09.03.2015

Fachforum Europa: Sprachlos vielsagend

Das Projekt SPEECHLESS IN EUROPE verzichtet auf verbale Kommunikation und will so vor allem die bildungsfernen Jugendlichen in Europa ansprechen.

Ein Gespräch mit Leonie Beckmann (EUROSOC#DIGITAL) auf dem Fachforum Europa.

Die Verständigung in Europa ist oft schwierig. Manchmal unmöglich. Aber weil wir nun mal auf Austausch angewiesen sind, brauchen wir – auch – andere Formen als Worte. Willkommen bei SPEECHLESS IN EUROPE, einem Projekt der gemeinnützigen Gesellschaft EUROSOC#DIGITAL in Berlin. Sprachlos in Europa unterwegs zu sein, das macht den interessierten Beobachter der Szene zunächst natürlich selbst sprachlos, denn wenn irgendwo wirklich viel gesprochen wird, dann doch wohl in Europa.

Und genau da liegt das Problem – beziehungsweise für SPEECHLESS IN EUOPE die Lösung. „Wir wollen, dass sich junge Leute in allen Ländern Europas miteinander verständigen können, damit wir auch Schichten erreichen, die mit den Idealen nicht so viel am Hut haben“, sagt die Projektkoordinatorin  Leoni Beckmann. Bisher erreichen die vielen Jugendprojekte einen hohen Prozentsatz von „elitäre“ Gruppen, die über Erasmus+ Erfahrungen sammeln und Beziehungen knüpfen. Das zumindest ist die These, die dem Projekt zugrunde liegt. Deshalb: Wollen wir die Europa-Muffel, die Randgruppen und die Bildungsfernen erreichen, verzichten wir doch „einfach“ auf Sprache.

Der Ansatz nonverbaler Kommunikation in Europa ist neu, zumindest dann, wenn er nicht auf Gehörlose abzielt. Und deshalb ist er auch revolutionär. Gemeinsam mit ganz unterschiedlichen Partnern aus vier Ländern hat EUROSOC#DIGITAL ein Konzept entwickelt, das emotional belegte Kommunikationsmethoden in den Mittelpunkt der neuen Jugendverständigung stellt. Videos, Theater, Tanz, Fotografie, Graffiti, Rap … alles ist möglich, um Gleichaltrige egal wo in Europa auf sich aufmerksam zu machen, um den Bann zu brechen, um Mauern in den Köpfen einzureißen.

„Guck mal, da ist ein Jugendlicher in Paris, der geht nach der Schule genauso gerne skaten wie Du!“ So stellt Leonie Beckmann ein Beispiel dar, mit dem bei ihrem System der erste Kontakt zustande kommt. Zu sehen ist der Pariser Skater demnächst auf der Webiste www.speechlessineurope.org oder über Facebook. Die Plattform selbst wird über Liquid Democracy in Berlin aufgebaut – so wie alle Materialien übrigens auf open-source-Basis erstellt und erhältlich sind.

Zunächst wollen die vier Europa-Partner aus Deutschland, Italien, Ungarn und Frankreich Fachkräfte sensibilisieren und Schulen ansprechen. EUROSOC#DIGITAL hat durch viele Planspiele und andere Europa-Projekte schon ausreichend Kontakte in die Szenen, so dass die Seminare sicherlich rasch gut belegt sind. Die Lehrer, Jugendsozialarbeiter und anderen Experten leiten dann zuhause in ihren Einrichtungen die ersten Anläufe ein. Dazu zählen in der so genannten Telling-Phase Videos, Songs, Fotogalerien und ähnliche Auftritte, die das Interesse beim Partner im Ausland wecken sollen. In der zweiten Runde – der Retelling-Phase – antworten Projektgruppen mit eigenen Antworten. Man entdeckt Gemeinsamkeiten, bewertet sich gegenseitig und kommt in Kontakt. Freundschaften und Interessengruppen entstehen, SPEECHLESS IN EUROPE nennt sie „Buddies“.

„Wir haben viel Erfahrung in Planspielen und Arbeit in Schulen, in denen das Thema Europa im Mittelpunkt steht. Das ist hier gar nicht der Fall.“ Es geht um die Jugendlichen, um die Freude an den Gemeinsamkeiten. Um die Entdeckung der Tatsache, dass Europäer sich in vielen Dingen viel ähnlicher sind, als junge Menschen das oft denken. „Es braucht noch nicht mal Interesse an der Institution Europa, um an dem Projekt teilzunehmen“, erklärt Leonie Beckmann.

Die besten Videos und Präsentationen werden später im Rahmen einer Abschlusspräsentation bei Storytelling-Festival in Rom im Mai 2016 prämiert. Es lebe der Wettbewerb, von dem bekannt ist, dass er neue Fantasien weckt und Kreativität freisetzt. „Wir sind wirklich nicht elitär angelegt“, betont Leonie Beckmann noch einmal. Aber vielleicht ist gerade die Idee der sprachlosen Kommunikation in der europäischen Polyphonie ein ganz besonders extravaganter Ansatz, um Menschen für das zu begeistern, was Europa auch in der Bildungsarbeit ausmachen sollte: Die Menschen in Europa.

Jörg Wild im Auftrag von JUGEND für Europa
Bild: Jörg Wild

 

 

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