10.08.2017
"Es gibt noch ganz schön Luft nach oben“
Wie soll es weitergehen mit Erasmus+ JUGEND IN AKTION? JUGEND für Europa fragte Martin Rabanus, Mitglied der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Mitglied des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und Berichterstatter für Europäische Bildungsprogramme (Erasmus+).
JfE: Herr Rabanus, wie bewerten Sie die Umsetzung von Erasmus+ JUGEND IN AKTION? Wohin sollte sich Ihrer Meinung nach das Programm entwickeln?
Rabanus: Erasmus+ ist das größte und erfolgreichste EU-Bildungsprogramm. Aber viele hochwertige Anträge müssen abgelehnt werden, nur weil die finanziellen Mittel nicht ausreichen. Der Jugendbereich verzeichnet die höchsten Antragszahlen bei gleichzeitig höchster Ablehnungsquote. Damit ist er praktisch unterfinanziert. Auch arbeiten im Jugendbereich viele kleinere und zum Teil auch unerfahrenere Träger, die alleine an den Verwaltungsvorschriften, komplizierten Antragsverfahren und nicht aufeinander abgestimmten Fristen durch die EU scheitern. Insofern gibt es aus meiner Sicht hier noch ganz schön Luft nach oben und eine angemessene Unterstützung ist noch zu leisten. Dem Jugendbereich hat dennoch sehr geholfen, dass er – im Vergleich zu den drei anderen Teilbereichen – eine prominente Stellung erhalten hat und damit keine Flexibilisierung der Mittel zu Ungunsten des Jugendbereichs erfolgen konnte. Für die Sichtbarkeit von JUGEND IN AKTION halte ich es für sinnvoll, die bewährten Markennamen beizubehalten und auch im Leitfaden sichtbar zu machen, damit Erasmus+ nicht nur als reines Studentenaustauschprogramm wahrgenommen wird.
JfE: Wie bewerten Sie das neu geplante Europäische Solidaritätskorps?
Rabanus: Den Europäischen Solidaritätskorps sehe ich ehrlich gesagt etwas kritisch. Natürlich unterstütze ich grundsätzlich das Vorhaben, jungen Menschen zur Chance zu verhelfen, sich im Ausland zu gemeinwohlorientierten Zwecken freiwillig zu engagieren, Neues zu wagen und voneinander zu lernen. Zu dem jetzigen Zeitpunkt ist das Konzept jedoch mit Vorsicht zu genießen: Noch stehen die Strukturen, die Umsetzung des Programms und insbesondere die Finanzierung des Programms auf zu unsicheren Füßen. Ich bin klar dagegen, dass die Finanzierung des Europäischen Solidaritätskorps auf dem Rücken bereits bestehender und vor allem gut funktionierender Programme wie dem EFD bzw. Erasmus+ ausgetragen werden soll. Nach derzeitiger Planung sollen jedoch 75 % der Mittel aus bestehenden Programmen wie Erasmus+ oder dem Europäischen Freiwilligendienst entnommen werden. Lediglich bei 25 % der Mittel soll es sich um neues Geld handeln. Das ist unglücklich. Das Europäische Solidaritätskorps benötigt aus meiner Sicht mehr „frisches Geld" und das Budget in Erasmus+ sollte auf derzeitigem Niveau gehalten werden. Vom Europäischen Parlament wird diese Kritik im Übrigen geteilt.
Fraglich ist auch, wie sachdienlich der Europäische Freiwilligenkorps am Ende sein wird. Ich halte es – ähnlich wie verschiedene Verbände aus dem europäischen Jugendbereich – für insgesamt kritisch, Doppelstrukturen zu etablieren und vor allem unerfahrene junge Menschen womöglich noch in Krisengebieten oder im Bereich des Katastrophenschutzes einzusetzen. Deutschland verzeichnet eine hohe Zahl an Ehrenamtlichen bei den Hilfsorganisationen, sodass es am Ende sinnvoller wäre, junge wie auch erfahrene und ältere Menschen für Auslandseinsätze heranzuziehen, statt immer wieder neue zu suchen, was – insbesondere aufgrund der möglicherweise fehlenden Auslandserfahrungen bzw. dem fehlenden technischen Wissen und je nach Einsatz und Region – mit Risiken verbunden sein kann. Egal wie das Korps aber am Ende ausgestaltet sein wird, es darf keine reine Beschäftigungsmaßnahme für junge Menschen, insbesondere aus Südeuropa, sein, indem es zu einer Alternative für eine reguläre Beschäftigung mutiert und womöglich noch Dumping-Löhne gezahlt werden. Die EU muss das Problem der Jugendarbeitslosigkeit anderweitig in den Griff bekommen. Ebenso sollte die Arbeits- und Freiwilligentätigkeit im Europäischen Freiwilligenkorps klar getrennt werden.
JfE: Wie kann die Europäische Bürgerschaft junger Menschen am besten gefördert werden?
Rabanus: Europa befindet sich derzeit in einer Krise. Viele Menschen stehen Europa skeptisch gegenüber. Unsere Aufgabe ist es, dagegen zu arbeiten. Denn ein ähnliches Solidar- und Friedensprojekt wie die Europäische Union hat es in unserer Welt bislang noch nicht gegeben. Damit wir uns alle mit einer Europäischen Bürgerschaft identifizieren können, muss das Gefühl gestärkt werden, ein EU-Bürger zu sein. Dieses Gefühl der europäischen Solidarität sollten wir bereits im Kindesalter erzeugen. So ist es besonders wichtig, Schülerinnen und Schüler für Europa zu sensibilisieren und Schüleraustausch frühzeitig zu fördern. Erasmus+ ist aus meiner Sicht das Instrument, um zur Herausbildung einer Europäischen Bürgerschaft beizutragen, durch Auslandspraktika, durch Ausbildung im Ausland, Jugendbegegnungen, Schüleraustausch und selbstverständlich Auslandsaufenthalte während des Studiums.
JfE: Was werden Sie politisch tun, um mehr benachteiligten Jugendlichen eine Teilnahme an internationalen Maßnahmen zu ermöglichen?
Rabanus: In erster Linie ist es wichtig, dass die Politik erkennt, dass unsere Jugend mehr Unterstützung braucht, da sie gesellschaftlich immer mehr abgehängt wird. Auf EU-Ebene wurden in den vergangenen Jahren vielfach Maßnahmen wie die Europa 2020-Strategie, Unterstützungs- und Mobilitätsprogramme wie MobiPro oder auch wie derzeit die Jugendgarantie umgesetzt. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben es uns zum Ziel gesetzt, die berufliche Bildung weiter zu stärken – nicht nur, um neue Jobs für die Jugendlichen zu schaffen, sondern um langfristig auch eine Gleichwertigkeit zwischen akademischer und beruflicher Bildung herzustellen. Erasmus+ leistet mit ErasmusPro einen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung des Ziels, mehr Jugendliche in Ausbildung zu bringen. Damit die Jugendlichen stärker von diesen Möglichkeiten profitieren können, ist es nur konsequent, die Finanzierung des Programms sicherzustellen und das Gesamtbudget stärker auszufinanzieren. Daher haben wir als Koalitionsfraktion und auf meine Initiative hin den Koalitionsantrag zu Erasmus+ entwickelt, um die Punkte, die noch verbesserungswürdig sind, als Input für die Zwischenevaluierung von Erasmus+ mit auf den Weg zu geben. Der Antrag verweist auf viele Knackpunkte, die aus Sicht der Nationalen Agenturen, aber auch aus Sicht der Träger zu verbessern sind und legt seinen Fokus inhaltlich auf die Stärkung des Jugendbereichs, der Beruflichen Bildung, auf die Schulen und die Erhöhung des Gesamtbudgets. Er entstand übrigens durch den Austausch mit den Nationalen Agenturen, der EU-Kommission, den Trägern und Betroffenen, für den ich mich an dieser Stelle nochmals ganz herzlich bedanke.
Das Interview führte Dr.Helle Becker im Auftrag von JUGEND für Europa Foto: http://www.martin-rabanus.de/
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