19.03.2015

Bottom-up meets top-down: Vernetzungstreffen zum Strukturierten Dialog

Wie gestalte ich ein Projekt im Strukturierten Dialog von Anfang bis Ende? Wie motiviere ich Jugendliche und Entscheidungsträger zur langfristigen Teilnahme? Und kann der Strukturierte Dialog die Partizipation Jugendlicher auf politischer Ebene anreizen? Viele Fragen wurden auf dem Vernetzungstreffen beantwortet – und eine ganze Reihe neuer Fragen aufgeworfen.

"Ich kann den Strukturierten Dialog in einem Satz erklären". Dies ist eine der vier Aussagen, zu denen sich die Teilnehmenden des Vernetzungstreffens im Seminarraum positionieren sollen. Diejenigen, die dieser Aussage zustimmen, positionieren sich links der Moderatorin, wer nicht zustimmen kann, rechts von ihr.

Auf der rechten Seite: dreißig Personen. Links: vier. Lachen und Kommentare von rechts. Dann: gespanntes Warten auf die Definitionen. "Der Strukturierte Dialog ist eine Möglichkeit, Jugendliche am politischen Prozess zu beteiligen", so lautet die erste. "Jugendliche und Entscheidungsträger tauschen sich über Politik und politische Schranken aus", eine zweite.

Herausforderungen im Strukturierten Dialog

Vertreter von nationalen Koordinierungsstellen, Nationalagenturen und Ministerien treffen beim Vernetzungstreffen auf Vertreter von Landesjugendringen, politischen und kulturellen Bildungsträgern, Stiftungen sowie lokalen und regionalen Vereinen. Mit mehr oder mit weniger Erfahrungen in der Umsetzung von Projekten des Strukturierten Dialogs haben sie Zeit, sich zur EU-Jugendstrategie und der Förderstruktur der Leitaktion 3 im Programm Erasmus+ zu informieren. Sie können Erfahrungen austauschen, Beispiele guter Praxis vorstellen, sich vernetzen.

Die Diskussionen sind dementsprechend vielseitig, doch kristallisieren sich drei Hauptschwertpunkte heraus: Wie motiviere ich Jugendliche und Entscheidungsträger zur Teilnahme? Wie gestalte ich die die Nachhaltigkeit von Projekten des Strukturierten Dialogs? Wie sichere ich eine europäische Dimension?

Das sind die Problemfelder, die auch von der kürzlich erschienenen Begleitstudie zum Strukturieren Dialog identifiziert wurden. Sie finden Eingang in drei parallele Workshops. Alle anderen Anliegen, erste Projektideen und spezielle Fragen zum Antragsverfahren werden vom Open Space aufgefangen.

Politikverdrossene Jugend versus jugendverdrossene Politik

"Wenn man den Jugendlichen mit Begriffen wie 'EU-Politik' kommt, kann man sie schnell abschrecken", so Ulrike Oltmanns vom Bremer Jugendring. "Wenn man aber kreative Methoden einsetzt, gewinnt man sie leichter für die Teilnahme an einem Strukturierten Dialog", fährt sie fort.

Die Arbeitsgruppe diskutiert über das Thema "Motivation zur Teilnahme". Sie kommen zum Schluss, dass  man die Motivation der jungen Menschen an Projekten teilzunehmen steigern kann, indem man sie in konkrete Aktivitäten vor Ort einbindet, ihnen Verantwortung überträgt und ihren Anliegen und Bedürfnissen Aufmerksamkeit schenkt.

Dieselbe Arbeitsgruppe beschäftigte sich auch mit der zweiten Seite des Dialogs – den politischen Entscheidungsträgern. Denn auch diese haben manchmal Scheu, sich mit Jugendlichen und Jugendthemen auseinander zu setzen. Doch die Erfahrung zeigt: Werden ihnen die Vorteile der Jugendbeteiligung bewusst gemacht, wird ihnen Vertrauen entgegengebracht und Beispiele guter Praxis aus anderen Ländern aufgezeigt, so sind die Politiker eher zur Teilnahme bereit.

Schließlich sind es die gegenseitigen Vorurteile, die einen Dialog erschweren. Die Jugendlichen seien politikverdrossen – glauben die Politiker. Die Politiker interessierten sich nicht für ihre Belange – glauben die jungen Menschen. Diese Bilder von der jeweils anderen Seite sind verzerrt, verhindern eine gegenseitige Annäherung und müssen zunächst ausgeräumt werden. Das ist Aufgabe der Projektkoordinatoren und Moderatoren während des Prozesses eines Strukturierten Dialogs.

Sprich mit Deiner Nationalagentur!

Doch wie schafft man es, die Teilnehmenden über einen längeren Zeitraum 'bei der Stange' zu halten? Muss dazu nicht zunächst eine gewisse Nachhaltigkeit in der Projektkoordination sichergestellt werden?

"Nachhaltigkeit entsteht durch Strukturen, das Fördertool der Leitaktion 3 ist in Förderzeitraum und Mittelhöhe begrenzt, sodass allein damit keine nachhaltigen Strukturen geschaffen werden kann“, so Markus Rebitschek von der Europäischen Jugendbildungsstätte Weimar. Die Arbeitsgruppe zum Thema "Nachhaltigkeit" schlägt vor, mit Unterstützung der Bund-Länder-AG nationale Jugendinitiativen aufzubauen, die als fester Rahmen Mittel für die projektbezogene Arbeit akquirieren. Personelle Kontinuität ist die Basis für inhaltliche Kontinuität.

Und wie schafft man Letztere? Zum Beispiel durch Öffentlichkeitsarbeit. Mit ihr kann man Druck auf Politiker ausüben, sich mit Jugendthemen zu beschäftigen und Forderungen umzusetzen. Oder durch die Einbindung der Jugendlichen in die Projektkonzipierung. Und: Indem man einen engen Kontakt zur Nationalagentur wahrt, die stets beratend zur Seite steht.

Der Strukturierte Dialog und die europäische Dimension

Spricht man mit Lokalpolitikern über die Einrichtung eines Jugendcafés, so scheint Europa dabei vordergründig gar keine Rolle zu spielen. Im Jugendcafé Rhauderfehn ist das anders: Es wird unter anderem von zwei Europäischen Freiwilligen betrieben, die Sprachkurse für Asylbewerber anbieten. Den Jugendlichen klar, dass sie ohne die Gelder der EU den Dialog nicht führen könnten. So wird Europa auch im lokalen Kontext greifbar.

"Doch wie können wir diese Dialoge, die auf lokaler, regionaler und auch nationaler Ebene erfolgreich geführt werden, auch auf EU-Ebene führen?", fragte Markus Rebitschek. Man könnte natürlich in fünf EU-Ländern Dialog-Veranstaltungen zu einem bestimmten Thema (zum Beispiel Bildung) organisieren. Die Jugendlichen würden zusammen mit den Politikern feststellen, dass es hier ein Problem gibt, was die gesamte EU betrifft.

"Doch wie geht es von hier aus weiter?“. Auf EU-Ebene können keine Beschlüsse zum Thema Bildung gefasst werden, da Bildung Sache der einzelnen Mitgliedstaaten sei. Auch seien die Kompetenzbereiche der involvierten Politiker begrenzt. Dies müsse klar kommuniziert werden, um falsche Erwartungen der Jugendlichen zu verhindern, schlossen die Diskussionsteilnehmer. Eine konkrete Antwort auf Ausgangsfrage gibt es in dieser Runde noch keine. Stattdessen: weitere Fragen.

Ausblick

Natürlich wollen die meisten Teilnehmenden demnächst einen erfolgreichen Strukturierten Dialog organisieren. Womöglich mit Partnerorganisationen, die sie auf dem Treffen kennengelernt haben. "Was aber sind die Kriterien, nach denen der 'Erfolg' eines Projekts gemessen wird?“ - lautet ein Teilnehmerkommentar auf dem Flipchartpapier.

"Es gibt sie nicht, diese generalisierten Vorgaben, die garantiert zum Erfolg eines Projektes des Strukturierten Dialogs führen", so Yvonne Buchalla, Programmreferentin für die Förderung des Strukturierten Dialogs bei JUGEND für Europa. Sie koordiniert das Vernetzungstreffen. Orientieren kann man sich jedoch an den Förderkriterien, die Buchalla vorstellt. Sie betreffen die Relevanz, Qualität und angestrebte Wirkung eines Projekts im Strukturierten Dialog.

Die Teilnehmenden, die in der Durchführung solcher Projekte bereits viel Erfahrung haben, sind sich einig, dass man die eigenen Erwartungen an die Wirkung manchmal etwas zurückschrauben muss und den Politikern nicht zu viel zumuten soll. Politik und Verwaltung sind langsam und das sollte man sich klarmachen, wenn man diese mit dem Instrument des Strukturierten Dialogs zu Veränderungen anregen möchte. Und Jugendliche politisieren sich nicht automatisch, nur, weil sie an einem Strukturierten Dialog teilgenommen haben. "Ich finde, allein, wenn Jugendliche Eigeninitiative entwickeln oder sie gesellschaftlich aktiv werden, ist das politisch", so Pirjo Niskanen vom Europahaus Aurich.

Am Ende des Treffens bleibt es schwierig, den Strukturierten Dialog in einem Satz zu erklären. Doch alle nehmen hilfreiche Anregungen und konkrete Informationen über die Bewilligungskriterien mit nach Hause. Und das gute Gefühl, sich mit Fragen und Problemen an die Nationalagentur, die Koordinierungsstelle beim DBJR oder andere Organisationen wenden zu können.

Babette Pohle für JUGEND für Europa
Bild: Babette Pohle

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Weiterführende Informationen

Begleitstudie: Resonanz und Wirkung des Strukturierten Dialogs, (PDF-Dokument, 465 KB)

 

Weiterführende Interviews

Interview mit Yorick Pommée: Mit einem direkten Draht zur Ministerin: Strukturierter Dialog in der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgien

Interview mit Kalle Puls-Janssen und Pirjo Niskanen: Rhauderfehn europäisch, oder: Ein gelungenes Projekt des Strukturierten Dialogs

Interview mit Maria Lettner: Von null auf hundert: Die Umsetzung des Strukturierten Dialogs in Österreich

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Veranstaltet wurde das Vernetzungstreffen von JUGEND für Europa in Kooperation mit den Nationalen Agenturen für Erasmus+ JUGEND IN AKTION aus Belgien (Deutschsprachige Gemeinschaft), Luxemburg, Liechtenstein und Österreich.

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