22.03.2016

Wir youtuben das mal: Digitale Medien und Bildung beim Fachforum Europa in Nürnberg

Viele Fachkräfte in der europäischen Jugendbildung haben ein Problem, wenn es um den Einsatz digitaler Medien als pädagogisches Mittel geht: Ihre Sozialisation mit digitalen Medien unterscheidet sich extrem von der der Zielgruppe. Das neunte Fachforum Europa am 14./15. März in Nürnberg wollte dem begegnen. Leise entwickelte sich ein neues Verständnis dafür, wer neben den üblichen Fachkräften neue Akteure der europäischen Jugendbildung sein könnten.

Der Auftakt des 9. Fachforums Europa stand noch ganz unter dem Eindruck des erschreckenden Wahlergebnisses vom Vorabend in drei deutschen Bundesländern. Unter den Wählern waren laut Statistiken auch viele junge Menschen. Eine Begründung für diesen offline-Wahlerfolg sehen viele im online-Erfolg der AfD, vor allem auf Facebook: Mit 250.000 Fans vereint sie in ihrer Community mehr Menschen als CDU und SPD zusammen. Das Thema des Fachforums „Digitale Medien – neue Chancen in der Europabildung?“ bekam mit diesem Wahlergebnis eine zusätzliche, sehr aktuelle Brisanz. Und so auch die Forderung Manfred von Hebels, JUGEND für Europa, in seinem Inputreferat: „Wir brauchen mehr politische Bildung.“

Denn einhergehend mit den Renationalisierungstendenzen, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Ländern Europas, ließe sich beobachten, dass Jugendliche die Errungenschaften und Vorteile der EU für ihr alltägliches Leben immer mehr für selbstverständlich hielten und vergäßen, dass eine lebendige europäische Zivilgesellschaft vom Engagement jedes einzelnen lebe. Die Konsequenz: sinkende Wahlbeteiligung bei Jugendlichen und eine Schere zwischen sehr engagierten jungen Leuten einerseits und Politikverweigerern andererseits.

Digitale Bildung – eine Generationenfrage

Mit solchen Ereignissen wird stets, neben dem Ruf nach mehr politischer Bildung, die Forderung laut, die Jugendlichen mit den Angeboten der politischen Bildung dort abzuholen, wo sie stehen. Diesen Ansatz ergreift das Fachforum: Digitale Medien, als elementarer Bestandteil der Lebensrealität junger Menschen und das damit einhergehende, veränderte Kommunikationsverhalten sollten als Chance für die europabezogene Jugendarbeit verstanden werden. Es gibt Workshops und Projektpräsentationen u.a. zu Kampagnenarbeit, eParticipation, Newsgames und Youtube als Mittel zur Bearbeitung von europapolitischen Themen.

Das Fachforum selbst wird dabei zum Spiegelbild der oben beschriebenen Schere. Wenn sich auch alle Teilnehmenden hier einig über die Wichtigkeit von Demokratiebildung, Wertevermittlung und Jugendpartizipation unter Einbeziehung digitaler Medien sind: Die Teilnehmenden des Fachforums sind Fachkräfte und Akteure der Jugendbildung, mehrheitlich selbst nicht mehr jugendlich sondern sogenannte digital immigrants. Die wenigen jungen Erwachsenen, die anwesend sind, sehen sich nicht als repräsentativ für die Zielgruppe, um die es vorrangig geht. Benachteiligte Jugendliche in ihrer Lebenswirklichkeit zu erreichen und ihnen passende Bildungsangebote zu machen, bleibt denn auch nach dem Fachforum eine offene Aufgabenstellung. Wollen die Akteure der politischen Jugendbildung diese Lebensrealität verstehen und digitale Medien für europäische Bildung einsetzen, müssen sie die Jugendlichen als Experten wahrnehmen und sie anhören, gemeinsam mit ihnen Strategien entwickeln. Die Lebensrealität Jugendlicher, der digital natives, die mit diesen Medien aufgewachsen sind, besteht gleichermaßen aus online- und offline-Ereignissen, sie können sich ein Leben ohne digitale Medien nicht mehr vorstellen. Sie sind die Experten, wenn es um digitale Medien geht.

Die  Teilnehmenden des Fachforums haben selbst großen Nachholbedarf, wenn es um die genannten digitalen Medien geht. In der Präsentation zu Onlinespielen hat einer von zehn Anwesenden selbst Erfahrung im Gaming. LeFloid ist nicht allen ein Begriff und Vines sind noch nahezu unbekannt.

Digitale Medien sind nicht das Allheilmittel bei Politikverdrossenheit und Europaabkehr von Jugendlichen

Ein europäisches Thema, ein Newsgame oder ein Youtube-Kanal, fertig ist ein neues Bildungsinstrument und die Bereitschaft junger Menschen, sich aktiv einzubringen? So einfach ist es leider nicht. „Wenn das Thema nicht sowieso zieht bei den Jugendlichen, dann ist ein Computerspiel natürlich kein Allheilmittel“, so Ulrich Tausend vom Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF). Ulrich Tausend setzt Newsgames, also Computerspiele mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Inhalten, ein, um Jugendliche an bestimmte Themen heranzuführen und mit ihnen über diese Themen zu sprechen. Sonja Breitwieser vom Medienzentrum PARABOL e.V. sieht das ähnlich: Sie produziert mit Jugendlichen in Nürnberg einen Youtube-Kanal zu aktuellen stadtrelevanten Themen. Dabei hat sie beobachtet, dass die Reichweite der Clips höher ist, je stärker die Jugendlichen selbst hinter dem Thema stehen, da sie die Clips dann in der eigenen Community teilen. Newsgame, Youtube-Kanal oder andere Medien wie siebensekündige Vine-Clips sind dann in der pädagogischen Arbeit vor allem ein Mittel, sich stärker über die jeweiligen Themen zu informieren und eine eigene Meinung dazu zu entwickeln.

Andersherum könne man beliebte Spiele wie Minecraft einsetzen, um bestimmte Themen zu vermitteln, erklärt Ulrich Tausend. Bei Minecraft bauen die Spieler aus Blöcken eine eigene 3D-Welt. „Letztes Jahr haben wir den Minecraft-Wettbewerb 'Zukunftsstadt' veranstaltet. Die Jugendlichen sollten sich überlegen, wie sich Städte in Zukunft verändern werden, diese Änderungen definieren und dann eine Stadt bauen, die auf die Änderungen reagiert. Etwa 90 verschiedene Gruppen haben ihre Ideen eingereicht. In dem Zusammenhang haben sie sich intensiv zum Beispiel mit Fragen nach politischen Systemen beschäftigt“, so Ulrich Tausend.

Neben einem Thema, was die Jugendlichen sowieso interessiert, oder einem beliebten Medium ist die Beziehungsarbeit weiterhin extrem wichtig. „Die Jugendlichen müssen immer wieder und persönlich motiviert werden, mitzumachen. Allein die Vorstellung, an einem Youtube-Kanal zu arbeiten, reicht nicht aus“, so Sonja Breitwieser.

Eine etwas andere Art von Beziehungsarbeit findet man bei einem Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung: Die Bundeszentrale hat sich an Youtuber gewandt, die bei Jugendlichen beliebt sind. LeFloid, Hatice Schmidt und andere erklären in Youtube-Clips und in der ihnen jeweils eigenen Art komplexe Zusammenhänge und erreichen über ihre Community die Zielgruppe besser.

eParticipation-Tools, entwickelt um die offline-Bürger- und/oder Jugendbeteiligung in Entscheidungsfindungen online zu ergänzen und zu verstärken, unterliegen ähnlichen Gesetzmäßigkeiten. „Wenn die offline-Beteiligung nicht funktioniert, funktioniert auch die online-Beteiligung nicht“, erklärt Evaldas Rupkus, Projektkoordinator für die Entwicklung der Online-Toolbox „OPIN“ beim europaweiten Innovationsprojekt “EUth – Tools and Tips for Mobile and Digital Youth Participation in and across Europe”. Wenn es um solche Beteiligungsprozesse geht, sollte man sich als Akteur, ob nun aus der Jugendarbeit oder aus der Stadtverwaltung, vor allem fragen, an welchen Stellen online-Beteiligung überhaupt sinnvoll ist. „Der Fokus auf die kommunale Ebene ist sehr hilfreich, da man Erfolge von Beteiligungsprozessen hier schneller und unmittelbarer erleben kann“, so Rupkus.

“Lernen mit allen Sinnen“ - Die eigene Medienkompetenz ist entscheidend

Welche Herausforderungen ergeben sich mit der veränderten Kommunikation und den digitalen Medien für die europabezogene Jugendarbeit? Für alle vorgestellten Projekte beim Fachforum zeigt sich: Neben der inhaltlichen Expertise zu Europathemen kommt die nicht zu unterschätzende Relevanz der eigenen Medienkompetenz, die die Fachkräfte mitbringen, die sie sich vielleicht zunächst aneignen müssen. Es reicht nicht aus, die Namen von Youtubern mal gehört zu haben, oder zu wissen, was Minecraft ist. Die Fachkräfte müssen die Medien verstehen, wenn sie ihre Expertise - vor allem das Lernen „mit allen Sinnen“ - sinnvoll verknüpfen wollen mit einer attraktiven Einbindung digitaler Medien.

Martin Fischer vom Network of European Digital Youth (NERDY), der sich im Rahmen des Projekts „GameOverHate“ gegen Hatespeech und Diskriminierung in Computerspielen einsetzt, geht sogar noch weiter. Im besten Fall nutzen die Fachkräfte die jeweiligen Medien selbst aktiv, spielen zum Beispiel die Computerspiele, die die Jugendlichen auch spielen, und verstehen somit die dort vorherrschende eigene Sprache und Logik.

Die Fachkräfte müssen also authentisch mit den Medien umgehen und darüber hinaus die Herausforderungen kennen und einordnen können, die mit dem jeweiligen Medium einhergehen. Schließlich müssen sie, wenn sie diese Medien für die Vermittlung politischer und/oder europabezogener Inhalte, Werte oder Diversitätsbewusstsein nutzen wollen, in der Lage sein, die Inhalte an die jeweils eigene Logik des Mediums anzupassen.

Ein neues Verständnis von Fachkräften ist gefragt

So sind auch andere Akteure und ein erweitertes Verständnis von Fachkräften der europabezogenen Jugendarbeit gefragt. Martin Fischer wendet sich im Rahmen des Projekts „GameOverHate“ zum Beispiel gezielt an Community Manager, Menschen, die von Spieleherausgebern oder -entwicklern eingesetzt werden, um die online-Interaktion der Spielenden zu moderieren. Sie sind die Multiplikatoren der Spielcommunity, bewegen sich dort authentisch und kennen die Probleme und Themen, die besprochen werden. Eine Überlegung des Projekts „GameOverHate“ ist es, dass Spieleherausgeber und -entwickler sehr interessiert sind an einer festen Community, die gut miteinander klar kommt. Diversitätsbewusstsein und gegenseitiger Respekt der Spielenden sind daher gefragt und ein Community Manager wäre die Schlüsselperson, um diese Inhalte zwischen politischen Bildnern und einer Community zu vermitteln.

Es muss für die Weiterentwicklung der politischen Jugendbildung unter Einbeziehung digitaler Medien in Zukunft immer wichtiger werden, dass Fachkräfte selbst stets auf einem aktuellen Stand sind, was die technischen Entwicklungen betrifft, dass sie selbst diese Medien beherrschen. Der Fachdiskurs um das Thema „Europabildung mit digitalen Medien“ könnte vom Grunde her der partizipativste überhaupt sein, denn erfolgreich kann hier nur der sein, der mit den Jugendlichen gemeinsam Strategien entwickelt, bereit ist, von ihnen zu lernen und mit ihnen die Zielgruppe zu erreichen.

(Babette Pohle im Auftrag von JUGEND für Europa)

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