29.09.2016
"Transparent machen, welche Kompetenzen erworben werden können" - zwischen Anerkennung und Verzweckung der Jugendarbeit
Menschen, die in der (internationalen) Jugendarbeit tätig sind, eignen sich auf non-formalem und informellem Weg ständig neue Kompetenzen an. Diese Kompetenzen finden noch immer zu wenig Anerkennung in der formalen Bildung sowie gesamtgesellschaftlich. Wie lässt sich dies ändern?
JUGEND für Europa sprach mit Regina Roland, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule Kempten daran arbeitet, non-formal erworbene Kompetenzen aus der Jugendarbeit im hochschulischen Curriculum anzuerkennen.
JfE: Frau Roland, wenn wir von non-formal erworbenen Kompetenzen aus der (internationalen) Jugendarbeit sprechen, welche Kompetenzen meinen wir damit? Können Sie uns ein paar Beispiele nennen?
Regina Roland: Diese Frage müssen wir in unserem Praxisforschungsprojekt noch klären. Denn es gibt ja verschiedenste Möglichkeiten, sich in der Jugendarbeit zu engagieren, verschiedene Rollen, die eingenommen werden können. Und in Bezug auf unser Projekt stellt sich die Frage: Wie können diese Kompetenzen erfasst werden, so dass dann auch eine Wertschätzung, Anerkennung und Anrechnung für unser Hochschulstudium erfolgen kann?
Wir stehen mit unserem Praxisforschungsprojekt in dieser Frage noch am Anfang, da wir davon ausgehen, dass wir eine empirische Grundlage benötigen, um überhaupt zu wissen, welche Kompetenzen man in der Jugendarbeit erwerben kann. Doch die Grundannahme ist, dass man in der Jugendarbeit vielfältige Kompetenzen erwerben kann.
Was macht, Ihrer Meinung nach, die non-formal erworbenen Kompetenzen aus der Jugendarbeit so wertvoll für die Arbeit von Youth Workern im Vergleich zu denjenigen Kompetenzen, die an der Hochschule vermittelt werden?
Den Kompetenzen aus der non-formalen Bildung und den Kompetenzen aus der formalen Bildung liegen zwei verschiedene Logiken zu Grunde. Die formalen Kompetenzen sind zertifiziert; charakteristisch für non-formale Kompetenzen ist es, dass sie nicht zertifiziert sind.
Die Herausforderung für uns ist es jetzt, diese beiden zu verbinden und den Anforderungen aus dem formalen Sektor gerecht zu werden. Wenn Kompetenzen aus der non-formalen Bildung im hochschulischen Curriculum angerechnet werden sollen, müssen sie bestimmten Anforderungen entsprechen, kompatibel, nachvollziehbar und transparent sein.
Dies ist das Ziel ihres Praxisforschungsprojekts: die Anerkennung non-formal erworbener Kompetenzen im formalen Bildungsbereich. Können Sie uns dieses Kompetenzmodell kurz skizzieren?
Nein, da stehen wir noch komplett am Anfang. Wir arbeiten im Moment an einer Handreichung für die Hochschule mit Methoden für die Anrechnung non-formal erworbener Kompetenzen aus der Jugendarbeit. Das hat folgenden Hintergrund: Der Studiengang "Soziale Arbeit mit Schwerpunkt Jugendarbeit" der Hochschule Kempten, auf den sich unser Praxisforschungsprojekt bezieht, richtet sich an Menschen, die in der Jugendarbeit tätig sind, aber noch keinen formalen Abschluss als Sozialarbeiter oder ähnliches haben, welcher aber eigentlich Voraussetzung für die berufliche Tätigkeit in der Jugendarbeit ist.
Wenn diese Menschen dann bei uns studieren, sollen sie die Kompetenzen, die sie in der Jugendarbeit beruflich und/oder ehrenamtlich bereits erworben haben, auf das Studium angerechnet bekommen. Diese Art der Anrechnung ist noch recht neu und unbekannt für die Hochschulstrukturen.
Das ist der erste Schritt und Ziel für unsere erste Projektförderphase bis Anfang 2018. In einem zweiten Schritt mit einer sich hoffentlich anschließenden zweiten Projektförderphase wollen wir dann das Kompetenzmodell auf Grundlage empirischer Erhebungen entwickeln.
Es gibt bereits solche Kompetenzmodelle. Eins davon ist das Kompetenzmodell für Trainer der internationalen Jugendarbeit, welches Teil der Europäischen Trainingsstrategie (ETS) ist. Ein weiteres Kompetenzmodell für Youth Worker wurde im April in Wien auf einem Seminar vorgestellt, an dem auch Sie teilgenommen haben. Während sich das Kompetenzmodell für Trainer auf die individuelle Kompetenzentwicklung fokussiert, will das Kompetenzmodell für Youth Worker zukünftig die Akteure in Blick nehmen, die Youth Worker ausbilden, damit diese international arbeiten können. Welche Anregungen nehmen Sie aus dem Kompetenzmodell mit für Ihre Arbeit?
Das Seminar war eine gute Möglichkeit für mich, zu sehen, was im Bereich der Anerkennung non-formal erworbener Kompetenzen auf europäischer Ebene bereits läuft. Ich war überrascht, dass es in so vielen verschiedenen europäischen Ländern genau solche Bestrebungen gibt: ein Stück weit transparent zu machen, welche Kompetenzen in der Jugendarbeit erworben werden können. Das in Wien vorgestellte Kompetenzmodell für Youth Worker in der internationalen Jugendarbeit fand ich in dem Zusammenhang sehr interessant. Wie konkret und welche Teile wir davon im Kontext und in der Struktur Hochschule übernehmen können, das ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar.
Sie haben in ihrem Bericht über das Seminar in Wien erwähnt, dass die europäische Perspektive auf die Jugendarbeit Ihren Blick auf Ihr Praxisforschungsprojekt verändert hat – inwiefern?
Wie gesagt war es mir gar nicht so bewusst, dass es einerseits in einzelnen Ländern schon starke Tendenzen gibt, Kompetenzen aus der Jugendarbeit im formalen Sektor anzurechnen. Andererseits gibt es in Finnland und England zum Beispiel sogar Masterstudiengänge für die Ausbildung von Youth Workern. In anderen Ländern gibt es gar keine Ausbildung oder Curricula dafür. Für unser Projekt können wir uns dann zum Beispiel Anregungen bei dem Masterstudiengang in England holen: Was sind Rahmenbedingungen und so weiter.
Auf europäischer Ebene ist ein allgemeines Bestreben zu beobachten, die Ausbildung von Youth Workern und Trainern in der Jugendarbeit zu formalisieren, zu professionalisieren und zu standardisieren. Die Europäische Trainingsstrategie ist Teil dieser Bestrebungen. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?
Mir stellt sich die Frage, welche Interessen dahinter stehen, die Ausbildung für die Jugendarbeit zu standardisieren. Wenn es in Richtung Verzweckung, zum Beispiel in Form von der Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit geht, wenn also ein Zweck daraus gemacht wird, dass man sich in der Jugendarbeit engagiert oder Teilnehmer ist, dann sehe ich das kritisch.
Wichtig finde ich, die Ziele, die hinter der Standardisierung stehen, transparent zu machen. Ein positiver Aspekt der Standardisierung ist, dass sichtbar gemacht werden kann, was Youth Work bringt und damit eine Förderung zu begründen und zu gewährleisten, dass die Weiterarbeit finanziell gesichert ist.
Was wären, Ihrer Meinung nach, die Vorteile einer europäischen Jugendarbeit, das heißt, eines einheitlichen Verständnisses und einheitlicher Standards und Curricula für die Jugendarbeit in den europäischen Ländern?
Es kommt ganz darauf an, welchen Charakter diese einheitlichen Standards für die Jugendarbeit hätten und wie sehr die Mitgliedstaaten verpflichtet wären, sich daran zu halten. Den Mitgliedstaaten etwas überzustülpen, fände ich nicht bereichernd. Ein Kern der Jugendarbeit ist ja gerade die Vielfalt, die verschiedenen Ansätze und Herangehensweisen im europäischen Raum.
(Das Interview führte Babette Pohle für JUGEND für Europa)
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Weiterführende Informationen
Weitere Informationen zum "ETS Kompetenzmodell für Trainer der internationalen Jugendarbeit" finden Sie hier...
Das "ETS Kompetenzmodell für Youth Worker" wird Ende 2016 veröffentlicht.
Mehr Informationen zum Praxisforschungsprojekt "Jugendarbeit und Bildung – Implementierung in den Studiengang Soziale Arbeit" der Hochschule Kempten finden Sie hier...
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