27.03.2019

Zwei europäische Jugendprogramme = Noch mehr Möglichkeiten für europäisches Engagement

Ingrid Müller und Heike ZimmermannIngrid Müller und Heike Zimmermann sind seit über 25 Jahren in der internationalen Jugendarbeit tätig. 2005 kommen sie zu JUGEND für Europa. Seit vergangenem Jahr sind sie als Programmkoordinatorinnen für die fachliche Umsetzung und Weiterentwicklung der beiden EU-Jugendprogramme verantwortlich: Heike Zimmermann für das Europäische Solidaritätskorps und Ingrid Müller für Erasmus+ JUGEND IN AKTION. Wir sprechen mit ihnen über die Ausgestaltung der Programme in Deutschland.

JfE: Mit dem Start des Europäischen Solidaritätskorps (ESK) im Oktober 2018 gibt es zwei europäische Jugendprogramme. Ingrid und Heike, als Programmkoordinatorinnen kümmert ihr euch verantwortlich um die Umsetzung und Weiterentwicklung der beiden Programme in Deutschland. Stellt euch und eure neue Rolle bei JUGEND für Europa doch bitte einmal kurz vor.

Ingrid: Mit Einführung des neuen Programms hat sich die Situation für JUGEND für Europa dahingehend geändert, dass wir jetzt tatsächlich zwei große, eigenständige Programme umsetzen: Erasmus+ JUGEND IN AKTION und das Europäische Solidaritätskorps. Das war gleichzeitig mit einer wesentlichen Aufstockung an Mitteln sowie an Personal für die Umsetzung verbunden. In diesem Zuge wurde die Rolle der Programmkoordination als diejenige Stelle eingerichtet, die die Fäden für das jeweilige Programm zusammenhält.

Heike: Es gibt weiterhin Programmsachbearbeiter/-innen und Programmreferent/-innen als direkte Kontaktpersonen für die Projektträger. Als Programmkoordinatorinnen übernehmen wir nach innen wie außen Steuerungsfunktionen für eine kohärente Programmumsetzung und setzen Impulse für deren Weiterentwicklung. Zu unseren Aufgaben gehört auch eine Schnittstellenfunktion zu den anderen Bereichen von JUGEND für Europa, wie z.B. der Öffentlichkeitsarbeit, der Programm- und Finanzverwaltung sowie den eher jugendpolitisch ausgerichteten Arbeitsbereichen bei JUGEND für Europa.

JfE: Was bedeutet es eigentlich für die jungen Menschen sowie für die Träger und Organisationen, dass es nun zwei europäische Jugendprogramme gibt?

Heike: Kurz: Es gibt mehr Möglichkeiten und es gibt auch mehr Geld. Durch das Europäische Solidaritätskorps können deutlich mehr Projekte gefördert werden und es wurden neue, zusätzliche Möglichkeiten geschaffen für junge Menschen, die sich engagieren wollen.

Ingrid: Und bei den Förderformaten gibt es keine direkten Überschneidungen zwischen den Programmen.

JfE: Könnt ihr für all diejenigen, die die Programmentwicklungen in den letzten Monaten nicht so intensiv verfolgt haben, die beiden Programme vorstellen? Was sind ihre Gemeinsamkeiten? Wo liegen die Unterschiede?

Ingrid: Innerhalb des großen Bildungsprogramms Erasmus+ ist JUGEND IN AKTION seit 2014 der Programmbereich für die nicht formale und informelle Jugendbildung.

Europäische Jugendprogramme gibt es aber schon bedeutend länger. Seit knapp 30 Jahren wird über diese Programme nicht formale Jugendbildung auf europäischer Ebene gefördert. Seitdem tragen sie dazu bei, dass junge Menschen ihre Horizonte erweitern, wichtige Kompetenzen entwickeln und Europa mitgestalten. Fachkräfte und Organisationen können sich fachlich weiterbilden, europäisch vernetzen und daraus Impulse für die Weiterentwicklung ihrer Arbeit gewinnen. 

Der Kernbereich umfasste immer Maßnahmen für Fachkräfte der internationalen Jugendarbeit, um die Qualitätsentwicklung in der Jugendarbeit zu fördern sowie Mobilitätsmaßnahmen für junge Menschen. Teilbereich dessen waren auch Freiwilligenaktivitäten junger Menschen. Und aus diesem Bereich ist etwas Neues entstanden – nämlich das Europäische Solidaritätskorps.

Heike: Auch das Europäische Solidaritätskorps ist ein Jugendprogramm, aber hier liegt der Fokus sehr klar auf sozialem Zusammenhalt und Solidarität in Europa. Das Programm will auf gesellschaftliche Herausforderungen in Europa reagieren und zu gesellschaftlichem Wandel beitragen. Jungen Menschen werden Engagement-Möglichkeiten geboten und sie werden darin unterstützt, sich für die Gesellschaft zu engagieren.

Neben dem Format der individuellen Freiwilligendienste, das auf den Erfahrungen des Europäischen Freiwilligendienstes aufbaut und die in 20 Jahren gewachsenen Strukturen fortführt, gibt es das Format der Freiwilligenteams. Das Förderformat richtet sich insbesondere an junge Menschen mit geringeren Chancen und soll ihnen im geschützteren Rahmen einer Gruppe und über einen deutlich kürzeren Zeitraum erste Engagement-Erfahrungen ermöglichen.

Mit der Förderung von Praktika und Arbeitsstellen im Solidarbereich werden junge Menschen im Übergang von Ausbildung in den Beruf unterstützt und das Format der Solidaritätsprojekte richtet sich an Jugendliche, die bei sich vor Ort, in der lokalen Gemeinschaft aktiv werden wollen.

Das Programm kann dank der unterschiedlichen Formate von jungen Menschen ganz flexibel je nach persönlichem Interesse und Lebenslagen genutzt werden.

Erasmus+ JUGEND IN AKTION und das Europäische Solidaritätskorps haben  eine große Schnittmenge von gemeinsamen Prioritäten. So ist die Einbeziehung junger Menschen mit geringeren Chancen in beiden Programmen eine sehr wichtige Priorität.

Bei beiden Programmen geht es außerdem um aktive Bürgerschaft, Demokratieförderung, interkulturelles Lernen und um die Kompetenzentwicklung von jungen Menschen. Das sind die großen Bereiche, in denen die Programme vom Wesenskern her sehr nah beieinander liegen.

Ingrid: Das entspricht der Tatsache, dass die beiden Programme eine europäische jugendpolitische Basis haben – und zwar die EU-Jugendstrategie, die seit 2019 einen erneuerten Rahmen erhalten hat. Die beiden Programme sind die Hauptinstrumente, um die jugendpolitischen Zielsetzungen der Strategie umzusetzen.

JfE: Die Programme sind relativ ähnlich aufgebaut. Die Antragsteller müssen sich also nicht auf zwei unterschiedliche Antragsverfahren einstellen, oder?

Heike: Ja, wir haben die gleichen Tools zur Antragstellung und Abrechnung der Projekte. Die Fristen sind gleich getaktet. Sämtliche Mechanismen und Verfahren, die man aus Erasmus+ schon kennt, gelten auch für das Europäische Solidaritätskorps. Das ist ein großer Gewinn für alle Seiten.

Ingrid: Und ganz eng damit zusammenhängend: Es sind die gleichen Agenturen, die die beiden Programme umsetzen. Das heißt, dass auch die Unterstützungsangebote aus einem Haus kommen. 

JfE: Stichwort „Unterstützung“. Wir haben als Hauptinformationsquelle für beide Programme die Webseiten. Wie können wir denn den Antragstellern helfen, die sich da nicht zurechtfinden oder die darüber hinaus noch Informationen benötigen, um Anträge zu stellen?

Heike: Für beide Programm gilt grundsätzlich: Wir bieten individuelle Beratung an, telefonisch und schriftlich. Jeder, der möchte, kann sich sehr gerne an uns wenden. Zusätzlich bieten wir gedruckte Materialien an und haben ein breit gefächertes Fortbildungsangebot. Zum Beispiel gibt es eintägige Schulungen für Neueinsteiger beim Europäischen Solidaritätskorps, die regional stattfinden. Es gibt ein sehr breites europäisches Fortbildungsangebot für all diejenigen, die in diese europäischen Programme einsteigen oder sich vertieft damit auseinandersetzen wollen.

Wir sind aktuell mit dem Europäischen Solidaritätskorps in fast allen Bundesländern unterwegs und informieren mit Infoveranstaltungen ausführlich über das neue Programm und beraten in Workshops zur Antragstellung.

Ingrid: Das ist im Kern das gleiche für Erasmus+. Der größte Unterschied ist wohl, dass sich die Informationen und Unterstützung im Wesentlichen an die Organisationen und Fachkräfte richten und nicht – wie im Europäischen Solidaritätskorps – auch direkt an junge Menschen.

JfE: Bei Antragstellern denken wir schnell an Organisationen. Nun gibt es sowohl im Europäischen Solidaritätskorps wie auch unter Erasmus+ die Möglichkeiten, dass Jugendliche selbst Projekte beantragen. Wie sieht das genau aus?

Heike: Im Europäischen Solidaritätskorps gibt es das Format der Solidaritätsprojekte, das sich an Jugendliche direkt richtet. Die Idee dahinter ist, dass sich junge Menschen vor Ort engagieren können und dafür keiner Organisation angehören müssen. Es reicht, wenn sich fünf Jugendliche zusammentun.

In diesem Aktionstyp können Jugendliche selbst einen Antrag stellen. Das ist für junge Menschen, die vor Ort etwas bewegen möchten, eine großartige Möglichkeit: Denn sie haben ja viele Ideen – angefangen bei Projekten im Umweltschutz wie Foodsharing oder Kleidertauschbörsen bis hin zu Integrationsprojekten. Dieses Format unterstützt sie dabei, zur Tat zu schreiten. Wir glauben, dass es auf sehr viel positive Resonanz stoßen wird.

Ingrid: In Erasmus+ gibt es zum einen die transnationalen Jugendinitiativen. Um ein solches Projekt durchführen zu können, müssen die Jugendlichen jedoch mindestens eine Partnergruppe in einem weiteren Land haben. Das ist natürlich eine relativ hohe Hürde. Wir gehen aber auf mögliche Interessenten zu und beraten individuell.

Ansonsten gibt es für informelle Gruppen junger Menschen die Möglichkeit, andere Projekte zu beantragen, zum Beispiel Jugendbegegnungen. Das jedoch nehmen oft sehr gut ausgebildete junge Menschen in Angriff, die Ende Zwanzig sind. Sie werden von uns genauso beraten und informiert, wie alle anderen Antragsteller auch.

JfE: Blicken wir ganz zum Schluss in die Zukunft. Die EU-Kommission hat 2018 ihren Vorschlag veröffentlicht, wie die nächste Generation der beiden Programme aussehen soll. Die Diskussion darüber wird dieses Jahr weitergehen. Was wären denn eure Wünsche für die Zukunft?

Ingrid: Erst einmal finden wir es richtig und gut, dass viele Dinge, die sich bewährt haben, weitergeführt werden sollen.

Schön ist, dass bürgerschaftliches Engagement wieder mehr in den Fokus gerückt wird. Der Wille, politische Bildung zu fördern, sollte sich in der Programmausgestaltung niederschlagen. Wir brauchen passende Formate, die es sowohl jungen Menschen ermöglichen, Projekte zu diesen Themen zu machen, wie auch Trägern, wieder gezielt Maßnahmen der politischen Bildung durchzuführen.

Genauso erfreulich sind die Bestrebungen der Europäischen Kommission, das kommende Programm noch inklusiver zu gestalten. Der Jugendbereich ist den anderen Bereichen deutlich voraus, was die Einbeziehung junger Menschen mit geringeren Chancen und unterschiedlichen Hintergründen angeht. Trotzdem bedarf es weiterer Anstrengungen, tatsächlich allen jungen Menschen Chancen für eine Teilnahme am Programm zu bieten.

Dazu müssen passende Rahmenbedingungen im Zuschnitt und der Ausstattung von Formaten, aber auch im administrativen Bereich geschaffen werden. Wünschenswert wäre beispielsweise die Einführung mehrjähriger Rahmenverträge für Träger, die hauptsächlich mit jungen Menschen mit geringeren Chancen arbeiten; innerhalb dieser Rahmenverträge wäre es dann möglich, einzelne Aktivitäten und Projekte viel kurzfristiger und passgenauer umzusetzen. Auch die einzelnen Formate könnten in diesem Rahmen flexibler gehandhabt werden, so dass sich Angebote stärker an den Bedarfen der jungen Menschen als an vorgegebenen Formaten orientieren. Außerdem müssen geeignete Formen der Ansprache gefunden werden, darunter z.B. auch Informationen in einfacher Sprache.  Nicht zuletzt bedarf es eines regelmäßigen und passgenauen Fortbildungsangebotes vor allem für die Träger, die neu in europäische Projekte mit den Zielgruppen einsteigen wollen.

Uns ist auch sehr wichtig, dass der nicht formale Bildungscharakter des Programms erhalten bleibt. Es gibt ja die Diskussionen um DiscoverEU und ob diese Initiative in das neue Programm eingegliedert wird.

JfE: Die Idee hinter DiscoverEU ist, dass 18jährige kostenlos ein Interrail-Ticket zur Verfügung gestellt bekommen, mit dem sie Europa erkunden und neue Freundschaften schließen können. Eine erste Pilotphase fand 2018 statt. Ab 2021 soll DiscoverEU dann Teil von Erasmus+ JUGEND IN AKTION werden. 700 Millionen Euro will die Kommission hierfür zur Verfügung stellen.

Ingrid: Genau. Die Frage ist noch offen: Wird DiscoverEU Teil des Jugendprogramms und wenn ja wie? Nicht formales Lernen, so wie wir es verstehen, ist begleitetes Lernen unter gezielter Anleitung von Lernprozessen. Von diesem Verständnis ist DiscoverEU derzeit noch weit weg. Wenn es Teil des Programms wird, werden die nicht formalen Elemente bei DiscoverEU sicherlich gestärkt, was dann wieder interessante neue Chancen bieten könnte.   

Weiter: Wir haben steigende Antragszahlen in Erasmus+ JUGEND IN AKTION. Seit 2014 hat sich der Jugendbereich innerhalb von Erasmus+ nicht nur etabliert: Er hat wichtige eigene Akzente gesetzt und vielfältige Wirkungen erzeugt, gerade im Bereich der Demokratie- und Wertevermittlung.

Über Erasmus+ JUGEND IN AKTION können wir großartige Projekte fördern. Die Zufriedenheit mit dem Programm ist enorm. Ich würde mir für das Nachfolgeprogramm wünschen, dass wir entsprechend den vorliegenden Vorschlägen eine Mittelausstattung bekommen, die es uns erlaubt, den steigenden Antragszahlen zu begegnen. Wir wollen gute Projekte fördern und nicht aus budgetären Gründen ablehnen.

Wir brauchen mehr Freiheit in der Zuweisung der Mittel zu den unterschiedlichen Aktivitäten. Außerdem sollten die Mittel über die Jahre hinweg gleichmäßiger verteilt werden. Ansonsten besteht die Gefahr, dass wir zu Anfang des neuen Programms weniger Mittel zur Verfügung haben als zum Ende des jetzigen Programms.

Das Letzte ist, glaube ich, dass wir viel Aufmerksamkeit darauf verwendet werden müssen, wie wir administrative Vereinfachungen erreichen können. Das ganze Programm ist mit all seinen Tools und Verfahren ausgerichtet auf große und stabile Träger, die das Know How, die zeitliche und personelle Ressourcen haben, um diese sehr aufwändigen Verfahren bedienen zu können. Das passt einfach nicht für den Jugendbereich und es gibt immer noch viele Träger, die fühlen sich abgeschreckt und sind nicht in der Lage, diese Verfahren vernünftig umzusetzen.

Daher würde auch das ziemlich weit oben auf meinem Wunschzettel stehen: Wir müssen zu realen Vereinfachungen kommen und nicht Tools ausweiten oder Antragsformulare noch länger machen.

Heike: Wir stehen ja erst am Anfang mit dem Europäischen Solidaritätskorps, deshalb wünsche ich mir, dass das Programm gut zum Laufen kommt. Und ich wünsche mir, dass es uns wirklich gelingt, diese klare politische Ausrichtung auf Solidarität und sozialen Zusammenhalt in Europa umzusetzen. Dass die geförderten Projekte Dinge in Bewegung setzen und junge Menschen animieren, für die Gesellschaft aktiv zu werden. Wenn uns das gelingt mit dem Programm, dann ist mein Wunschzettel nicht lang.

Damit verknüpfe ich die Idee einer ESK-Community von jungen Menschen und Organisationen, die sich alle sowohl lokal als auch europäisch für ein solidarisches Europa engagieren. Wenn so eine Community entsteht und wächst, fände ich das großartig.

JfE: Vielen Dank für das Gespräch!

(JUGEND für Europa)

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Weiterführende Informationen

Link: Alle Informationen zu Erasmus+ JUGEND IN AKTION finden Sie auf unserer Programmseite www.jugend-in-aktion.de.

Link: Alle Informationen zum Europäischen Solidaritätskorps finden Sie auf unserer Programmseite www.solidaritaetskorps.de.

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