28.04.2015
"Deutschland muss offener werden für europäische Impulse"
Was hat sich durch Erasmus+ für die Bereiche "Erwachsenenbildung" und "Berufliche Bildung" verändert? JUGEND für Europa sprach mit Klaus Fahle, Leiter der Nationalen Agentur "Bildung für Europa" und zuständig für Erasmus+ beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB).
JfE: Herr Fahle, Sie sprechen nicht mehr von "Leonardo" und "Grundtvig"?
Klaus Fahle: Richtig, wir sprechen von "Erasmus+ Erwachsenenbildung" und "Erasmus+ Berufliche Bildung". Das hat einen ganz einfachen Grund: Wir haben uns entschlossen, den Namen zu "kapern", also Erasmus zu neutralisieren und mit unseren Bereichen zu verbinden.
Was sind für Sie die besonderen Neuerungen in Erasmus+?
Im Bereich der Mobilitätsförderung findet eine Verschiebung statt, weg von vielen Einzelmaßnahmen hin zu einem institutionellen Ansatz. Eine Einrichtung darf nur noch einen Antrag stellen. Darin darf sie zwar mehrere Einzelmaßnahmen beantragen, aber im Rahmen eines Gesamtkonzepts. Das bedeutet, dass die Antragsteller das Programm strategisch nutzen müssen. Sie sollen Mobilität einsetzen, um die Institution zu internationalisieren, indem sie die Kompetenzen der Lernenden entwickeln. Das finde ich ausgesprochen positiv.
Auch die Strategischen Partnerschaften stellen eine Weiterentwicklung dar. Hier wurden unterschiedliche Formate, die wir in den alten Programmen hatten, in einem Projektfördertypus zusammengezogen. So können wir den bloßen Erfahrungsaustausch genauso fördern wie Projekte, die den Anspruch haben, etwas zu Neues entwickeln oder Innovationen umzusetzen.
Stellt das nicht erhöhte Anforderungen an die Antragsteller?
Natürlich müssen sich die Antragsteller in diesem neuen Förderinstrument erst einmal wiederfinden. Aber im Grundansatz finde ich beide Programmveränderungen sehr klug. Sie können nämlich die Wirkung des Programms verstärken und die Umsetzung sogar vereinfachen.
Wie wird das neue Programm denn angenommen?
Das ist sehr unterschiedlich. Im Bereich der Erwachsenenbildung wurden die Neuerungen in der Mobilitätsförderung sehr positiv aufgenommen – weg von der Individualförderung, hin zu einem institutionellen Ansatz. Da haben die Einrichtungen der Erwachsenenbildung verstanden, dass das für sie eine riesige Chance ist. Hier haben wir übrigens auch eine deutliche Überzeichnung bei den Anträgen. Mit den Strategischen Partnerschaften hadern viele noch ein bisschen. Aber wir sind alle noch in einem Lernprozess.
Was würden Sie den Antragstellern raten, um diese Instrumente so nutzen zu können, wie Sie sich das erhoffen?
Die Antragsteller sollten das Thema Internationalisierung und europäische Zusammenarbeit in ihren Einrichtungen verankern. Das ist nicht nur ein Projekt, sondern eine richtungsweisende Entscheidung. In der Wirtschaft würde man sagen, das hat etwas mit dem Business Modell zu tun, mit dem Leitbild, das eine Einrichtung hat. Und dazu gehört, Europa für die Einrichtung als einen großen Lernraum zu verstehen.
Glauben Sie, dass das alle Einrichtungen nachvollziehen können? Ist das nicht auch abhängig von Größe, Ressourcen und Erfahrung eines Trägers?
Das ist nicht unbedingt eine Frage der Größe. Es hat etwas mit der Haltung der Menschen zu tun, von der Positionierung einer Einrichtung in einem bestimmten Feld.
Aber für viele ist die europäische Zusammenarbeit eine Zusatzaufgabe.
Schauen Sie mal auf die berufliche Bildung. Die Unternehmen sind global vernetzt und agieren global. Damit verändern sich auch die Qualifikationsanforderungen an die Mitarbeiter. Wir stellen fest, dass zum Beispiel der Gebrauch von Fremdsprachen im Bereich der Beruflichen Bildung in den letzten Jahren kontinuierlich steigt. Eine internationale Orientierung ist nichts "Zusätzliches" mehr. Sicherlich findet dieser Prozess schleichend statt, aber ich glaube, dass wir vor einem Paradigmenwechsel stehen. Heute heißt es: "Das ist prima, dass du ein paar Monate bei unserer Tochter im Ausland warst. Jetzt wissen wir, dass du auch Montageaufträge im Ausland erledigen würdest."
Sehen das denn auch zuständige Behörden und Schulen so? Sie Jugendsozialarbeit hat oft Probleme, wenn es um Auslandsaufenthalte geht.
Es gibt große Ungleichzeitigkeiten in diesem Bereich. Der deutsche Bundestag hat als politisches Ziel in Deutschland beschlossen, dass 10% der Jugendlichen in der Ausbildung Mobilitätserfahrungen machen sollen. Das ist noch nicht überall angekommen. Und wir werden an den Rahmenbedingungen noch eine ganze Menge ändern müssen, damit dieser Prozess erfolgreich wird.
Das Programm steckt ja große quantitative Ziele. Vor allem sollen mehr Menschen mobil werden. Können Sie schon eine Steigerung verzeichnen?
Die Zahl der Anträge bei uns hat sich halbiert, weil wir keine Individualförderung mehr vergeben und eine Einrichtung nur noch einen Antrag pro Einrichtung stellen darf. Darin sind dann aber Maßnahmen für Bildungspersonal und Auszubildende zusammengefasst. Wir haben also zwar weniger Anträge, aber die Projekte sind größer und sind wahrscheinlich auch in ihrer Reichweite wirksamer.
Bezogen auf die geförderten Personen haben wir im Bereich der beruflichen Bildung von Jahr zu Jahr eine Steigerung, dieses Jahr um 12,5%. In der Erwachsenenbildung haben wir mehr als eine Verdoppelung der geförderten Personen. Das Budget in Erasmus+ wird erst im nächsten Jahr signifikant steigen. Das heißt, der große Schwung kommt erst noch. Und die Nachfrage steigt mit den Möglichkeiten.
Haben Sie schon Erfahrung mit bereichsübergreifenden Projekten?
Ich glaube, wir sind die Agentur mit den meisten bereichsübergreifenden Projekte in Europa. 20% unserer Strategischen Partnerschaften sind bereichsübergreifend. Das hat damit zu tun, dass wir in LEONARDO DA VINCI im Programm für Lebenslanges Lernen einen ähnlichen Projekttypus hatten, die Innovations-Transfer-Projekte. Wir haben die Grenze zwischen Berufsbildung und anderer Bildungsbereichen nie so rigide gezogen. Das ist eine der schönen Möglichkeiten des Programms. Die Grenzen, die wir auch in Deutschland zwischen den Bildungsbereichen und in den föderalen Strukturen haben, zieht Europa nicht. Aus europäischer Sicht sind im Antragsverfahren alle gleich. Das ist eine andere Denkweise und eine echte Chance für das Programm.
Gibt es auch Zusammenarbeit mit dem Jugendbereich?
Da gibt es noch Potential. Aber wenn wir z.B. an junge Menschen mit Migrationshintergrund und deren Teilhabe an Bildung denken, dann ist das eine Aufgabe, die nicht ein Sektor allein lösen kann. Da steckt noch eine ganze Menge an Möglichkeiten und an Chancen drin, grade weil wir uns in Deutschland oft schwer tun, zwischen den verschiedenen Sektoren und Zuständigkeiten zu kooperieren.
Wie läuft die Zusammenarbeit der vier nationalen Agenturen?
Das ist für uns ein ganz spannendes Feld. Mit den Kollegen vom Pädagogischen Austauschdienst (PAD) und vom Deutschen Akademikerdienst (DAAD) haben wir bereits im alten Programm kooperiert. Nun ist JUGEND für Europa hinzugekommen. Wir machen viele gemeinsame Lernerfahrungen und treffen Absprachen, wie wir das Programm managen wollen.
Wir wollen möglichst eine Gleichbehandlung der Antragssteller und Vertragsnehmer. Niemand soll das Gefühl haben, dass er bei der einen Nationalen Agentur anders behandelt wird als bei der anderen. Und wichtig ist auch, dass wir die Bedeutung und die Wahrnehmung des Programms gemeinsam besser werden erhöhen können. Zusammen können wir viel mehr erreichen als jeder allein.
Welche Schwerpunktthemen setzen Sie in Erasmus+?
Erstens wollen wir die schon erwähnten 10% Jugendliche bis 2020 erreichen – Erasmus+ ist ein großer Hebel dafür. Wir müssen dafür neue Antragssteller finden, wir müssen Internationalität besser in die Ausbildung integrieren.
Zweitens müssen wir erreichen, dass wir in Deutschland offener werden für europäische Impulse, Innovationen und Erfahrungen. Deutschland ist fast zu groß für Europa, wir können sehr viel alleine und haben auch eine starke Tradition in vielen Bereichen. Es darf keine Konkurrenz entstehen, sondern die europäischen Programme und Projekte müssen als Ergänzung wahrgenommen werden.
Drittens gibt es wichtige Zukunftsthemen. Ich meine zum Beispiel das Thema "Work-based Learning", also duale und alternierende Ausbildungsmodelle. Daran knüpft sich die Frage, wie wir zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit die Ausbildung in Europa arbeitsmarktnäher entwickeln können. Außerdem haben wir sich verändernde Qualifikationsanforderungen und einen großen Innovationsbedarf im Bereich Gesundheit und Altenpflege. Ein weiteres Thema ist IKT, Lernen im Netz, Open Educational Resources. In all dem können wir das Programm als Plattform nutzen und Innovationsimpulse für die Bildungspraxis aus Europa bekommen.
Was war Ihr persönliches Programm-Highlight 2014?
Wir sind eine Nationale Agentur und als diese leiten wir seit anderthalb Jahren ein Netzwerk von 29 europäischen Agenturen zum Thema Work-based Learning. In diesem Netzwerk sammeln wir gute Beispiele aus dem Programm und schauen, welche als Modelle in Reformprozessen für die Praxis nutzbar sind. Wir haben dazu im März in Brüssel eine große europäische Konferenz mit 300 Teilnehmern durchgeführt; das Follow-Up findet im September in Vilnius statt. Das ist eine tolle Geschichte, weil es gezeigt hat, was das Programm bis dahin schon geleistet hat. Das ist ein richtig schönes, spannendes Projekt mit schönen Ergebnissen.
(Das Interview führte Dr. Helle Becker im Auftrag von JUGEND für Europa.)
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