13.03.2015

Fachforum Europa: "Es geht nicht mehr primär um die Informationsvermittlung"

Über neue Herausforderungen für die Europabildung sprach JUGEND für Europa auf dem Fachforum Europa mit Prof. Dr. Eckardt Stratenschulte, Direktor der Europäischen Akademie Berlin.

JfE: Gab es im Rahmen des diesjährigen Jugendforums in Dresden Themen, die für Sie als langjährigen Profi in der Vermittlung von Europa-Informationen neu und anregend waren?

Prof. Dr. Stratenschulte: Ja, eine ganze Reihe sogar. Es gibt doch vielfältige Projekte und Initiativen und zwar von staatlicher Seite und auch aus der Graswurzelbewegung heraus. Das alles in einer Zusammenschau zu erleben, fand ich sehr spannend.

JfE: Was konnten Sie den Teilnehmenden an wichtigen Anregungen mit auf den Weg geben?

Nun, wir – die Europäische Akademie Berlin – haben über 50 Jahre Erfahrung im Bereich „Europa vermitteln“. Da kann man sicherlich das eine oder andere weitergeben. Dazu gehört auch: Europa und der Europaunterricht müssen Spaß machen. Und: Keine Angst vor Kritik. Europapolitische Bildung ist keine PR-Veranstaltung und man tut der Europäischen Union keinen Gefallen, wenn man eine realistische Beschäftigung mit ihr ausklammert. Und auch wenn es jetzt nicht die eine Message war, die wir vermittelt haben, so war es doch wichtig, Erfahrungen auszutauschen.

JfE: Die Krisen in Griechenland und in der Ukraine rütteln an den Grundfesten der Europäischen Union. Wirken sich diese Umstände auf die Vermittlungsarbeit der Europäischen Akademie aus?

Ja, denn so traurig das ist: Das Interesse an Europa und an europäischen Themen wird größer. Durch die Krisen wird auch deutlich, dass wir nur im Zusammenhalt in der Lage sein werden, Probleme gemeinsam zu lösen. Jetzt wird im Zusammenhang mit Griechenland sehr stark diskutiert: Was sind die Voraussetzungen für Zusammenhalt? Also Solidarität ist ja kein Vertrag auf der Basis von Wohlfahrt sondern auf Gegenseitigkeit. Solchen Themen kommen jetzt sehr stark in den Fokus. Das heißt für uns in der europäischen Bildung: Es wird eine stärkere Konzentration auf europäische Themen und auf die Grundfragen der europäischen Integration geben.

JfE: Was ändert sich dadurch an der Europa-Bildung?

Geändert hat sich schon, dass es nicht mehr primär um die Informationsvermittlung geht. Die Informationen sind alle da. Sondern es geht darum, Schneisen durch den Wald zu schlagen, damit man sich dort überhaupt noch zurecht findet. Es geht also um Informationsmanagement und um die Verdeutlichung für die Teilnehmer, wo sie sich selbst einbringen können. Die Menschen wollen Europa nicht nur verstehen, sie wollen Europa mitgestalten, weil sie merken, dass Europa sie mitgestaltet. Das hat sich in den letzten Jahren deutlich geändert.

JfE: Was an Europa macht nach Ihrer Erfahrung gerade für junge Menschen besonders interessant?

Auf der einen Seite natürlich die vielen Vorteile: Das freie Reisen und das ganze Erasmus-Programm, das ein Super-Erfolg ist. Die meisten jungen Leute, und nicht nur die Akademiker,  wissen: Wenn sie eine Chance haben wollen, das Leben einigermaßen so zu gestalten, wie sie es leben wollen, dann hat das auch Rahmenbedingungen, die wir nur noch im europäischen Kontext gestalten können.

JfE: Wie lässt sich diese Erkenntnis in die Bildungsarbeit einbauen – und zwar so, dass die Jugendlichen die neu gewonnenen Erkenntnisse auch für sich selbst umsetzen können?

Also wir in der Europäischen Akademie machen beispielsweise Zukunftsworkshops und lassen die jungen Leute zusammenstellen, wie sie sich ihr Leben 2030 oder 2040 vorstellen. Erst mal ganz unpolitisch – und dann kann man Stück für Stück erarbeiten: Wie werden diese Rahmenbedingungen eigentlich geschaffen? Dann stellt man sehr schnell fest, der Nationalstaat ist nicht mehr Regelungsrahmen dafür. Die einzige Möglichkeit, da mitzugestalten, ist im europäischen Kontext. Diese Vermittlung von der ganz persönlichen Zukunftsplanung bis hin zu der Frage „wie kann ich sie realisieren?“, das macht Europa jenseits der üblichen Fragen für die Bildungsarbeit interessant.

JfE: Wie kann ich diese Themen an weniger gut ausgebildete junge Menschen heran bringen?

Eigentlich in der gleichen Art und Weise. Denn unabhängig von der Ausbildung haben sie bestimmte Zukunftsvorstellungen: Glücklich sein, sauberes Trinkwasser, Sicherheit – das sind ja allgemein gültige Wünsche und Ansprüche. Daran kann man auch bei Jugendlichen in niedrigeren Bildungsstufen deutlich machen, dass das alles nur noch in europäischen Zusammenhängen realisierbar ist.

JfE: Ist es sinnvoll, jungen Menschen Europa über die emotionale Schiene näher zu bringen, oder bekommen wir dann den Brückenschlag zu den rationalen Erklärungen nicht mehr hin?

Wir bestehen ja alle aus Emotionen und aus Ratio. Deshalb gehört auch beides dazu. Und deshalb setzen wir in der Europäischen Akademie nach wie vor – übrigens wie vor 50 Jahren – auch auf Begegnungsseminare. Man trifft sich, man trinkt abends einen Wein zusammen, man tauscht sich auch jenseits des formalen Seminars aus. Ich finde die emotionale Komponente sehr wichtig! Dazu kommt: Wenn wir die emotionale Schiene nicht ansprechen, dann ist die unbedient und wird von irgendwelchen Populisten angesprochen. Und das ist das Allerletzte, was wir gebrauchen können.

JfE: Man hat ein bisschen das Gefühl, dass die Europa-Idee bei jungen Menschen nicht richtig weiter kommt. Hängt das vielleicht auch damit zusammen, dass sich inzwischen viel zu viel ums Geld dreht?

Vieles ist ja für junge Menschen selbstverständlich. Dazu gehört zum Beispiel die Friedensgarantie. Die ist zwar durch die Ukraine-Krise ein wenig angeknackst, aber man macht sich über solche Themen ja kaum noch Gedanken. Das ist die Basis. Aber es besteht natürlich auch die Gefahr, dass der Kitt, der Europa zusammen hält, ein wenig in der öffentlichen Wahrnehmung fehlt. Den können wir auch nicht dadurch wieder herstellen, dass wir immer wieder die alten Zeiten beschwören.

Stattdessen muss man deutlich machen, dass die Europäische Union nicht nur eine Antwort auf die Probleme des 20. Jahrhunderts war, sondern dass sie auch eine Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist. Das können wir nur gemeinsam. Dabei ist dann wichtig, dass die anderen, mit denen wir das zusammen machen, zwar anders sind aber auch spannend, und dass wir zusammen alles in allem ein ganz gutes Team sind.

JfE: Was ist für Sie ganz persönlich das Schönste an Europa?

Die Vielfalt! Der Austausch, die unterschiedlichen Herangehensweisen – und das immer auf der Basis gemeinsamer Werte.

Das Interview führte Jörg Wild für JUGEND für Europa
Bild: David Ausserhofer

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