10.03.2015
Europa – schulisch und außerschulisch betrachtet
Dass Schule, Engagement und Europa zusammen gehen und sogar zusammen gehören müssen, zeigte sich in den Workshops „Kritisch, aber pro Europa“ und „Europa in der Schule“ beim Fachforum Europa in Dresden.
Dass Europa sehr schnell mit der Europäischen Union oder dem Euroraum gleichgesetzt wird, zeigte sich im Workshop „Kritisch, aber pro Europa“.
Mach Dir ein Bild von Europa, hieß es zumnächst für die Teilnehmer. Der Kontinent als große Landkarte ohne Grenzen, geprägt von Frieden, Wohlstand, Mobilität? Oder ist er doch ein genormtes Puzzle, mit Teilen, die manchmal nicht hineinpassen? Eine Gruppe zeichnete Europa mit einem großen Riss zwischen Norden und Süden. Im Süden ein Stier, der den Graben überwinden soll und an dessen Schwanz nicht pro-Europa eingestellte Politiker ziehen. Im Norden die schöne, überlegene Europa.
Stephan Schwieren vom Haus am Maiberg fragte, ob europäische Jugendprojekte nicht oft zu unkritisch seien und nicht mehr Kritik in der Vermittlung nötig wäre. Wo stehen wir und wo wollen wir hin? Diese Frage zog sich durch den Workshop und auch die Teilnehmer erschienen etwas ratlos: „Die Friedenssicherung ist fast selbstverständlich geworden, positive Aspekte wie Freizügigkeit und kulturelle Vielfalt, die Musik, der Euro als Errungenschaft, fallen wenig auf, wenn es um die Festung Europa und all die Grenzen in den Köpfen der Menschen geht“, sagte Katja Sinko von der Jungen Europäischen Bewegung Berlin-Brandenburg.
Um die zu überwinden und Interesse zu schaffen, brauche es verstärkte Perspektivenwechsel und Anknüpfungspunkte für Jugendliche aus dem Alltag, aber auch mehr Europabewusstsein und Emotionalität. Die reflektierte Auseinandersetzung sei dabei einer der wichtigsten Tools, einigte sich die Gruppe
„Eigentlich gibt es doch schon auch bereits alles an Informationen: Projekttage, Politiker die Schulen besuchen, EU-Informationsstellen oder Schreibwettbewerbe“, sagte Dr. Thomas Spielkamp vom Pädagogischen Austauschdienst (PAD). Brauchen wir dann noch mehr?
Ja, war die Antwort des Workshop „Europa in der Schule“, in dem Lehrer, Engagierte aus Vereinen oder offiziellen Stellen saßen: „Ich bin Lehrerin an einer Europaschule und empfinde die Umstellung von Comenius auf Erasmus + als großes Problem“, sagte eine Teilnehmerin. „Ich gehe in Schulen und besuche sie um über Europa zu reden. Nichts ist schwieriger als eine Klasse von Europa zu begeistern – unabhhängig von der Schulform“, benannte ein weiterer Teilnehmer Probleme. „Ich finde es wichtig, dass in allen Schulformen Europa zum Thema gemacht wird, denn nicht jede Schule hat den Ehrgeiz Europaschule zu werden“, betonte ein weiterer.
Es zeigt sich, dass das Label "Europaschule" in nahezu jedem Bundesland andere Voraussetzungen von der jeweiligen schulischen Einrichtung fordert. Was in Berlin die begehrte Bezeichnung trägt, würde in NRW noch lange nicht anerkannt werden. Dr. Spielkamp (PAD) als Moderator des Workshops führte aus, dass sich die zuständige Kultusministerkonferenz (KMK) der Problematik bewusst sei.
Dass man nicht den Titel „Europaschule“ braucht, um Projekte, in denen Europa vorkommt zu machen, zeigte Ricarda Geidelt, Grundschullehrerin an der Lessingschule in Leipzig.
Sie erklärte den Teilnehmern, wie mit einem frühen Beginn viele Probleme vermieden werden könnten: „Wir müssten am besten schon im Kindergarten anfangen mit Europabildung. Ich werde immer gefragt, ob die Kinder nicht zu jung sind, aber diese Angst ist total unberechtigt, weil gerade die Jüngsten noch keinerlei Grenzen im Kopf haben.“ Geidelt hat mit viel Initiative Comenius-Projekte an der Grundschule organisiert, Austausche und eine Europa-AG ermöglicht. 2012 wurde die Lessingschule Europaschule, was nicht immer einfach war. Seit 2006 reiste Geidelt unter Comenius immer wieder mit Schülergruppen ins Ausland, die danach Präsentationen machten, um die Reise der ganzen Schule zugänglich zu machen: „Die Erstklässler fragten dann immer, wann sie endlich Comenius machen können. Wenn sich die europäische Laufbahn wie ein roter Faden durch die Schullaufbahn zieht, dann sind das die jungen Menschen von morgen, die jetzt als Botschafter fehlen.“
Dazu müsse man aber auch sehr offen und engagiert sein: nach einem Sprachassistenten-Austausch mit Schweden und einem gemeinsam organisierten Lucia-Fest an der Leipziger Schule, das in den Unterricht integriert wurde, hat Ricarda Geidelt mit der schwedischen Kollegin ein e-Twinning Projekt gestartet. Letzte Woche haben die beiden Klassen zum ersten Mal geskypt. Die Frage, auf welcher Sprache man sich da verständigt, stellten sich die Schüler im Gegensatz zu den Teilnehmern des Workshops gar nicht erst. Es wurde gesungen, Bilder gezeigt und gewunken.
Auch an der beruflichen Schule, am Berufskolleg am Wasserturm in Bocholt ist Europa eine große organisatorische Leistung, die ohne das Interesse des Schulleiters nicht möglich wäre, erzählte Lehrerin Nicole Kroll. „Als Berufsschule mit kaufmännischem Schwerpunkt haben die Schüler in der Ausbildung, etwa zum Speditionskaufmann sowieso natürliche Berührungspunkte mit Europa“. Austauschprojekte sind hier aber schon etwas schwerer, weil man auf die Kooperation der Betriebe angewiesen sei, kam ein Einwand aus dem Publikum: „Oft wird Lehrlingen auch gar nicht bewilligt, dass sie fahren dürfen, auch wenn sie wollen, weil die Betriebe den Mehrwert nicht erkennen.“ Es sind eher einzelne Menschen, die sich bemühen, als dass es tatsächlich existierende Strukturen gäbe, pflichtete Nicole Kroll bei.
Auch am Gymnasium wird Politik unter teils widrigen Bedingungen gelehrt: Markus Materne vom Friedrich-Ebert-Gymnasium in Bonn führt seit 2011 ein Europa-Parlament Planspiele mit den 9. Klassen durch, die dann zum ersten Mal richtig mit dem Fach in Berührung kommen: „Wir sind eine bilinguale Schule, mit deutsch-französischem Schwerpunkt. So etwas wie Rassismus habe ich bei uns nicht feststellen können und das ist natürlich schon mal eine gute Basis für europazentrierte Arbeit.“ Innerhalb von vier Tagen Parlamentssimulation bekommen die Schüler, die erst in der 9. Klasse richtig mit dem Fach Politik in Berührung kommen, einen persönlichen Eindruck von Politik. Die Besten fahren zu nationalen Ausscheidungen nach Berlin, nebenbei wird Rhetorik, Themenrecherche und Diskussionskultur geübt: „Wir gehen über die Form und die Methode, um an den Inhalt Politik zu kommen – klar taucht Europa erstmal wenig auf, aber die Schüler lernen, dass die Themen sie selbst betreffen und interessant sein können. Ich habe während unseres Projekts auch schon Schüler mit Fachliteratur zur Präimplantationsdiagnostik im Arm gesehen.“
Lisa Brüßler für JUGEND für Europa
Bild: David Ausserhofer
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