20.10.2018

Nationale Auftaktveranstaltung zum ESK: Für ein Europa, das sich auf einen neuen Weg macht

Wie kann ein soziales und vielfältiges Europa aussehen? Wie gesellschaftliches Engagement über Grenzen hinweg ermöglicht werden? Ohne junge Menschen geht jedenfalls nichts. Das wurde bei der nationalen Auftaktveranstaltung zum Start des Europäischen Solidaritätskorps (ESK) in Berlin deutlich. Bundesjugendministerin Franziska Giffey dankte den anwesenden 350 Freiwilligen und Fachkräften für ihr europäisches Engagement.

"Ich habe europäische Solidarität ganz unmittelbar in meinem Projekt erlebt", erzählte Jonas Braun, der in Malaga in einem Bildungszentrum seinen Freiwilligendienst geleistet hat. "Ich konnte mit Menschen aus vielen Teilen Europas arbeiten und habe da erst so richtig verstanden, was Vielfalt bedeutet, aber auch, dass das anderen schwer zu vermitteln ist – das muss man selbst erlebt haben", so das Fazit aus seinem Freiwilligendienst.

Hans-Georg Wicke, Leiter von JUGEND für Europa, eröffnete die Veranstaltung und dankte den Freiwilligen, die gerade aus ihrem Dienst in den verschiedensten Ländern Europas zurückgekehrt waren, für ihr Engagement. Dieser Dienst von jedem und jeder einzelnen, sei der stärkste Ausdruck gelebter Solidarität, den man sich im Moment in Europa vorstellen kann.

Solidarisches Handeln im Rahmen des ESK sei, so Wicke, das wirksamste Mittel gegen das populistische Zerrbild, dass über Europa verbreitet wird. "Sie tragen mit ihrem Dienst und ihren Erfahrungen zu einer gelebten europäischen Erzählung bei, die viel mehr gehört werden sollte, denn sie zeigt uns eine Realität, die Hoffnung macht und Teil einer sicherlich notwendige Erneuerung Europas sein sollte."

"Wir müssten wissen, was es bedeutet, Europa zu sein"

Leonie Wingert, die Ihren Freiwilligendienst in Polen absolviert und dort demenzkranke Menschen begleitet hat, stellte in ihrer Eröffnungsrede klar. "Wir sind nicht mehr nur Deutsche, sondern Europäer, aber wir müssten wissen, was es bedeutet, Europa zu sein." Es sei wichtig, so appellierte sie an die anderen Freiwilligen, den Erfahrungsschatz aus dem europäischen Engagement zu teilen und damit andere Menschen zu motivieren unserem Beispiel zu folgen.

Petra Kammerevert, Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Bildung im Europäischen Parlament, hob in ihrem Grußwort hervor, dass ein klares Bekenntnis zu Europa heutzutage leider nicht selbstverständlich sei. "Was Sie geleistet haben", so Kammerevert, "ist lebensnotwendiger Bestandteil lebendiger Demokratie." Es brauche viel Mut, so einen Schritt zu tun, aus der Geborgenheit des privaten Umfeldes in Ausland zu gehen und sich dort als Freiwillige zu engagieren. Sie sei sich sicher, dass das ESK sich als neues EU-Programm bewähren würde

In der folgenden Podiumsdiskussion, an der auch die Bundesjugendministerin, Dr. Franziska Giffey, teilnahm, stand eine Frage im Raum, die besonders intensiv diskutiert wurde: Wie kann das ESK möglichst alle erreichen, daran teilzuhaben?

Problematik Bekanntheitsgrad

"Wir begleiten den Prozess der Entstehung des ESK schon eine Weile und das nicht ganz unkritisch", sagte Tobias Köck, Vorsitzender des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR).

"Der Bekanntheitsgrad des ESK, ist nicht besonders hoch in Deutschland. Die EU als Institution wird keine Freiwilligenplätze schaffen, sondern das machen die Verbände und Träger und da müssen die Rahmenbedingungen stimmen", betonte er. "An meiner Arbeit werden sich die Azubis nicht durch die Online-Anmeldung des ESK durchklicken. Sie würden sich eher über die lokale Ebene informieren und da ist der ESK noch viel zu weit weg", plädierte er.

"Wenn wir auf die Statistiken schauen, sehen wir, dass eher der kosmopolitische Teil der Gesellschaft an dem Programm teilnimmt", sagt auch Wicke. Natürlich müsse es das Ziel sein, dass das ESK für alle gelte. Das Programm stelle da einiges zur Verfügung, womit auf spezifische Förderbedarfe eingegangen werden kann. Auch liege eine große Chance für mehr Bekanntheit in den Jugendinitiativen (den Solidaritätsprojekten), bei denen Gruppen vor Ort aktiv werden und auf lokale Bedarfe reagieren können, um so eine Veränderung herbeizuführen.

"Es gehört aber auch zur Realität, dass sich auf der europäischen Online-Datenbank viel mehr Interessierte eingetragen registriert haben, knapp 100.000, als Plätze zur Verfügung stehen", erinnerte er. Die Anforderung an Politik heiße daher, das Programm auszuweiten.

Moderator Tim Schreder vom ZDF band das Publikum per Umfragetool "Mentimeter" in die Diskussion ein. So kam die Frage auf, wie genau das ESK noch vielfältiger werden könne. Jonas Braun antwortete: "Es ist nicht nur die Unkenntnis darüber, es sind auch finanzielle und kulturelle Aspekte, die auf die Wertschätzung eines Freiwilligendienstes Einfluss haben."

In seinem Dienst habe er oft das Gefühl einer zwiespältigen Erfahrung gehabt. Einerseits waren da die bereichernden Erfahrungen und andererseits die antiliberalen Tendenzen in der Gesellschaft. "Daraus resultiert die Anforderung an die Politik hellhörig zu werden und für Austausch und Begegnung einzustehen", so Braun.

In der Diskussion äußerte Katja Hartge-Kanning vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Sachsen-Anhalt einige Wünsche an das Programm. "Es ist wichtig, dass die Programmumsetzung bis an die Basis gedacht wird. Wir merken in unserer Arbeit als Träger, dass zum Beispiel die Mentoren der Freiwilligen noch stärker unterstützt und geschult werden müssten, was sprachliche Hürden angeht, aber auch was interkulturelle Herausforderungen betrifft", sagte sie.

Ein weiteres Problem sei der rechtliche Status von Freiwilligen, so Hartge-Kanning. Diese seien weder Auszubildende, noch Praktikanten oder Arbeitnehmer, sondern haben einen eigenen Status, der aber rechtlich nicht ausreichend definiert ist. Daher stoße man immer wieder an Grenzen, wenn es etwa um Ansprüche aus der Sozial-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung geht.

Kein Grund für Pessimismus

Die Bundesjugendministerin griff diesen Punkt auf und wies darauf hin, dass man sich eben diesen Freiwilligenstatus genau anschauen und überarbeiten müsse. Es gehe darum, gesellschaftliches Engagement zu stärken und anzuerkennen, auch was die formalen Rahmenbedingungen anginge.

"Das ESK ist eine großartige Chance für junge Menschen. Ich selbst habe eine ostdeutsche Anfangsbiographie und bin in einer Zeit groß geworden, in der Deutschland und Europa im Umbruch waren", erinnerte Bundesjugendministerin Franziska Giffey das Publikum.

"Ich finde, wir haben eine große Verantwortung für das einzutreten, was andere erkämpft, wofür Menschen gestritten haben, gestorben und ins Gefängnis gewandert sind, und allen entgegenzutreten, die an die Errungenschaften jetzt Hand anlegen", betonte sie.

Das gehe nur mit jungen Menschen, die sich auch für Europa stark machen.

Solidarität ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Bundesjugendministerin, vormals Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln, betonte, dass es nicht nur die Aufgabe der Politik sei, sich aktiv gegen Hass und Hetze und für eine weltoffene Gesellschaft einzusetzen. "Wir müssen auch die erreichen, deren Eltern vielleicht nicht fördern, dass sie eine längere Zeit ins Ausland gehen, die vielleicht Bedenken haben, dass ihr Kind dann außerhalb der familiären Kontrolle ist – da gibt es natürlich auch viele Vorbehalte, aber denen kann man nicht durch eine Website begegnen", plädierte sie. "Am Ende des Tages müssen wir miteinander sprechen und Begegnungen organisieren und uns die Frage stellen, wie wir Multiplikatoren noch besser schulen können", so Giffey.

Solidarität ist oftmals schnell daher gesagt, jeder versteht etwas anders darunter. Solange "Teil haben" und "Teil geben" miteinander Hand in Hand gehen und es gelingt, im Dialog zu bleiben, kann jeder den Begriff mit Leben füllen, darin war sich das Podium schnell einig.

Jonas Braun erklärte zum Schluss ganz konkret, was Solidarität bedeutet und erntete großen Beifall für seine Antwort auf die Frage aus dem Publikum: "Wieso darf man nur einmal und nicht mehrmals einen Langzeitfreiwilligendienst machen?" Seine Antwort: "Aus Solidarität!"

Text: Lisa Brüßler für JUGEND für Europa
Fotos: Bettina Ausserhofer, Berlin

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Link: Mehr Informationen zum Europäischen Solidaritätskorps finden Sie unter www.solidaritaetskorps.de

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