meint Beat. „Man spürt die enorme Polizei-Präsenz, es gibt Einschränkungen, und die Grenzen sind dicht. Aber die Leute versuchen in ihrer ganz eigenen Welt zu leben“.

Niemals zuvor hat sich Beat so sehr als Deutscher gefühlt wie in Weißrussland. Nur acht Freiwillige verschlägt es pro Jahr dort hin – „obwohl das Land unglaublich schön ist und die Leute total nett sind.“ Vielleicht liegt es an der Abschottung des Staates, der wenig tut gegen sein mieses internationales Image. Es gibt keinen einzigen vernünftigen Reiseführer, informative Webseiten sind rar: Auch Beat ging ziemlich uninformiert durch den letzten Eisernen Vorhang Europas. Das Informationsdefizit will er jetzt selbst beseitigen. Auf seinem eigens eingerichteten Blog unter https://beatofmylife.wordpress.com berichtet Beat über Minsk und über das Leben mit und ohne Weißrussland.

Das Land braucht viele Leute wie ihn. 60 Euro Visagebühren, ein Wust an Bürokratie und reduziert-charmante Konsularbeamte vermiesen die Lust auf einen Besuch. Ähnlich geht es übrigens im Umkehrschluss auch den Weißrussen, die sich an den Botschaften des Westens aufarbeiten. Die Hürden für einen Aufenthalt im Westen sind so riesig, dass viele junge Leute daran scheitern. Das schürt den Frust beinahe so, wie die politische Lage: Dass Staatschef Alexander Lukaschenko von seinem postsozialistischen Gesellschaftsmodell abrückt, ist kaum absehbar. Daran änderte auch die Eishockey-WM wenig, die im vergangenen Frühjahr den Blick der Weltöffentlichkeit für kurze Zeit nach Minsk lenkte. Da wurden die Dissidenten schnell in die Kolchose auf dem Land verbannt, die Stadt heraus geputzt, und es gab sogar einen Hauch von Freiheit im Land.

Der ist verebbt, so wie auch die Staatskassen von einer Ebbe heimgesucht sind. „Das Durchschnittseinkommen liegt bei 500 Euro monatlich. Die Miete für ein Zimmer beträgt 200 Euro. Das heißt, die Leute arbeiten ausschließlich für Miete und Essen. Das zermürbt!“, erklärt Beat. Frustrierend wie die rasende Inflation ist auch das miese Bildungs- und Studiensystem, Ärzte und Lehrer sind die am schlechtesten bezahlten Akademiker. Warum sollte sich jemand anstrengen?

Also zog Beat mit seinem Spätzle-Shaker durch den Bekanntenkreis und bewies, dass Deutsche mehr können als Bratwurst essen. Und weil Ausländer selten sind, wurde er zum Einsprechen eines russischen Satzes für Werbung gebeten. „Später stellte sich heraus, dass der Satz in einem Spot für Pilz-Creme und für Durchfallmedizin verwendet wurde. Das Stück läuft heute noch …“ Er machte Sport und sprach mit Gott und der Welt und erzählte vom Leben im vereinigten Europa. Das ist nötig. Genauso wie noch viel mehr Leute EFD in Belarus machen sollten, denn nur so kann ein realistischeres Bild von der EU entstehen, die direkt hinter der Grenze anfängt.

 

 

Was ist comeback 2014 und was läuft? Mehr unter www.comeback2014.eu

(Jörg Wild für JUGEND für Europa)

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