04.11.2019
Partnerkontaktseminar "Inclusion Matchmaking": Wer sucht, der findet
In den eigenen Ländern sind Organisationen, die mit jungen Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten, meist gut vernetzt. Doch Partner im Ausland für gemeinsame Projekte zu finden, ist eine Herausforderung. Das änderte das europäische Partnerkontaktseminar "Inclusion Matchmaking". Rund 100 Fachkräfte aus 20 Ländern trafen sich Anfang Oktober in Frankfurt.
Wie ein großes Singletreffen mit Möglichkeiten zum Speed-Dating wirkt das Plenum des europäischen Partnerkontaktseminars "Inclusion Matchmaking" in Frankfurt. Denn alle haben dasselbe Ziel: Partner zu finden für ihre Organisationen.
"Ich bin diejenige, die mit einem ganz konkreten Auftrag hierher geschickt wurde", berichtet Mari Mononen aus Helsinki. Eine Gruppe von acht Jugendlichen aus ihrer NGO "Kehitysvammatuki 57" beauftragte die Jugendarbeiterin damit, Partnerorganisationen für einen einwöchigen inklusiven Jugendaustausch zu suchen. "Sie haben mir sogar ein Bild von sich mitgegeben und ihre Hobbies und Favoritenländer notiert", erzählt Mononen.
Nach Mononens Rückkehr möchte die Gruppe aussuchen, mit wem sie den Austausch machen will. Denn die Jugendlichen wollen ihre erste internationale Erfahrung selbst organisieren. Die NGO ist eine der größten für Menschen mit Behinderungen in Finnland.
"Viele der Jugendlichen, mit denen wir arbeiten, haben nicht dieselben Möglichkeiten wie ihre Altersgenossen. Meine Motivation ist ihre Unabhängigkeit", sagt Mononen. Das eint die 100 Teilnehmer des Seminars: alle arbeiten dafür, Jugendliche mit Beeinträchtigungen zu empowern. Nachlesen kann man die Ideen, Ziele und Träume der Organisationen an der Wand des großen Plenums. Dort hängen Bilder und Steckbriefe.
Thema nimmt an Fahrt auf
"Das Thema Inclusion gewinnt immer mehr an Bedeutung im Erasmus+-Programm. Um breitere Zielgruppen zu erreichen, gibt es eine horizontale Strategie für alle Sektoren", erklärt Hanna Schüßler, Fachreferentin für Inclusion und Diversity bei JUGEND für Europa.
Das Partnerkontaktseminar ist Teil eines mehrjährigen Kooperationsprojekts, der "Strategic Partnership on Inclusion" (SPI), an der sich 15 Nationale Agenturen und zwei SALTO Resource Zentren beteiligen. "Ziel des Kontaktseminars ist es, dass das Thema weiter an Fahrt aufnimmt und die Beteiligung junger Menschen mit besonderen Bedürfnissen an den EU-Programmen weiter zunimmt", sagt Schüßler.
Doch erst einmal geht es darum, in die Phase der Visionen zu starten und Antworten auf die W-Fragen zu finden, um die Reise zu einem europäischen Projekt starten zu können. Und dann wollen geeignete Mitstreiter gefunden werden, die dem Projekt beitreten. Ist dies passiert, bringen die Teilnehmer anschließend die ersten Ideen als Mindmaps, Grassroot-Comics oder Poster zu Papier und stellen diese sich gegenseitig vor.
Ambitionierte Vorhaben
Schnell hat sich eine Gruppe von Teilnehmern aus Italien, Island, Norwegen und Frankreich gefunden. "Wir suchen Partnerorganisationen für Kurzzeit-Freiwilligendienste, weil wir viel mit Zielgruppen arbeiten, die soziale, ökonomische, gesundheitliche oder persönliche Schwierigkeiten mitbringen", erklärt Sarah Bierling von Romans International in Frankreich.
"Das passt gut, ich arbeite auch mit Menschen mit schwierigen Hintergründen und viel zu Themen rund um Diskriminierung, Migration und Stereotypen", sagt Laura D’Apote aus Norditalien. "Wir haben auch über die Möglichkeiten von Kurzzeit-Freiwilligendiensten und Gruppenfreiwilligendiensten nachgedacht und könnten für Jugendaustausche ein barrierefreies Hostel bei uns nutzen", bietet sie der Gruppe an.
"Wir sind noch völlige Neulinge im Erasmus+-Programm, wollen aber unsere Jugendleiter in den europäischen Austausch bringen zu Themen rund um Natur und Inklusion", erklärt Helga Thorey Júlíudóttir von den isländischen Pfadfindern.
Neu im Feld ist auch Tove Gustad von der Arbeits- und Sozialverwaltung an der Westküste Norwegens: "Wir wollen den Kurzzeit-Freiwilligendienst ausbauen, um Jugendlichen, die keiner Beschäftigung, Ausbildung oder Fortbildung nachgehen, neue Möglichkeiten zu geben", sagt sie. "Wir könnten uns aber auch vorstellen, einen Jugendaustausch zum Thema Partizipation zu machen – von der Möglichkeit haben wir aber erst heute erfahren", fügt sie lachend hinzu.
Yohan Massot aus Frankreich, ist in Projekten tätig, die daran arbeiten, inklusive Sport-Aktivitäten für Menschen mit und ohne Behinderung zu schaffen. "Wir würden gerne bei einem Fachkräfteaustausch unsere Ideen und Methoden teilen, auch um sie zu verbessern", sagt er.
Nach einigen Stunden Überlegungen und Projektskizzen einigt sich die Gruppe darauf, ein Training für Jugendarbeiter zu Methoden und Skills im Rahmen von Erasmus+ zu beantragen – verbunden mit Jugendbegegnungen in Island und Italien, in denen Outdoor-Aktivitäten als inklusive Methode erprobt werden.
Frankfurt begreifen
Doch es wird nicht nur an Projektideen gearbeitet, sondern es werden auch Eindrücke gesammelt. Wie gelebte Inklusion aussehen kann, davon bekommen die Teilnehmer einen Eindruck, als am nächsten Tag zwei Geburtstage anstehen – denn einer der beiden Jubilare ist gehörlos. Was also tun?
Kurzerhand lernen die 100 Teilnehmer die vier Gesten für "Happy Birthday" in Zeichensprache und gebärden und singen das Ständchen auf diese Weise gleichzeitig. Auch die folgende Tour durch Frankfurt hat nicht viel von einer klassischen Stadtführung. Stattdessen gilt es, sich wie ein sehbehinderter Mensch die Stadt, ihre Gemäuer und Geschichten zu ertasten, zu erfühlen und sie zu hören. An vielen Stellen der Stadt stehen Modelle der Gebäude und es werden spezielle Bilder zum Ertasten herumgereicht.
Zurück in den Tagungsräumen erklärt Barbara Gängler von der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft e.V., warum sie am Seminar hier in Frankfurt teilnimmt. "Gehörlose oder schwerhörige Menschen bekommen oftmals schon früh ein Gefühl des Anders-Seins. Dadurch, dass man Hörgeräte nicht auf den ersten Blick sehe, reagieren viele Leute unsensibel. Bis dato waren europäische Austausche auch ein blinder Fleck für uns."
Die Jugendlichen im Verband seien aber sehr reiselustig: "Wir sind dabei ein Projekt zu starten, bei dem Jugendliche in verschiedenen Ländern erkunden, wie dort jeweils der Zugang zu technischer Versorgung und zu Hörhilfen, der Umgang mit Barrieren und die Bildungschancen für Gehörlose aussehen", erklärt sie. Der nächste Schritt sei, eine Jugendbegegnung in Brüssel zu organisieren.
Voller Enthusiasmus für die nächsten Schritte
Bereits einen Partner gefunden hat Dan Palimariu. "Ich arbeite in der Down Association in Moldova in Rumänien mit etwa 30 Kindern und Jugendlichen in Aktivitäten zur sozialen Integration", erzählt er. Seine Arbeit umfasse Hilfe im Alltag anzubieten wie auch andere Aktivitäten (wie Sport, Malen und Basteln und das Theaterspielen).
"Erst im vergangenen Jahr haben wir das Märchen Rotkäppchen als Theaterstück aufgeführt. Es war toll zu sehen, welche Veränderung mit einem Kostüm und einer Rolle entsteht", berichtet er. Beim Seminar habe er einen Partner in Finnland gefunden für ein gemeinsames Theaterprojekt: "Bei unseren Theaterprojekten geht es in erster Linie nicht darum, ein professionelles Ergebnis zu haben, sondern mehr um die Erfahrung selbst", sagt er.
Einen Partner gefunden haben auch Ágnes Fazekas und Krisztina Kovács von der ELTE Universität in Budapest: "Wir unterstützen Studenten mit Beeinträchtigungen und Behinderungen und würden gern einen inklusiven Jugendaustausch zum Thema 'diversibility und interkulturelle Skills' machen, um sie mehr zu empowern“, erzählen sie.
Die Idee sei, den Austausch eher kurz zu halten, um den Jugendlichen einen Vorgeschmack zu geben darauf, was es heißt, international mobil zu sein. Beim Matchmaking finden sie einen Partner aus einer ländlichen Gegend aus Nordgriechenland, in der viele arbeitslose Jugendliche und Geflüchtete leben. Jetzt wollen sie noch eine ungarische NGO finden. "Toll wäre, wenn der Austausch schon 2020 stattfinden würde", zeigt sich das Team voller Enthusiasmus.
(Text und Fotos: Lisa Brüßler für JUGEND für Europa)
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