29.11.2016

Partizipation: Vom Labor in die Testphase

Tafel mit NotizenDas Participation Lab "Ignite the spark. How to give young people with fewer opportunities a voice“ ist ein Ort für Experimente und neue Alternativen, wie junge Menschen, deren Stimmen zu oft überhört werden, besser an der Gesellschaft partizipieren können. In Bonn kamen ganz erstaunliche Ergebnisse zustande.

Es ist die erste von drei Runden des Participation Labs "Ignite the spark. How to give young people with fewer opportunities a voice“ Ein Ort für Experimente und neue Alternativen, wie junge Menschen, deren Stimmen zu oft überhört werden, besser an der Gesellschaft partizipieren können. In Bonn kamen ganz erstaunliche Ergebnisse zustande.

„Das Vertrauen in politische Institutionen und Wahlen ist bei jungen Menschen gering. Das bedeutet, es gibt etwas zu tun für uns. Unser Ziel ist es, neue Partizipationsebenen zu kreieren. Wir wollen fragen: Was sind alternative Formen für Partizipation?“, sagt Jochen Butt-Pośnik von JUGEND für Europa zur Eröffnung des Labors. „Individualisierung ist ein sehr wichtiger Faktor für junge Menschen heute. Diejenigen mit weniger Chancen denken oft, dass es ihr Fehler sei, wenn sie nicht mithalten können – und da wollen wir Brücken bauen“, erklärt er. Daher gibt es in diesem Lab kein fertiges Programm, sondern es wächst zusammen mit den Teilnehmern und verändert sich mit jeder Runde.

Was ist Partizipation für mich und für andere?
Dazu mussten die Jugendarbeiter, Lehrer und Ehrenamtliche aus Organisationen erstmal herausfinden, was Partizipation für sie selbst heißt und für die Menschen, mit denen sie arbeiten. „Ich würde mich selbst gern als jemanden sehen, der Andere befähigt. Non-formale Bildung ist aber etwas sehr neues in Italien. Wenn ich meiner Familie meinen Job erkläre, verstehen sie oft nicht, was ich dort mache“, sagt Daniele Nobile, der in Italien für den IBB arbeitet. Für Judith Blum aus Deutschland, tätig bei der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, bedeutet Partizipation Regeln zu schaffen, durch die junge Menschen einen Raum wahrnehmen, in dem ihre Antworten respektiert, erwünscht und auch gebraucht werden. Und Eric Fryns, Mitarbeiter des Jugendbüros der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens ergänzt: „Vielleicht ist Partizipation nicht mehr das richtige Wort dafür, wie junge Menschen ihre Beteiligung definieren. Das Kriterium ist mehr, dass ihr Einsatz Gewicht hat, egal ob in einem formellen, informellen, individuellen oder kollektiven Kontext.“ Dem stimmten einige zu: Der Begriff sei nicht mehr auf der Höhe und inkludiere vieles nicht.

Was ist politisch?
Das veranschaulichte auch Forscherin Yagmur Mengilli von der Goethe-Universität Frankfurt: „Es heißt ja immer, dass junge Menschen nicht partizipieren. Das konnten wir nicht feststellen in unserem Forschungsprojekt „PartiSpace“. Oft sagen die Jugendlichen selbst, dass sie nichts tun, boykottieren aber gleichzeitig etwas, sprechen über Politik, Gender oder Flüchtlinge.“ Wenn Jugendliche sagen, dass sie sich nicht für Politik interessieren, aber auf die Frage, was sie tun würden, wenn man ihnen Geld gäbe, antworten. „Es für Flüchtlinge ausgeben“, müsse man das Konzept in Frage stellen und nicht die Jugendlichen. „Ich denke es geht auch darum, Deals anzubieten, also sie zu unterstützen, aber auch etwas zu fordern dafür“, sagt Mengilli.

Genau das sei schwierig, erzählt Daniele aus seinem Alltag: „Du hast die Leute erreicht, hast Aktivitäten mit ihnen gemacht, aber sobald es um Politik geht, verlierst du sie.“

Jeder vierte Europäer ist dem Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt. Besonders bei den 18 bis 24-Jährigen sei das Risiko hoch. Dabei ist es egal, ob es gesundheitliche Probleme, Schwierigkeiten beim Lernen, ökonomische Benachteiligung, geographische Hindernisse oder Behinderungen sind, die Partizipation erschweren.

Es kam zu Diskussionen: „Ich arbeite mit türkischen Zyprioten, die strukturell nicht dieselben Möglichkeiten und Bildung haben wie griechische Zyprioten. Aber sie haben sehr viel Motivation sich einzubringen – das braucht nicht unbedingt finanzielle Mittel“, sagte Andreas aus Zypern. Shelja Fidani, die in Ungarn Projekte für Roma fördert, hakte nach: „Aber was ist, wenn du zwar die Motivation hast, aber immer wieder diskriminiert wirst, vielleicht anders gekleidet bist, weniger Selbstvertrauen hast oder generell zu viel Ballast mit dir herumträgst?“ Miet Neyens aus Belgien ergänzte: „Oder was ist, wenn das Bildungssystem zu unfair ist, Bücher selbst gekauft werden müssen, die Eltern zu viel arbeiten, um die Kinder zu unterstützen oder du einfach in einer prekären Gegend wohnst?“

Multiplikatoren und Vorbilder ausbilden

Einblicke aus Arbeitsfeldern jenseits des Jugendbereiches gaben Shelja Fidani von der Open Society Foundation (OSF) und Liam McGroarty von der UEFA. Der Ansatz der OSF ist es, Raum und Geld zu geben sowie Trainings und moralische Unterstützung, um Multiplikatoren auszubilden: „Ein Mädchen aus Albanien machte ein Training und wir verloren sie aus den Augen. Aber eine Weile später kam sie zurück mit einer eigenen Idee und brachte noch mehr junge Roma zu uns, die wir so nicht erreicht hätten“, erzählt Shelja.

Liam hat innerhalb der UEFA die Aufgabe, den Fußballsport inklusiver zu machen, z.B. auch für Mädchen und Frauen. Dabei richtete er das Augenmerk der Teilnehmer auch auf das System: „Die meisten Führungspositionen werden von Männern besetzt – wie soll ich ein sechsjähriges Mädchen überzeugen, wenn es ihr an Vorbildern fehlt?“ Ein Positivbeispiel sei Schweden, wo Mädchen dieselbe Chance hätten wie Jungen, aber dann fehle es an Perspektiven für eine professionelle Karriere im Sport, was dazu führe, dass sie sich oftmals für einen anderen Beruf entschieden.

Vom Labor in die Testphase

Durch den thematischen Input schossen vielen Teilnehmern Projektideen durch den Kopf, die sie im Lab anfingen zu planen. Dabei wurde deutlich, dass es nicht um eine Simulation ging, sondern darum, die Projekte auch in die Tat umzusetzen. Eine Idee beschäftigte sich damit, wie Fußball zu mehr Inklusion und Partizipation führen kann. Welche Rolle E-Partizipation dabei spielen kann – ob eine Plattform ein erster Ansatz sein könnte, um Spieler, Trainer, die Jugendarbeit und die formelle Bildung usw. zusammen zu bringen und auch nationale Politiken ändern zu können, die je nach Land sehr unterschiedlich sind.

Ein anderes Projekt fragt danach, ob Social Entrepreneurship ein Mittel gegen Jugendarbeitslosigkeit sein kann. Maja aus Mazedonien möchte mit ihrem Projekt einen Trainingskurs gestalten, in dem sich Gründer miteinander vernetzen und auch in bestehende Strukturen eingebunden werden, sodass sie dort eine Stimme bekommen.

Ein weiteres Projekt will junge Menschen mit geringeren Chancen als Freiwillige einsetzen: „Menschen, die z.B. psychische Probleme haben, sollen auch anderen Menschen helfen können, die vielleicht noch mehr Probleme haben, als sie selbst. Da könnte man über Kurzeinsätze über den EFD nachdenken“, sagt Irina aus Dänemark.

Einbeziehen vs. Kritik annehmen

Weitere Ideen beschäftigten sich damit, eine Aktionswoche zu planen, an die Nationalen Agenturen heranzutreten und Kritik zu üben, dass Erasmus+ nicht inklusiv genug sei und eben oft Projekte in einen bestehenden Rahmen gepresst werden müssen, der sich aber nicht an den speziellen Bedürfnissen von Jugendlichen mit geringen Chancen orientiert.

Es gibt eine gemeinsame Grundlage, auch wenn nicht alle Partizipation gleich verstehen. Partizipation passt nicht in ein schon fertiges Programm. Die Sprache, die man wählt, spielt eine große Rolle dabei zu entscheiden, wen man erreicht. Der wohl schwierigste Punkt bleibt der Spagat zwischen dem Ziel, Menschen ins System zu integrieren und gleichzeitig ihre Kritik am System zu hören und einzubeziehen. Da komme es, so die Teilnehmer, einerseits auf den politischen Willen an, Veränderungen zuzulassen und andererseits der Fähigkeit der Jugendarbeiter und Multiplikatoren, die individuelle Lage der Jugendlichen ins Politische zu „übersetzen“. Ein europäischer Trainingskurs soll im nächsten Jahr Aktiven bei dieser Aufgabenstellung mit konkreten Methoden und Handwerkszeug Unterstützung leisten.

 

Lisa Brüßler für JUGEND für Europa

Bild: ©Lisa Brüßler

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