17.02.2017
Eine bisher wenig berücksichtigte Zielgruppe der Jugendarbeit – Young Carers
Die Strategische Partnerschaft "Empowering Professionals to support Young Carers" (EPYC) widmet sich bis Juli 2018 der in der Jugendarbeit bisher wenig berücksichtigten Zielgruppe der "Young Carers", jungen Pflege- und Betreuungspersonen.
JUGEND für Europa sprach mit Projektkoordinator Benjamin Salzmann vom Diakonischen Werk Berlin Stadtmitte e.V., wer Young Carers sind, welchen Herausforderungen sie sich gegenübersehen und wie das Projekt diesen Herausforderungen begegnen will.
JfE: Herr Salzmann, um wen handelt es sich konkret bei diesen "Young Carers" – jungen Pflege- oder Betreuungspersonen?
Benjamin Salzmann: "Young Carers" kann man definieren als Kinder, Teenager oder junge Erwachsene, die sich regelmäßig häuslich um Angehörige kümmern, diese pflegen. Meistens ist das ein Eltern- oder Großelternteil, ein Geschwisterkind oder ein anderer Verwandter mit Behinderung, mit einer chronischen oder Suchtkrankheit. Die jungen Pflegepersonen tragen dabei eine große Verantwortung – die junge Menschen in diesem Alter normalerweise noch nicht tragen (müssen).
Welche Herausforderungen und Probleme gehen mit dieser Aufgabe und der Verantwortung einher?
Studien haben nachgewiesen, dass diese Pflegeaufgaben und die damit einhergehende Verantwortung häufig zu Bildungsbenachteiligungen und verminderter Beschäftigungsfähigkeit der betroffenen jungen Menschen führen. Sie leiden oft unter emotionalen Schwierigkeiten, haben selbst gesundheitliche Probleme, sind sozial ausgeschlossen. Sie haben weniger Zeit und Möglichkeiten für Freizeitgestaltung.
Die Young Carers sind ja bisher keine typische Zielgruppe von Jugendarbeit. Wie wurde die Zielgruppe identifiziert?
Die Notwendigkeit zur Unterstützung der Zielgruppe Young Carers wurde aus unserer Sicht spätestens durch die Arbeit im Projekt ToYAC (Together for Young Adult Carers, das Vorgängerprojekt von EPYC) deutlich. In den meisten europäischen Ländern – in der Jugendhilfe, in Bildungseinrichtungen und der Sozialhilfe – gibt es kaum bis wenig Bewusstsein über diese Gruppe junger Menschen und genauso wenig Unterstützung. Dabei zeigt Großbritannien, dass es auch anders geht!
Hier gibt es flächendeckende Unterstützungsangebote, zum Beispiel durch Young Carer Projects und Kampagnen zur Aufklärung in Schulen und Universitäten. Aus englischen Studien, und inzwischen auch Zahlen aus Österreich und Deutschland, wissen wir dabei, dass ca. 3-5 % aller Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Angehörige pflegen.
Direkte Zielgruppe im EPYC-Projekt sind Fachkräfte in der Jugendarbeit, da diese die Zugänge zu Young Carers haben und diese mit nötigem Fachwissen identifizieren und unterstützen könnten. Wir betrachten das Feld allerdings auch als Bereich mit vielen Schnittstellen. Neben dem Jugendsektor ist auch der Bildungsbereich, sind Fachkräfte in der Arbeit mit Familien, im Gesundheits- und Pflegesektor mit einzubinden, um die indirekte Zielgruppe (Young Carers und ihre Familien) allumfassend unterstützen zu können.
Welchen gemeinsamen Herausforderungen wollen Sie sich mit dem Projekt konkret stellen?
Ziel des Projekts ist es, Fachkräfte mit (potentiellem) Kontakt und Zugang zu Young Carers im Umgang mit ihnen zu stärken. Sie also durch Materialien und Tools zu befähigen, Young Carers zu erkennen und sie gut zu unterstützen. Dazu gehört es, bei Fachkräften ein Bewusstsein und Hintergrundwissen zu schaffen.
Dies ist in vielen Partnerländern die größte Herausforderung, da Young Carers kaum wahrgenommen werden. Sie sind eine versteckte Gruppe.
Welche Methoden zur Ansprache und zur Arbeit mit der Zielgruppe gab es vielleicht bereits vor Projektstart und mit welchen neuen Methodenoutputs rechnen Sie?
Methoden und Tools zur Arbeit mit Young Carers gibt es hauptsächlich im Partnerland Schottland – beispielsweise Assessments, Self-Assessments, Aufklärungskampagnen und Beratungskonzepte.
Ziel des EPYC-Projekts ist es, diese bestehenden Materialien in allen Partnerländern zu sammeln und zu analysieren, um dann die darin enthaltenen Beispiele guter Praxis in den Partnerländern adaptieren zu können. Gleichzeitig werden Fachkräfte im Jugendbereich und anderen Bereichen nach ihren Wünschen und Bedarfen an solche zu erarbeitenden Materialien gefragt.
So werden auch neue, noch nicht existierende Materialien erstellt werden können.
Gab es bereits vor dem Start der Strategischen Partnerschaft EPYC eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Organisationen?
Die meisten Projektpartner hatten schon im vorangegangenen europäischen Projekt ToYAC (Together for Young Adult Carers) gut und produktiv zusammengearbeitet. Das Projekt hatte das Ziel, durch europäischen Fachaustausch mehr über junge Erwachsene, die Angehörige pflegen, zu lernen und insbesondere in Ländern, wo es noch wenig Bewusstsein über diese Gruppe gibt, eben solches zu schaffen. Das aktuelle EPYC-Projekt baut auf diesen Erfahrungen auf, auch wenn es sich nun einer breiteren Zielgruppe widmet, bezogen auf das Altersspektrum.
Wie verteilen sich die Aufgaben auf die einzelnen Partnerorganisationen?
Die Projektpartner arbeiten bei der Erarbeitung der Outcomes zusammen, haben aber zusätzlich auch individuelle Verantwortungsbereiche im Projekt. Während das Diakonische Werk die Projektleitung mit all den damit zusammenhängenden Aufgaben verantwortet, ist Care Alliance Ireland der Leading Partner bei den Aktivitäten zu Outcome 1 – der Erstellung der Awareness Raising Materials. Das Österreichische Rote Kreuz übernimmt die Leading Role für das Outcome 2 – die Entwicklung der Toolbox für Fachkräfte. Outcome 3 – die Handlungsempfehlungen zum Aufbau von Unterstützungsangeboten – wird von Carers Trust Scotland geleitet.
Die jeweiligen Leading Partner wurden auf Grund ihrer Erfahrung oder Kompetenz in Bezug auf das Outcome ausgewählt. Daneben ist das Professional Institute Versari Macrelli leitend in der Koordination der Evaluation tätig und Anziani e non solo in der Dissemination.
Mit welchen Maßnahmen und Trainingsmethoden arbeiten Sie bei den Treffen in der Strategischen Partnerschaft?
Die Projektpartner arbeiten durch Erfahrungsaustausch und im Rahmen der Outcomes zusammen – in der eigenen Einrichtung, im regionalen Netzwerk, im Partnerland und auf europäischer Ebene. Eine kontinuierliche Netzwerkarbeit und Netzwerkerweiterung ist dabei essentiell – für die einzelnen Partner in ihren Regionen und für das Projekt auf europäischer Ebene.
Das Diakonische Werk Berlin Stadtmitte e.V. koordiniert beispielsweise das Vorgehen zur Erreichung dieser Ziele so, dass der Dialog mit geeigneten Einrichtungen, Organisationen und Personen bilateral aufgebaut wird, um starke Multiplikatoren zu gewinnen und andererseits eigene kontinuierliche Netzwerktreffen organisiert, beziehungsweise thematisch ähnliche Veranstaltungen mitorganisiert werden.
Zum Beispiel organisiert das Diakonische Werk seit Oktober eine Fachdialog-Reihe zu Young Carers und ein Projekt des Diakonischen Werkes bietet seit Kurzem eine Onlineberatung für pflegende Jugendliche an.
In welcher Form werden die Projektergebnisse verbreitet und wie können systemisch Wirkungen in diesem Bereich gelingen?
Die konkreten Projektergebnisse (Materialien, Toolbox) werden in Form von großen Disseminationsveranstaltungen in jedem Land veröffentlicht und verbreitet, zu denen Multiplikatoren aus dem Jugendbereich und anderen Bereichen eingeladen werden. Auch das bis dahin bestehende Netzwerk wird die Materialien erhalten und soll diese ebenfalls weiterverbreiten.
Die Bereitschaft dazu soll gesichert werden, indem die Netzwerkpartner in die Erstellung der Materialien eingebunden werden. Zum einen durch die Berücksichtigung der Wünsche und Vorstellungen an solche Materialien durch die Einrichtungen und zum anderen durch die Einbindung in Pilot-Tests der Materialien. Diese sollen in Alltagstest auf ihren Nutzen durch Fachkräfte getestet werden.
Die nachhaltige Wirkung der Ergebnisse wird unter anderem durch die Einbindung von starken Multiplikatoren erreicht, die a) ein Interesse an der Nutzung der Ergebnisse haben und b) die Möglichkeit haben, diese an möglichst viele Fachkräfte zu geben. Dies sind beispielsweise Träger oder Programmagenturen der Schulsozialarbeit, der Jugendhilfe oder auch die Berliner Senatsverwaltung für Jugend und Bildung.
Da bisher in Deutschland kaum Materialien dieser Art bestehen, ist aus unserer Sicht der Nutzen der Projektergebnisse und ihre nachhaltige Wirkung sehr wahrscheinlich.
(Das Interview führte Babette Pohle für JUGEND für Europa.)
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Weitere Informationen
Die Projektkoordination hat das Diakonische Werk Berlin Stadtmitte e.V. inne, namentlich Benjamin Salzmann. Die anderen Projektpartner kommen aus Schottland (Carers Trust Scotland), Irland (Care Alliance Ireland), Österreich (Österreichisches Rotes Kreuz) und Italien (Anziani e non solo & die Schule Professional Institute Versari Macrelli).
Link: Die Projektwebseite finden Sie hier...
Link: Alle Informationen zu der Förderung von Strategischen Partnerschaften finden Sie hier...
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