11.03.2015

Fachforum Europa: Unterschiedliche Leute – dieselbe Idee

AEGEE ist Europas größtes fakultätsübergreifendes Studentennetzwerk. Mit 13.000 Mitgliedern in 200 Städten und vierzig europäischen Ländern verfolgt die ehemals französische Idee das Ziel ein Netzwerk von internationalen Freunden auzufbauen und mit ihnen Ideen entwickeln für das Europa von morgen. JUGEND für Europa sprach auf dem Fachforum mit Thomas Leszke, der für AEGEE ein Wahlbeobachtungsprojekt mit jungen Menschen gestartet hat.

JfE: Thomas, AEGEE (Association des Etats Généraux des Etudiants de l’Europe) wurde 1985 ursprünglich als studentische Interessenvertretung gegenüber der europäischen Politik gegründet. Wie sieht das denn heute aus?

Leszke: Wir setzen uns weiterhin für die Interessen junger Europäer ein, erheben aber nicht mehr den Anspruch, DIE studentische Interessensvertretung gegenüber der europäischen Politik zu sein. Mittlerweile gibt es ja auch das Europäische Jugendforum und die European Students' Union. Wir haben ein Netzwerk von 13.000 Mitgliedern in ganz Europa aufgebaut. Ganz Europa heißt hier vierzig europäische Länder, also nicht nur die EU-Mitgliedsstaaten. Wir haben in circa 200 Städten lokale Hochschulgruppen, die relativ autonom voneinander arbeiten. In Deutschland sind es zum Beispiel zwanzig Städte, in denen wir vertreten sind. Es gibt nur die Städte und Europa, keine Landesverbände – wir wollen die nationalen Grenzen nicht reproduzieren.

Also hat sich der Schwerpunkt verschoben?

Heute setzt sich AEGEE für ein grenzenloses Europa ein. Darunter verstehen wir: die Mobilität zu fördern, grenzübergreifende Projekte zu gestalten und Studenten aus verschiedenen Ländern für Austausche zusammenzubringen. Das geschieht etwa bei unseren Summer Universities, die jährlich in über hundert AEGEE-Städten stattfinden, wo die lokale Gruppe für jeweils zwanzig bis vierzig Teilnehmer aus anderen europäischen Ländern ein bestimmtes Programm organisiert. Das ist generell unsere Absicht. Wir wollen einander kennen lernen unter genau den Aspekten, die uns selbst gerade interessieren, und das muss nicht immer die Politik sein. Wir stellen uns Europa als offen und demokratisch vor. Ein Europa der Chancengleichheit, wo man sich beteiligen kann – gerade das ist natürlich momentan angesichts der Situation in Südeuropa für viele Jugendliche kritisch.

Was hört ihr denn so aus Südeuropa bei euren Austauschen?

Wir haben in Südeuropa sehr, sehr viele Mitglieder, die in AEGEE die Chance sehen rauszukommen. Nicht unbedingt aus ihrem Land, aber zumindest aus ihrer Misere und ein bisschen was aus dem Leben der Jugendlichen in Nordeuropa mitzubekommen – das ist sehr schön. Jugend hat eigentlich überall dieselben Probleme, nämlich, dass sie kaum beteiligt ist an Entscheidungen oder der Zugang aufgrund der formalen Bildung oder dem sozialen Status erschwert ist. Bei uns gibt es eine sehr große Solidarität mit Ländern in der Krise. Gerade jetzt fahren da viele hin und versuchen zu verstehen, was das für ein Alltag dort ist. Gerade war AEGEE Dresden in Kiew und die Ukrainer kommen dann bald nach Dresden – wir machen also auch bilaterale Projekte.

JfE: Wir reden jetzt aber nur von Studenten oder?

Es gibt einige wenige nicht-studentische Mitglieder, aber das Gros sind Studenten, ja. Die meisten, die nicht studieren, haben schon fertig studiert, so wie ich. In den Satzungen zur Mitgliedschaft ist auch teilweise geregelt, dass man Student sein muss, aber das ist überall anders. In Projekten beziehen wir aber auch andere, die nicht unbedingt studieren, mit ein. Das geht zum Beispiel in meinem Wahlbeobachtungsprojekt. Da gibt es keine Vorraussetzungen, außer dass man zwischen 18 und 35 Jahren ist und in einem Land Europas legal wohnhaft ist.

Was ist das genau für ein Projekt?

Bisher waren wir zwei Mal in der Ukraine bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, in Schottland, Bosnien, Moldavien und jetzt letzte Woche in Estland. Wir gehen als offiziell akkreditierte – und von den Regierungen eingeladene – Wahlbeobachter zu europäischen Wahlen. Zu nationalen Wahlen, aber auch zu Referenden oder zu regionalen Wahlen wie in Katalonien. Das heißt, wir fahren donnerstags für fünf Tage an den Ort  mit einer kleinen Gruppe von Leuten. Da bereiten wir uns dann vor, treffen uns mit Leuten von der OSZE oder der Wahlbehörde, die uns briefen und über die Langzeitbeobachtung in Kenntnis setzen. Am Wahltag beobachten und protokollieren wir alles – von der Öffnung der Wahllokale, die natürlich kontrolliert werden müssen, der Wahlvorgänge selbst, ob das korrekt abläuft oder jemand bei der Stimmabgabe beeinträchtigt wird, bis zum Schließen der Wahllokale. Wir dürfen alle Unterlagen einsehen und müssen alle Fragen beantwortet bekommen. Intervenieren oder Kommentare abgeben kann man aber nicht, weil man der Neutralität verpflichtet ist.

Bekommt ihr dafür denn europäische Mittel?

Wir haben eine Mission mit Crowdfunding finanziert, das war ein ziemlicher Aufwand – auf Dauer geht das nicht mehr. Wir haben jetzt einen Förderantrag bei der EU gestellt und haben auch etwas Hoffnung. Die nächsten Missionen in Finnland, England und der Türkei werden aber erstmal weiterhin finanziert wie bisher, nämlich aus eigener Tasche. Das ist unangenehm, weil viele Leute dadurch ausgeschlossen sind, die sich das gar nicht leisten können. Es gibt auch keine festen Teams, sondern wir schreiben die Mission jedes Mal neu aus und jeder kann sich bewerben. Die einzige Voraussetzung ist, dass man gut Englisch kann – sonst hat man wirklich Schwierigkeiten.

Du bist letztes Jahr im April mit dem Fahrrad von München nach Patras in Griechenland gefahren und hast jede einzelne Nacht bei einem Bekannten geschlafen. Wie entsteht so ein Netzwerk?

Ich habe in der Schule so gut wie gar nichts über Europa gelernt und mich in meiner Jugend auch überhaupt nicht für Politik interessiert. Ich bin mit 13 Jahren nach Deutschland gekommen aus Holland und musste erstmal die Sprache lernen. Als ich meinen Zivildienst in Peru gemacht habe, musste ich mir jeden Tag Gedanken über Politik machen, das hat mich abgeholt und ich wollte herausfinden wie Politik funktioniert. Also habe dann in Köln Politik und Musik studiert und bin wegen meines Interesses für das Kulturelle zu AEGEE gegangen. Und da sammelt man Sprachen, Kontakte und auch Freunde – eben ein riesiges Netzwerk. Also habe ich mein Hobby, das Fahrradfahren mit meiner Leidenschaft, Reisen, zusammengetan und konnte jede Nacht bei jemanden in Europa schlafen, den ich kenne. Das passiert wohl einfach nach sieben Jahre AEGEE.

Du warst 2011 im europäischen Vorstand von AEGEE in Brüssel und hast mit acht Vorstandskollegen zusammen gearbeitet und auch gelebt – auf engstem Raum. Was für Herausforderungen sind dir noch bei deiner Arbeit begegnet?

Eine große Schwierigkeit ist das Nord-Süd-Gefälle, das sich auch bei uns sehr stark wiederspiegelt: Frankreich, Deutschland Tschechien, Polen, Estland und die Skandinavier sind sehr ergebnisorientiert – darunter verläuft ein fetter Mentalitätsriss. Konkret ausgedrückt heißt das: Entweder es geht darum, ob du Wert darauf legst, dass du Spaß bei der Arbeit und an Details hast und die zeitlichen und finanziellen Rahmenbedingungen und die absolute Qualität des Endprojekts nicht über dem Prozess an sich stellst oder eben andersherum: Ergebnisorientiert, faktenbasiert, effizient. Da gibt es jeden Tag wieder Clashs um ganz kleine Dinge.

Das Interview führte Lisa Brüßler im Auftrag von JUGEND für Europa.
Bild: ©Lisa Brüßler

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