16.11.2014

comeback 2014 - Poetry Slam: Das Schöne Europa

Mit schönen und weniger schönen Worten widmeten sich vier Berliner Poeten dem Thema "Das Schöne Europa". Gewonnen hat Temye Tesfu, der mit Gedanken über Alltagsrassismus, die eigenen Heimat und die Heimat der Eltern den Nerv der Zuhörer traf.

Weil der erste Poet es immer so schwer hat machte Moderatorin Jana Heinicke kurzerhand selbst den Anfang und slammte – außer Konkurrenz – über ihre Heimat Berlin. Über die Verschiedenheit der Stadtteile und die Berliner Schnauze. „Wer nirgendwo ankommt, ist auch nirgendwo daheim“, sagte Heinicke. „Heimat kann auch das T-Shirt eines Freundes am Ende des Daunenschlafsacks sein.“ Am Ende ist für sie „Heimat“ die Gewissheit, dass es auf der Welt nichts besseres gibt. Etwas das sie mitnimmt, egal wohin sie geht.

In Zweipaarungen traten die Wortakrobaten des Slams „Das schöne Europa“ im direkten Vergleich gegeneinander an. Zur Erklärung: Der Dichterwettstreit mit selbstgeschriebenen Texten wird live und ohne jegliche Hilfsmittel auf der Bühne ausgetragen. Am Ende kürt das Publikum den Sieger per Applaus. Die einzige Regel fürs Publikum: respect the poet!

Ausland für den Lebenslauf?

Auslandsaufenhalte als Aufmotzen des Lebenslaufs – das ging für Franziska Holzheimer gar nicht. Die Wortakrobatin perfomte in ihrem Text „Das große L“, dass „Lebenslauf“ immer noch von Lernen kommt. Das Publikum gab ihr recht, für die zweite Runde reichte es allerdings nicht, denn ihr Kontrahent Malte Rosskopf, der selbst im Ausland studiert hatte, traf mit seinem Text „So alt und schon nichts erreicht“ den Humor des Publikums: Alles war ihm zu viel, die größte Hauptstadt Europas zu klein, die Verantwortung, die eigene Wohnung sauber zu halten, zu groß. Er sprach über Reife, über ehemalige Klassenkameraden, die Bundesjugendspiele und verpasste Ausfahrten im Leben. „Aber am Ende, wenn dir elend ist, und du Anna, Karin, Marco, Sabine, Julian, Julian, Julian (...) deswegen anrufen könntest, dann ist das Heimat und ich glaube, dann bin ich ein Glückskind“, sagte der Finalist.

Lea Streisand, taz-Kolumnistin in Berlin regen Poetry Slams auf. Überhaupt geht sie nur gern auf Bühnen, auf denen sie gewinnt, weil alle gewinnen. Auf der Europa-Bühne sprach sie über ihre Großmutter Hildegard und ihren jüdischen Großvater. Über den 15. Mai 1944 und seine Bedeutung für ihre persönliche Existenz, den Krieg, Konzentrationslager aber auch Briefe und die große Liebe – darüber was heute in der Smartphone-Welt noch von Poesie übrig ist.

Verdienter Sieger

Temje Tesfu slammte über Alltagsrassismus, seine deutsche und bayrische Heimat und über Afrika, die Heimat seiner Eltern. Über „Ebola-Aids“, imaginäre Atlanten und „dieses Afrika“, dessen 54 Staatennamen er in halsbrecherischer Geschwindigkeit musikalisch vertonte. Über den Pass, „der als schnödes Stück Papier Verderb und Gedeih darstellt“ und über Wachtmeister und Grenzkontrollen – und das auch gern sehr zynisch: „Was sagt der Frontex-Wächter an der Grenze zu Europa, zu einem Afrikaner? ‚Nur über deine Leiche’! Aber wenn das Leben selbst zum Witz degradiert wird, dann ist der Tod die Pointe“, regte der junge Mann das Publikum zum Nachdenken an und bekam tosenden Applaus.

Im Finale standen sich Tesfu und Rosskopf gegenüber. Tesfu mit einer beherzten Rede über die deutsche Mitte und gegen die AfD, Rosskopf über das Verpassen und den Konkurrenzkampf, darüber, dass irgendwer immer krasser ist, als man selbst und es nicht schlimm ist, wenn man einen Tag einfach mal im Bett liegen bleibt. Slammer des Abends wurde Tesfu mit seinem Appell an die Alternative für Deutschland, sich zum Teufel zu scheren.

 

Was ist comeback 2014 und was läuft? Mehr unter www.comeback2014.eu

(Lisa Brüßler für JUGEND für Europa)

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