04.10.2022
27 Jahre lang entscheidende Impulse für die Europäische Jugendarbeit und Jugendpolitik: Hans-Georg Wicke geht in den Ruhestand
Nach 27 Jahren als Leiter verlässt Hans-Georg Wicke im Oktober 2022 JUGEND für Europa und geht in den Ruhestand. Moment einmal! 27 Jahre?! Das ist ja über ein Vierteljahrhundert….
Gemeinhin geht der Blick zurück bei solchen Anlässen, um die Zeitspanne von über einem Vierteljahrhundert überhaupt einordnen zu können. Was war damals los im Jahr 1995?
Vor 27 Jahren heißt der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl. Der US-Präsident ist Bill Clinton, der Kommissionspräsident Jaques Santer. Microsoft bringt Windows 95 heraus und will mit seinem Microsoft Messenger das Internet bekämpfen. In deutschen Behörden stehen Fax-Geräte.
1995 treten Österreich, Schweden und Finnland der Europäischen Union bei, womit die EU 15 Mitgliedsländer (inklusive des Vereinigten Königreichs) besitzt. Niemand will die EU verlassen, im Gegenteil immer mehr Staaten wollen hinein. Lettland stellt im Oktober 1995 seinen Aufnahmeantrag. Bereits im März 1995 hat der grenzfreie Reiseverkehr nach dem Schengen-Abkommen in sieben Ländern begonnen. Die Einführung einer gemeinsamen Währung ist beschlossen. Doch auch 1995 herrscht mitten in Europa Krieg – in Bosnien.
Das Europäische Jugendprogramm heißt JUGEND für Europa III. In Bonn hat das Büro JUGEND für Europa, dessen Leiter Hans-Georg Wicke im Oktober 1995 wird, genau vier Mitarbeiter*innen. Der deutsche Anteil am Förderbudget des EU-Jugendprogramms beträgt ca. 13 Millionen ECU, für fünf Jahre wohlgemerkt. Eine Europäische Jugendpolitik existiert nicht – geschweige denn eine European Youth Work Agenda. Soweit das Setting.
Nichts ist so beständig wie der Wandel
Für die folgenden 27 Jahre im beruflichen Wirken von Hans-Georg Wicke war nichts so beständig wie der Wandel. Als Leiter von JUGEND für Europa hat er seit 1995 diesen Wandel immer wieder angestoßen. Er hat entscheidende Impulse für die Entwicklung der EU-Jugendprogramme gesetzt und überzeugend für die Relevanz einer europäischen Sichtweise von Jugendpolitik und Jugendarbeit in der EU sowie für das gesamte Feld der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland geworben. In Ihrer Würdigung schreibt Prof. Dr. Karin Böllert, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe (AGJ), dazu:
Europa muss und kann als unverzichtbarer Bestandteil des Lebens junger Menschen erlebt und gefühlt werden. Und die Kinder- und Jugendhilfe wird dadurch bunter und lebhafter, kann und muss in ihren jeweiligen Handlungsbezügen europäisch sein. Die AGJ ist mit und durch Hans-Georg Wicke in jedem Fall europäischer geworden; dass Europa heute quasi selbstverständlicher Bestandteil unseres Agierens ist, ist die überaus anerkennenswerte Leistung von Hans-Georg Wicke.
Seinen Antrieb beschrieb Hans-Georg Wicke einmal mit diesen Worten:
Es geht um die Neu(be)gründung Europas, um eine Rückbesinnung auf die Werte und die Identität Europas, einen neuen, veränderten Prozess der Europäisierung. Es benötigt einen neuen identitätsstiftenden Europäisierungsprozess, der aus den Verwaltungen und Konferenzräumen
herauskommt und das tatsächliche Leben der Menschen in den Mittelpunkt stellt. Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Initiative für die Erneuerung Europas, die Europa gegen antieuropäische Tendenzen verteidigt, für die Stärkung europäischer Identität, europäischen Bewusstseins, europäischen Engagements. Dabei stehen vor allem junge Menschen im Mittelpunkt, für die Europa nicht nur ihre jetzige, sondern auch ihre zukünftige Lebensgrundlage darstellt.
Nachhaltige Wegmarken
Hans-Georg Wicke hat sowohl persönlich wie mit JUGEND für Europa, dem Netzwerk der Nationalen Agenturen und vielen Partnern im In- und Ausland nachhaltige Wegmarken gesetzt, von denen die wichtigsten hier einmal noch einmal genannt sind:
- Weißbuchprozess “Neuer Schwung für die Jugend Europa” (2001)
- Forenreihe für Europäische Jugendarbeit und Jugendpolitik (seit 2003)
- Entwicklung und Einführung von Youthpass (seit 2005)
- Einrichtung der Service- und Transferstelle EU-Jugendstrategie (2011-2018)
- Begründung des EPLM (European Platform for Learning Mobility)-Netzwerkes (seit 2013)
- Europäische Konferenz “Building Tomorrow’s Europe” (2013)
- Europäische Dimension im Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag (seit 2014)
- 3rd European Youth Convention und Start des Bonn Process (2020)
Beim Übergang der EU-Jugendprogramme in das Rahmenprogramm Erasmus+ ab 2014 ist es insbesondere dem persönlichen Engagement von Hans-Georg Wicke zu verdanken, dass der Jugendteil heute einen wesentlichen Anteil an der europäischen Jugendmobilitäts- und Engagementförderung hat. Durch seinen Einsatz bieten die EU-Jugendprogramme vielfältige Möglichkeiten, die junge Menschen und Fachkräfte der Jugendarbeit gleichermaßen dazu einladen, ihren Beitrag, ihre Stimmen und ihre Kompetenzen einzubringen zu aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und Schwerpunktthemen von der europäischen bis zur lokalen Ebene.
Und mit all diesen Aktivitäten ist JUGEND für Europa als Nationale Agentur gewachsen: in der Übernahme inhaltlicher Aufgabenstellungen und Herausforderungen für die Umsetzung der Programme, im Angebot an Fördermöglichkeiten und -mitteln, in der Bereitstellung von Fortbildungsangeboten und Netzwerkaktivitäten, in der öffentlichen Wirkung und damit natürlich auch in der Anzahl der Mitarbeiter*innen.
Für ein soziales und offenes Europa
27 Jahre sind mehr als ein Vierteljahrhundert. Es ist unser Antrieb und unsere Motivation, alles dafür zu tun, dass wir 2049 in einem offenen und sozialen Europa leben, das ein menschenwürdiges Leben für alle ermöglicht; das solidarisch ist, friedlich, demokratisch, freiheitlich, plural, tolerant, rechtsstaatlich, partizipativ, inklusiv, zukunftsgerichtet und in dem Vielfalt als Bereicherung empfunden wird. Und in einem Europa, das Verantwortung für das gelingende Aufwachsen junger Menschen übernimmt und sie teilhaben lässt.
Für diesen Antrieb und diese Motivation hat Hans-Georg Wicke in den vergangenen Jahren die Grundlagen gelegt und viele Menschen in ganz Europa dafür begeistert. Ein soziales und offenes Europa zu gestalten, ist ihm eine Herzensangelegenheit. Und anders geht es auch nicht.
Wir sagen: "Danke!"
(JUGEND für Europa)
Hans-Georg Wicke wird JUGEND für Europa am 14. Oktober verlassen, seine Nachfolgerin als Leiterin von JUGEND für Europa wird Frauke Muth, derzeit Programmdirektorin für Rumänien und Bulgarien bei Innovation Norway, einer staatseigenen Stiftung zur Förderung des ökonomischen und sozialen Ausgleichs in Europa.