28.11.2014

Kroatien: Zwischen Kriegserinnerung und Urlaubsland

Anna Liban und Jana Bretschneider verbrachten ein Jahr im kroatischen Hinterland. Wie es sich anfühlt, in einer Nachkriegsregion zu leben, und wie man die kroatische Bevölkerung mit Puppen erreichen kann, erzählen sie JUGEND für Europa.

Eigentlich war es Zufall, dass Anna nach Kroatien kam. Als ihre Mutter ihr zum Geburtstag zwei Bücher über Osteuropa schenkte, sie auf der Last-Minute-Börse des Europäischen Freiwilligendienstes einen Platz in einem active-citizenship-Projekt fand, dauerte es nur eine Woche bis sie nach Kroatien reiste und ankam. In der Realität.

"Mir war bewusst, dass ich in einer Nachkriegsregion leben würde. Aber nicht klar war mir, dass zwanzig Jahre später noch so viel davon zu spüren und sehen ist." Einschusslöcher, von Schlaglöchern übersäte Straßen, das Gefühl von Zerfall.

Reise in eine andere Vergangenheit

Anna Liban reiste im Januar 2013 für ein Jahr nach Kroatien. Es ging nach Petrinja in Mittelkroatien. 1100 Kilometer von der Heimat in der Altmark entfernt. Bei der NGO Udruga IKS arbeitete sie mit vier weiteren Freiwilligen daran, die lokale Bevölkerung im kroatischen Nachkriegsgebiet zu politisch-sozialem Leben zu motivieren. Was kryptisch klingt, bedeutete für Anna praktisch viel Projektarbeit mit Kindern und Jugendlichen.

"Ich war erst einmal total frustriert und spürte nur Unverständnis", erzählt Liban. "Ich dachte: Das ist zwanzig Jahre her – so lange wie ich lebe – da müsst ihr doch schaffen, etwas wiederaufzubauen und die Barrieren in euren Köpfen abzubauen!"

Wie in einer Zeitmaschine fühlte sie sich die ersten Tage – ein Leben in der Vergangenheit: "Am Anfang wusste ich gar nicht, wo ich in meinem Projekt anfangen soll und wie ich als Deutsche auf die Bevölkerung wirke. Irgendwann hab ich dann das gemacht, was mir Spaß gemacht hat und das wurde oft auch gut angenommen." Das waren: Projekte mit Amnesty Kroatien, Filmprojekte und das internationale Sommercamp in Petrinja.

Prägende Erfahrungen

So kam auch die 19-jährige Jana Bretschneider ein Jahr später nach Petrinja. Im Projekt  "learning by puppets" stellte sie Marionetten her und gestaltete Puppentheater zu Bildungsthemen wie Ökologie, Demokratie und Menschenrechten mit. Ein echtes Abenteuer für Bretschneider, die mit drei anderen Freiwilligen in dem 23.000 Einwohner zählenden Ort lebte.

"Ich habe relativ gut Kroatisch gelernt, aber trotzdem ist der Kontakt zu anderen jungen Menschen oft oberflächlich geblieben." In einem lokalen Orchester brachte sie sich mit ihrer Querflöte ein und lernte die Kroaten als gastfreundliche, familiengebundene aber auch religiöse Menschen kennen. Rund 87 Prozent der Kroaten sind katholisch. "Ich hatte den Eindruck, dass es durch die Religion auch in der Politik viel Korruption gibt. Ich habe an einem Tag direkt mitbekommen, wie eine Vorsitzende wegen Korruptionsverdacht verhaftet wurde – das war wie in einem Film", erzählt sie.

Auch für Anna Liban war das Verhaftet-Sein in religiösen Traditionen ein großes Problem: "Teils waren Leute sehr diskriminierend, nationalistisch und auch homophob", erzählt sie. Ihr Aufenthalt fiel in eine Zeit, in der es ein Referendum über das Verbot von homosexuellen Ehen gab. Ein Großteil ihrer Freundinnen in Petrinja war lesbisch und Anna zeigte sich solidarisch und demonstrierte in Zagreb dagegen.

Gleichzeitig trat Kroatien am 1. Juli 2013 der EU bei – ein komisches Gefühl für sie: "Kroatien ist für mich die Schwelle zu Osteuropa, das Land ist sehr gespalten mit der tourismuslastigen mediterranen Küste, dem teils sehr grauen Hinterland und dann den vielen Kriegsschauplätzen und diesem Wertesystem, was ich nicht so richtig in Einklang mit der EU bringen kann."

Rund ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts kommt aus dem Tourismus-Zweig – bei zehn Millionen Besuchern jährlich. Es gibt eindrucksvolle Naturparks und Landschaftsteile, die sehr naturbelassen wirken. Aber da ist auch die hohe Arbeitslosigkeit. Seit 2012 gibt es kein Wirtschaftswachstum mehr.

Man nimmt mehr mit, als man denkt

Leben in einfachen Verhältnisse – auch das ist ein Teil des EFD: "Für kroatische Verhältnisse hatten wir ein gutes Haus in Petrinja", sagt Anna Liban, "es ist halt anders, wenn aus der Dusche nicht unbedingt warmes Wasser kommt und wenn es im Haus nur einen Ofen gibt, der immer wieder angefeuert werden muss, wenn die Glut ausgegangen ist."

Reisen tätigt man mit dem Bus: Innerhalb von sechs Stunden kann man so das Land durchqueren, denn Kroatien ist nur zwei Mal so groß wie Brandenburg. "Was mir wirklich positiv in Erinnerung geblieben ist, dass die Kroaten keinerlei 'Coffee to go' haben! Die Menschen nehmen sich einfach die Zeit, sich dafür hinzusetzen und kurz zu entspannen", sagt Anna.

Auch Jana vermisst mehr als sie gedacht hätte: "Die Mentalität hat mich total angesteckt, ich plane in meinem Studium auf jeden Fall ein Erasmus-Semester in Zagreb einzuschieben und so zurück nach Kroatien zu gehen."

Drei Fragen an Rückkehrerin Anna Liban:

JfE: Anna, während deines EFD in Kroatien gab es in deiner Heimat in der Altmark schlimme Überflutungen. Wie hast du das wahrgenommen?

Als ich davon erfahren habe, war es schon zu spät um noch nach hause zu fahren, weil keine Züge mehr ab Berlin gefahren sind. Es war eine sehr harte Zeit, weil meine Familie unmittelbar betroffen war. Ich bin dann aber zwei Mal zum Helfen nach Deutschland gefahren und meine Eltern haben mich darin unterstützt, den EFD nicht abzubrechen.

Du hast einen Weg gefunden, deine Erlebnisse mit dem Hochwasser zu verarbeiten. Wie sah der genau aus?

In meinem Freiwilligenjahr habe ich gelernt wie man Projekte schreibt und kalkuliert. Im November 2013, einen Monat bevor ich nach Deutschland zurückkam, habe ich angefangen Kontakte zu sammeln und Organisationen zu suchen, die mein Projekt "Spuren im Land" unterstützen wollen.

Ich wollte das Projekt machen, weil die Flut Spuren im Land hinterlassen hat, aber wir auch unsere Spuren darüber legen und ihr unseren eigenen Stempel aufdrücken können. Ich wollte kreative Workshops mit Kindern und Jugendlichen machen, um die Flut zu reflektieren und kreativ aufzuarbeiten.

Das Projekt fand zwischen Januar und Oktober 2014 statt – direkt nach deiner Rückkehr aus dem EFD. Welchen Anteil hatte dein Aufenthalt in Kroatien an deinem Projekt?

Es gab sechs Workshops: Fotografie, Theater, Film, Umweltbildung und Lehmbau und den künstlerischen Jahrhundertwasser-Workshop. Jugendliche zwischen zehn und zwanzig Jahren haben also Theaterstücke aufgeführt, Bildergalerien erstellt und Lehmöfen gebaut. Das hat ihnen, aber auch mir als Flutopfer selbst geholfen zu verarbeiten und da war Kroatien grundlegend für, weil ich gelernt habe solche Projekte zu realisieren.

Meine Eltern hätten gerne gehabt, dass ich gleich nach dem Abi studiere, aber ich glaube die Träumer von gestern sind die Visionäre von heute und die Macher von morgen und seitdem ich in Kroatien war, versuche ich genau das zu leben.

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(Lisa Brüßler für JUGEND für Europa)

Bild: ©Lisa Brüßler

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