25.06.2020
Strategische Partnerschaft "PRIDE": "E-Learning hat als Ergänzung viel Potential"
Seit 2018 läuft die Strategische Partnerschaft PRIDE (Prevention of Radicalisation through Intercultural Dialogue and Exchange) zwischen Deutschland, Frankreich und Tunesien. Das Ziel: Durch interkulturellen Dialog und Gruppenaustausche demokratische Werte zu fördern, um so Radikalisierungstendenzen entgegenzuwirken.
Wie das gelingt, darüber hat JUGEND für Europa mit Projektkoordinatorin Camille Naulet und dem pädagogischen Mitarbeiter Aurélien Durbec beim IKAB-Bildungswerk in Bonn gesprochen.
JUGEND für Europa: IKAB-Bildungswerk e.V. ist seit vielen Jahren mit seinen Partnern aus Frankreich und Tunesien im engen Austausch. Wie kam es zu der Strategischen Partnerschaft?
Aurélien Durbec: Wir, das IKAB-Bildungswerk e.V. (externer Link), führen gemeinsam mit unseren beiden Partnern, der Fondation INFA (externer Link) in Frankreich und dem Club Culturel Ali Belhouane (externer Link) aus Tunesien, seit vielen Jahren Jugendaustauschprojekte aber auch Fortbildungen durch. Hierfür haben wir ein Netzwerk von mehr als 40 Partnereinrichtungen gegründet, bestehend aus Sozial- und Kulturzentren, Berufskollegs und Einrichtungen der beruflichen und sozialen Eingliederung, in dem wir uns zwei Mal jährlich treffen.
Das Thema gewalttätige Radikalisierung wurde vor allem durch die vermehrten Attentate in Frankreich und Tunesien ab 2015 immer größer. Alle Partner merkten, dass es sehr präsent ist bei jungen Menschen und es mehr Wissen darüber braucht. Die Strategische Partnerschaft gab uns die Möglichkeit, weitere Partnerschaften – wie mit Fachorganisationen aus der Radikalisierungsprävention, etwa Ufuq e.V. (externer Link) aus Deutschland – aufzubauen. Auch das Thema "blended learning" mit den digitalen Möglichkeiten konnten wir so angehen.
Frau Naulet, sie sind die Koordinatorin des Projekts und halten Kontakt zu den Partnern. Wie funktioniert die Kommunikation in der Partnerschaft?
Camille Naulet: Im Team ist die Arbeitssprache Französisch. Auf der Ebene der Jugendaustausche, bei Fortbildungen und Konferenzen ist uns wichtig, dass diese alle auf der Sprache der Teilnehmenden stattfinden. Und auch unser pädagogisches Handbuch ist in den drei Sprachen der Partnerschaft – Deutsch, Französisch und Arabisch – verfügbar.
Aurélien Durbec: Wir werden oft gefragt, warum es unsere Tools und Publikationen nicht auf Englisch gibt. Unsere Antwort lautet dann immer: Wir wollen nicht, dass Barrieren bei den Menschen, mit denen wir arbeiten, gesetzt werden. Diese abzubauen, daran arbeiten wir in Präsenzveranstaltungen, virtuell und in Publikationen.
Wie schon angesprochen gibt es eine direkte Verbindung zwischen den Themen Digitalisierung und Radikalisierung.
Aurélien Durbec: Genau, digitale Möglichkeiten werden oftmals sehr stark und effizient genutzt – sei es von der rechtsradikalen Szene, etwa der identitären Jugendbewegung oder von der islamistischen Szene. Wir sind deshalb zweigleisig gefahren und haben mit dem Status Quo der Prävention von Radikalisierung in den drei Ländern und einem trinationalen Blick auf das Phänomen begonnen – bisher waren Analysen nämlich meist stark lokal oder national geprägt.
Daraufhin folgte ein Trainingszyklus im "blended learning-Format" für die Gruppenverantwortlichen, die die Jugendlichen, bei Austauschen begleiten. Neben physischen Treffen fand dies also auch im digitalen Raum statt. Wir wollten nicht nur das Thema Digitalisierung angehen, sondern auch das Lernen on- und offline erlebbar machen.
Das Nutzen des digitalen Raums war also von Anfang an im Projekt angelegt?
Aurélien Durbec: Ja, die Idee ist 2017 entstanden, 2018 fand unser Kick-Off-Meeting statt – da wusste natürlich noch niemand, dass eine Corona-Pandemie kommen und digitale Zusammenarbeit und E-Learning schlagartig sehr wichtig werden würde.
In der Krise jetzt waren wir sehr froh, dass wir uns bereits seit zwei Jahren mit der Pädagogik im "blended learning" beschäftigen. Klar ist aber auch, dass es nicht physische Austausche ersetzt. Als Ergänzung hat es aber sehr wohl viel Potential.
"Blended learning" ist Lernmodell, in dem digitales Lernen und klassischer Unterricht kombiniert werden. Wie funktionierte "blended learning" konkret in den Projekten?
Aurélien Durbec: Wir wussten von Anfang an, dass Präsenzveranstaltungen nur ein Teil des Lernprozesses sind: Dieser beginnt schon davor und hält auch nach der Veranstaltung an. Je mehr wir von diesem Prozess begleiten, desto effizienter ist es und desto höher ist die Qualität.
Unabhängig davon, ob Jugendaustausch oder Fortbildung haben wir in der Vorbereitung immer Kontakt gehalten und Inhalte vorbereitet. Nach der Präsenzveranstaltung geht es meist in der Schule oder den Jugendzentren mit der Begleitung weiter.
Digitale Methoden innerhalb des "Blended learning" werden also meist in der Phase vor der ersten Begegnung und zwischen den folgenden Phasen eingesetzt.
Wie muss man sich die Zusammenarbeit im Projekt allgemein vorstellen?
Camille Naulet: Wir haben innerhalb der Partnerschaft viel online zusammen gearbeitet. Am Anfang gab es Präsenzsitzungen, dann abwechselnd Online- und Präsenztreffen. Über die zweieinhalb Jahre haben wir so gearbeitet wie es jetzt in der Pandemie für viele Organisationen zum Alltag geworden ist. Wir haben uns aber immer auch regelmäßig physisch getroffen in den drei Ländern, jetzt in Corona-Zeiten ist das weggefallen und das ist schade.
Und wie legen Sie das Thema für einen Jugendaustausch in der Partnerschaft fest?
Aurélien Durbec: Wir setzen uns mit allen Partnern an einen Tisch, oft sind auch junge Menschen dabei. Da einigen wir uns auf ein Thema der politischen Bildung. Das kann Umweltschutz sein, Diskriminierung oder Gender – es muss nicht die Prävention von Radikalisierung sein. Die Idee ist, dass politische Bildungsarbeit einen Beitrag zur Präventionsarbeit leisten kann. Die Jugendlichen beginnen dann Inhalte für die Präsenzveranstaltung zu erarbeiten, die in jeder Phase in einem anderen Land stattfindet.
Inwiefern unterscheiden sich die Zielgruppen mit denen die Projektpartner arbeiten?
Aurélien Durbec: Per se sind die Zielgruppe aller Partner junge Menschen mit geringeren Chancen oder benachteiligte Jugendliche sowie MultiplikatorInnen, die mit der Zielgruppe arbeiten. Die Konferenzen, die wir durchgeführt haben, waren hauptsächlich für unser Netzwerk gedacht, aber dadurch, dass sie online stattgefunden haben, haben wir noch viel mehr Menschen erreicht als wir ursprünglich vorhatten.
Das war ein sehr schöner Effekt, auch weil wir bei IKAB gern sagen, dass wir Europa demokratisieren wollen und wenn wir Europa sagen, sprechen wir von der Vorstellung des Zusammenlebens in einer Gesellschaft, die auf Menschenrechten basiert. An dieser gesellschaftlichen Perspektive können wir dann gemeinsam arbeiten.
Das finale Multiplikatoren-Event war eigentlich für Mitte Juni als trinationale Konferenz geplant, dann kam Corona und Sie mussten umdisponieren?
Camille Naulet: Ja, eigentlich sollte es eine große Konferenz mit den drei Sprachen in Tunis geben, aber wir fanden es sehr anspruchsvoll, dies eins zu eins in den digitalen Raum zu übertragen. Deswegen haben wir uns entschieden, daraus einzelne Online-Veranstaltungen in den drei einzelnen Sprachen zu machen – da kamen etwa 80 Teilnehmende pro Veranstaltung zusammen. Auch wenn wir es gerne interaktiver gehabt hätten, hat das insgesamt sehr gut geklappt, das war auch für uns das erste Mal in so einer Größenordnung.
Sind denn Ergebnisse und Tools in der Partnerschaft entstanden, die vielleicht auch für andere Organisationen einen Mehrwert haben?
Aurélien Durbec: Wir haben sehr viele positive Rückmeldungen zur trinationalen Analyse bekommen, damit hatten wir gar nicht gerechnet. Wir hoffen natürlich, dass das auch der Fall für das pädagogische Handbuch sein kann und es einen Mehrwert für die Präventionsarbeit und die politische Bildung hat. Auch eine Web-App MobiYouth.org (externer Link), die interaktive Übungen für Gruppen zur Verfügung stellt, ist entstanden. Sie verbessert die Vor- und Nachbereitung eines Austauschs, indem Materialíen wie z.B. Fotos, Videos, Spiele oder interaktive Karten zur Verfügung gestellt und bearbeitet werden können.
Im August endet die Strategische Partnerschaft. Wissen Sie schon, wie es jetzt weiter geht?
Camille Naulet: In unserer Entwicklung und Zusammenarbeit als Partner ist die Strategische Partnerschaft nur ein Schritt. Was zum Beispiel die Entwicklung und Nutzung von digitalen Tools anbelangt, war PRIDE eine erste Etappe in diesem Prozess.
Aurélien Durbec: Strategische Partnerschaften bieten viel Raum und Möglichkeiten, sodass wir wahrscheinlich wieder in diese Richtung schauen werden. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Fortbildungsangebote für Träger und MultiplikatorInnen im "blended learning-Format" – das würden wir gern weiter vertiefen. Wir haben aber auch gemerkt, dass Engagement heute etwas ganz anderes bedeutet als noch vor zehn Jahren. Ich denke, wir müssen auch schauen, was sich in der politischen Bildung ändern muss, um das Engagement junger Menschen weiter zu fördern.
(Interview: Lisa Brüßler für JUGEND für Europa / Fotos: IKAB-Bildungswerk e.V.)
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Weiterführende Informationen
Link: Das Projekt PRIDE wird gefördert über die Leitaktion 2 "Strategische Partnerschaften" des EU-Programms Erasmus+ JUGEND IN AKTION. Mehr zu den Fördermöglichkeiten erfahren Sie auf unserer Programmseite Erasmus+ JUGEND IN AKTION...
Link: Mehr über das Projekt PRIDE erfahren Sie auf der Internetseite http://erasmus-pride.org (externer Link) sowie auf der Facebookseite https://www.facebook.com/PreventionofRadicalisationPRIDE/