28.04.2015
"Sektorspezifischen Belangen soll wieder deutlich mehr Berücksichtigung geschenkt werden"
Seit 2014 ist JUGEND IN AKTION mittlerweile Programmbestandteil von Erasmus+. Wir sprachen mit Hans-Georg Wicke, Leiter von JUGEND für Europa, was diese Entwicklung für das europäische Jugendprogramm bedeutet hat. Was ist der Gewinn? Welchen Veränderungsbedarf gibt es? Und was sind die Chancen und Herausforderungen für die nächsten Jahre?
JfE: Herr Wicke, blicken wir einmal kurz vier Jahre zurück: Die Diskussion um die Fortführung eines europäischen Jugendprogramms ist in vollem Gange. Der Ausgang ungewiss. Nun, 2015, ist JUGEND IN AKTION ein eigenständiger Programmteil von Erasmus+. Und allein im ersten Programmjahr sind bei JUGEND für Europa rund 1.000 Förderanträge eingegangen. Der Start von Erasmus+ war also ein voller Erfolg. Oder?
Hans-Georg Wicke: Ich glaube, die Einführung war zumindest in wesentlichen Teilen ein großer Erfolg. Damit, dass wir so viele Anträge erhalten und das Niveau von 2013 übertroffen haben, konnten wir angesichts der bei einem Programmwechsel immer auftretenden Schwierigkeiten nicht unbedingt rechnen.
Wir haben aber nicht nur viele Anträge bekommen, sondern auch die Qualität der Anträge war gut. Das ist ein großer Erfolg. Genauso wie die Tatsache, dass neue Aktionen, und hier insbesondere die Strategische Partnerschaften so gut angenommen worden sind.
Außerdem glaube ich, dass sich JUGEND IN AKTION seit dem Programmstart einen akzeptierten Stellenwert innerhalb des Programms erarbeitet hat. Auch da hat es ja viele Diskussionen im Vorfeld gegeben. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir im Programm untergehen. Ganz im Gegenteil: Wir sind sichtbar und erfahren möglicherweise noch mehr Anerkennung als vorher – zumindest von den anderen Bildungsbereichen. Wir werden sehr deutlich und sehr positiv wahrgenommen.
Wo liegen die Probleme?
Nun, es bleibt natürlich ein Problem für die Antragsteller (besonders für die weniger erfahreneren), sich in diesem großen Programm zurechtzufinden. Da gibt es keinen Fortschritt an dieser Stelle zu verzeichnen. Antragstechnisch ist es sogar schwieriger geworden, uns zu finden und zu verstehen, was das Besondere an JUGEND IN AKTION in diesem Programm ist. Da werden wir viel Arbeit und Energie reinstecken müssen, um dies zu vermitteln.
Ansonsten gab es viele technische Probleme und gibt es immer noch. Es gibt eine Reihe von neuen Tools, die auch für Antragsteller zusätzliche Hürden im ersten Jahr dargestellt haben. Das hat natürlich viele frustriert. Ich hoffe, wenn es eine gewisse Gewöhnung damit gibt, wird dies zu Vereinfachungen führen. Aber wenn solche Dinge neu sind, ist es natürlich schwierig.
Für dieses große Programm gibt es den Ansatz der EU-Kommission, alle Programmbereiche gleich zu behandeln. Sie haben es gerade gesagt: Es ist besonders für unerfahrene Organisationen nicht einfacher geworden, sich im Programm zurechtzufinden. Da stellt sich die Frage: Ist das ein Maßanzug oder eher Konfektionsware?
Problematisch bei der Idee von "One size fits all" sind vor allem die Richtlinien und Verfahren, die über die Sektoren hinweg gleichermaßen angewendet werden. Damit verlieren wir an vielen Stellen die Möglichkeit, spezifisch zu reagieren. Aus meiner Sicht ist das die größte Schwierigkeit für uns und für die Antragsteller derzeit.
Das letzte Jahr hat gezeigt, dass dieses "One size fits all" nicht passt. Was deutlich geworden ist: Wir müssen spezifisch arbeiten, um die jeweiligen Zielgruppen auch an das Programm heranzuführen und um wirklich die beabsichtigten Wirkungen in den einzelnen Bereichen zu erzielen.
Da lassen sich erfreulicherweise inzwischen Veränderungen feststellen. Es hat ein spürbares Umdenken innerhalb der Kommission und bei den Agenturen eingesetzt. Sektorspezifischen Belangen soll wieder deutlich mehr Berücksichtigung geschenkt werden. An vielen Stellen wird über Änderungen des Programmleitfadens nachgedacht, ebenso wie über Änderungen der Verfahren, mit denen die Nationalagenturen zu arbeiten haben.
Ich glaube, das ist der richtige Weg. Nur so können wir wieder zu Maßanzügen zurückkommen, die wirklich passen.
Wenn zukünftig die sektorspezifischen Belange wieder stärker berücksichtigt werden: Wo liegen die größten Chancen im neuen Programm?
Das Erste ist, es wird mehr Geld geben. Das ist natürlich eine Riesenchance. Im Moment haben wir noch nicht mehr Geld, aber es wird sich im Laufe der Zeit fast verdoppeln. Das heißt, wir können mehr Projekte fördern.
Das Zweite ist, dass das Programm politischer geworden ist. Es nimmt sehr viel mehr auf jugendpolitische Fragen Bezug und auf Fragen der Jugendarbeit und Jugendhilfe. Damit entstehen auch mehr Gestaltungsspielräume.
Die dritte große Chance ist, dass neue Formate hinzugekommen sind. Wir haben mit den Strategischen Partnerschaften ein sehr geeignetes Format hinzubekommen, mit dem wir in der Praxis deutlich etwas verändern können. Derzeit haben wir in diesem Bereich noch eine sehr hohe Ablehnungsquote, weil nicht genug Geld zur Verfügung steht. Aber auch dies wird sich im Laufe der Zeit einpendeln.
Und das Letzte: Die Zusammenarbeit mit den anderen Sektoren bietet Chancen, die wir so noch gar nicht erschlossen haben. Dies gilt für alle Sektoren gleichermaßen, weil wir alle mit der Programmeinführung befasst waren. Doch hier gibt noch viel Potential – und es wird spannend werden, sich an dieses heranzutasten.
In Deutschland gibt es vier Nationalagenturen, die das Programm umsetzen. Die Nationalagenturen beim BIBB, beim DAAD und beim PAD haben früher bereits das Programm Lebenslanges Lernen umgesetzt. JUGEND für Europa ist sozusagen als ganz neuer Partner eingestiegen. Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit?
Nun, es kommen vier fremde Welten zusammen. Das gilt für alle Bereiche. Die Schulwelt ist zum Beispiel eine ganz andere als die Welt der Universitäten oder die der beruflichen Bildung. Und unsere Welt sieht noch mal etwas anders aus.
Wir haben aber anerkannt, dass wir in unterschiedlichen Bereichen arbeiten. Trotzdem gibt es eine Reihe von inhaltlichen und programmtechnischen Berührungspunkten. So gibt es gewisse Dinge, die wir gemeinsam abwickeln müssen und auch wollen (wie zum Beispiel ein gemeinsames Zugangsportal im Internet oder die gemeinsame Auftaktveranstaltung im letzten Jahr.)
Es gibt viel inhaltlichen Austausch auf der Ebene der Leitaktionen. Wir als Leiter treffen uns regelmäßig und besprechen unsere Arbeitspläne und überlegen, wo es Kooperationsmöglichkeiten gibt. Da werden wir in den nächsten Jahren vor allem mit dem Schulbereich überlegen, was wir gemeinsam anstoßen können.
Also, es gibt auch in unserer konkreten Zusammenarbeit noch unentdecktes Feld, dass wir uns gemeinsam behutsam eröffnen werden. Es ist alles sehr erfreulich und sehr auf Augenhöhe. Wir gehen sehr solidarisch und konstruktiv miteinander um.
Eine Stärke von JUGEND IN AKTION ist sein europäisches Netzwerk der Nationalagenturen, das immer auch inhaltliche Akzente im Programm gesetzt hat. Wie hat sich die Arbeit im Netzwerk verändert durch Erasmus+?
Das Netzwerk baut sich im Grunde von neuem wieder auf. Viele Agenturen sind so geblieben wie sie waren, aber es gibt auch eine Reihe von Agenturen, in denen deutliche Veränderungen stattgefunden haben. Was dazu geführt hat, dass manchmal nicht mehr so klar ist, wer in einer Agentur für den Jugendbereich oder für den Schulbereich oder sonst etwas zuständig ist. Früher war es klarer, dass es eine Leiterin / einen Leiter der Nationalagentur JUGEND IN AKTION gegeben hat. Das ist so nicht mehr gegeben.
Damit gehen auch noch einmal spezifisches Wissen, Haltungen und Arbeitsweisen in solchen Agenturen verloren, die man jetzt wieder aufbauen muss. Viele dieser Agenturen, die über alle Sektoren arbeiten, müssen darüber nachdenken, wie sie diesen Programmteil JUGEND IN AKTION in seiner Besonderheit umsetzen. Genauso wie wir als Nationalagentur für JUGEND IN AKTION überlegen müssen, wie wir Kooperationen mit den anderen Programmsektoren herstellen können.
Aber tatsächlich, das wird eine der Herausforderungen für die kommenden Jahre sein, das spezifische Profil von JUGEND IN AKTION in diesem großen Programm Erasmus+ als Netzwerk der Nationalagenturen weiter zu schärfen und zu stärken.
Stichwort: Profilschärfung. Sie haben zu Beginn gesagt: JUGEND IN AKTION hat einen akzeptierten Stellenwert innerhalb des Programms. Jetzt wird Erasmus+ in der öffentlichen Wahrnehmung immer noch meist als Studierendenprogramm angesehen. Wie lässt sich dies ändern bis 2020, vielleicht noch einen Tick vorher?
Ich glaube tatsächlich, dass es früher sein muss, auch um in den nächsten Programmverhandlungen zu verdeutlichen, dass JUGEND IN AKTION eine wichtige Bedeutung in diesem Programm und in der öffentlichen Wahrnehmung hat. Umso wichtiger ist es, an einem jugendpolitischen Profil dieses Programms zu arbeiten. Hier in Deutschland aber auch gemeinsam mit den anderen europäischen Nationalagenturen.
Ansonsten haben wir mit dem Europäischen Freiwilligendienst bereits so etwas wie die zweite Marke nach den Erasmus-Studenten. Das, was der EFD ermöglicht und das, was die Freiwilligen leisten, wird in der Öffentlichkeit sehr geschätzt. Insofern sind wir gar nicht so unsichtbar, wie wir das manchmal denken. Der Europäische Freiwilligendienst mag vielleicht noch nicht so bekannt sein wie die Erasmus-Studenten, ist aber von ähnlicher Qualität.
Und es gibt tatsächlich auch andere Vorteile. Ich glaube, dass die Wahrnehmung von Erasmus+ insgesamt sehr viel höher ist, als wir sie jemals mit JUGEND IN AKTION alleine hätten erzielen können. Ich denke nur an die Auftaktveranstaltung im letzten Jahr mit 500 Leuten aus allen Bereichen, zum Teil politisch hochrangig besetzt. Dadurch wird natürlich auch unser Programmteil bekannter. Auch auf diesem Weg kommen wir an Zielgruppen, die noch nie vorher von uns gehört haben.
Kurz noch einmal zurück zum Europäischen Freiwilligendienst. Seit beinahe 20 Jahren gibt es ihn. Er wird gerade von den Jugendlichen selber als einmalige Chance wahrgenommen. Trotzdem beklagen immer mehr Organisationen, dass der bürokratische Aufwand für die Beantragung eines Projekts zu hoch ist. Entsteht da eine Gefahr für die Marke EFD?
Die entscheidende Frage ist für mich: Was ist die Marke? Und die Marke ist Europäischer Freiwilligendienst. Und wenn ich etwas tun will für Europa und etwas beitragen will zu der europäischen Idee, dann gibt es aus meiner Sicht tatsächlich nur und ausschließlich diesen Freiwilligendienst: den EFD. Das ist sein spezifisches Profil.
Und hier liegt die Besonderheit des EFDs in Abgrenzung zum Beispiel zu den verschiedenen Freiwilligendiensten, die wir in Deutschland haben. Insofern geht es darum, Einrichtungen zu überzeugen, etwas für dieses Europa zu tun.
Ich glaube auch, dass wir den Antragsteller noch besser die Potentiale vermitteln müssen, die sich zum Teil in den neuen Verfahren und Richtlinien verbergen. Hier gibt es tatsächlich Vereinfachungsmöglichkeiten, wenn man zum Beispiel nicht immer nur Eins-zu-Eins-Projekte beantragt, sondern größere Freiwilligendienstprojekte entwickelt, die längerfristiger Natur oder miteinander verbunden sind.
Das ist möglich mit dem neuen Programm. Wir haben im Grunde neue Möglichkeiten und Chancen, mit dem EFD konzeptioneller umzugehen und weitergehende Dinge auf den Weg zu bringen. Aber leider ja, für Neueinsteiger bleibt es weiterhin schwierig.
Und zum Schluss: Was war ihr persönliches Highlight 2014?
Das persönliche Highlight für mich war, als wir auf dem Business Meeting der Nationalagenturen für JUGEND IN AKTION im November in Rom tatsächlich alle 35 Nationalagenturen wieder zusammen hatten. Leute, die sich verantwortlich fühlten für diesen Programmbereich..
Da wurde deutlich: Die Situation in den Nationalagenturen hat sich konsolidiert, alle sind angekommen, es sind neue KollegInnen da. Das erste Programmjahr ist geschafft. Die Aufregung hat sich ein bisschen gelegt. Und es fängt so langsam an, dass wir als Programm JUGEND IN AKTION wieder ein Stück inhaltlich denken können und bereit sind, inhaltliche Akzente zu setzen.
Das war sehr erfreulich, dass uns dies am Ende des Jahres noch gelungen ist und wir eine Wende gespürt haben.
(JUGEND für Europa)
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