21.11.2022

“Europa in Zeiten von Krisen”: Liverollenspiele in Jugendbegegnungen

Das Bild zeigt verkleidete Jugendliche, die für das Bild posieren.

Wie kann eine Auseinandersetzung mit den Folgen des Klimawandels erfolgen? Wie können wir Probleme gemeinsam und über Grenzen hinweg angehen? Diesen Fragen widmete sich die Jugendbegegnung “Europe in the time of crisis” mit Hilfe der LARP-Methode. Ein Interview mit Piotrek Warzyszynski, Koordinator für Internationale Projekte bei Fahrten-Ferne-Abenteuer Ferienwerk.

Knapp 50 junge Menschen aus den Niederlanden, Deutschland, Zypern, Griechenland, Polen, Slowenien und Schweden trafen sich Ende September 2022 in Berlin. Die Teilnehmer*innen waren zwischen 18 und 26 Jahre alt. Thematischer Schwerpunkt der Jugendbegegnung war der Klimawandel. In einem dreitätigen Liverollenspiel tauchten die Teilnehmer*innen in die post-apokalyptische Welt Edinu ein.

Das Liverollenspiel wurde vorab vorbereitet; die jungen Menschen haben ihre Charaktere und dazugehörige Kostüme im Vorfeld entwickelt. Die Welt von Edinu ist im Rahmen von vorherigen Jugendbegegnungen entstanden; jede neue Gruppe setzt die Geschichte fort und prägt diese Welt durch ihre Handlungen und Entscheidungen.

JfE: Was ist LARP und wie sind Sie zu diesem Format gekommen?  

Piotrek Warzyszynski: LARP oder Live Action Role Playing ist eine Kombination aus Improvisationstheater und einem Rollenspiel mit Regeln, die die Aktionen und Interaktionen der Spieler*innen festlegen. Ursprünglich handelt es sich um eine Freizeitaktivität, die aber zunehmend als pädagogisches oder sogar psychotherapeutisches Instrument eingesetzt wird. Die Methode stellt eine besondere Art des spielerischen und erfahrungsbasierten Lernens dar, die den Teilnehmer*innen starke emotionale und kognitive Erfahrungen ermöglicht. LARP ist ein äußerst wirkungsvolles pädagogisches Instrument, welches auch eine ausführliche Reflexion erfordert. Die Erfahrung bietet viel Stoff zum Nachdenken, aber nur wenn sie gründlich ausgewertet und reflektiert wird, kann sie sich in eine Lernerfahrung verwandeln, die das Leben der Teilnehmer*innen verändern kann. Es kann eine Grundlage für die Erweiterung von Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen bieten.

Wir arbeiten nun seit mehr als fünf Jahren mit dieser Methode. In den früheren Projekten, die wir organisiert haben, haben wir über Migration gesprochen. Unser Ziel war es, Empathie und Verständnis zu wecken - wir erkannten, dass LARP die beste Methode ist, um dies zu erreichen. Indem die Teilnehmer*innen in die Haut einer anderen Person schlüpfen, können sie eine emotionale Bindung aufbauen. Dabei sind jede Handlung und Entscheidung ihres Charakters für die Spieler*innen von Bedeutung. Sie können sich in eine völlig neue Situation hineinversetzen, das Thema aus einer anderen Perspektive betrachten, das Problem erleben und die Folgen für den Charakter sehen.

JfE: Diesmal ging es bei der Jugendbegegnung um den Klimawandel. Warum haben Sie dieses Thema gewählt?  

Piotrek Warzyszynski: Die Themen Klimawandel und Umwelt sind im Moment in aller Munde, bewusst und unbewusst. Angesichts der plötzlichen Wetterumschwünge und der extremen Wetterverhältnisse sowie der allgemeinen Energie- und Ressourcenknappheit, die sich auf Märkte und Güter auswirkt auf die wir angewiesen sind (z. B. Strom, Treibstoff und Elektronik), machen sich die Menschen immer mehr Gedanken über die Umwelt - besser spät als nie.

Es gibt viele Projekte zum Thema Umweltschutz - vor allem in der Jugendarbeit ist es in letzter Zeit ein heißes Thema geworden. Wir haben jedoch festgestellt, dass sich die meisten dieser Projekte auf die Mikroebene konzentrieren, nach dem Motto: “Was kann ich als junger Mensch tun, um den Planeten zu retten?”.

Wir glauben, dass wir als Menschheit den Punkt überschritten haben, an dem das Ausschalten des Lichts oder die Mülltrennung den Planeten retten können. Mit diesem Projekt wollten wir zeigen, dass die Gefahr real ist und wir einen globalen, organisierten Systemwandel brauchen. Es mag zu spät sein, um die Zerstörung der Erde aufzuhalten, aber es ist an der Zeit aktiv daran zu arbeiten, die Folgen aufzufangen.

Mit dem LARP-Spiel wollten wir unseren Teilnehmer*innen zeigen, dass wir nur dann etwas bewirken können, wenn wir strukturiert und organisiert zusammenarbeiten. Natürlich sind wir uns einig, dass jeder im Alltag nachhaltig leben sollte, aber wir wollten das Bewusstsein dafür schärfen, dass dies vielleicht nicht ausreicht. Deshalb haben wir den Fokus auf den politischen und makroökonomischen Folgen des Klimawandels gelegt, auch wenn diese erst in ein paar Jahrzehnten und nicht in ein paar Monaten sichtbar sein werden.

JfE: Wie haben die Teilnehmer*innen auf die LARP-Erfahrung reagiert?  

Piotrek Warzyszynski: Die Teilnehmer*innen waren sehr engagiert: Sie haben sich auf das LARP-Erlebnis eingelassen und sind tief in ihre Charaktere und die Interaktionen eingetaucht. Es war nicht immer einfach, aber die meisten waren selbst davon überrascht wir gut sie in diese Welt und in die Charaktere eintauchen konnten.

Von der sorgfältigen Herstellung ihrer Kostüme bis hin zu den Workshops, in denen sie ihre Beziehungen zueinander und die Persönlichkeiten ihrer Charaktere erarbeiteten, waren die Teilnehmer*innen in allen Phasen vor, während und nach der Veranstaltung engagiert. Viele hatten schon vor dem Austausch mit den Vorbereitungen begonnen. Die meisten waren so nachhaltig beeindruckt von der Erfahrung, dass sie noch lange darüber gesprochen haben, Geschichten erzählten, über ihre Erfahrungen nachdachten und den Austausch mit den Anderen fortsetzten.

Die Nachbesprechungs- und Reflexionsworkshops halfen ihnen auch, ihre Erfahrungen und Emotionen einzuordnen, so dass sie das Gesamtbild sehen und die Zusammenhänge mit dem realen Leben und ihren eigenen Überzeugungen und Einstellungen erkennen konnten.

JfE: Was sind die wichtigsten Ergebnisse dieser Erfahrung für die Teilnehmer*innen und für Sie als Jugendarbeiter?  

Piotrek Warzyszynski: Für die Teilnehmer*innen war es eine sehr eindringliche Erfahrung, die sie zum Nachdenken anregte und es ihnen ermöglichte, Emotionen und Erfahrungen in einem sicheren Umfeld auszuleben und zu vertiefen, wozu sie sonst nicht die Möglichkeit hätten. Sie spürten emotional, anstatt nur kognitiv zu erfassen, wie der Klimawandel unser Leben beeinflussen kann.

Einige Spieler*innen berichteten, dass sie von ihrer eigenen Kreativität überrascht waren. Auch staunten sie über ihre eigene Resilienz. Sie haben gelernt, dass es nicht immer einfach ist, sich in die Haut anderer Menschen hineinzuversetzen und wie Gruppendynamiken entstehen. Ein Teilnehmer sagte: “Die Rolle hat mich spüren lassen, wie ungerecht manche Dinge sind, und hat mein Herz verändert, wie ich soziale Interventionen und sozialen Wandel sehe. Nach und nach verändern wir uns, indem wir sensibilisiert und informiert werden, aber auch indem wir die Probleme aus erster Hand erfahren. Außerdem hat es mir geholfen, als Person zu wachsen, und zwar auf eine Art und Weise, die ich jetzt noch nicht ausdrücken und verstehen kann."

Eine weitere Erkenntnis fasste ein Spieler wie folgt zusammen: “Wenn Menschen sich in einer unausweichlichen Situation befinden, suchen sie nach kurzfristiger Befriedigung anstelle von langfristigen Lösungen.”

Als Jugendarbeiter hingegen konnte ich miterleben, wie sich eine neu gebildete Gruppe junger Menschen durch gemeinsame Erlebnisse und Spiele zu einem eng verbundenen Team entwickeln kann. Ich konnte meine Fähigkeiten in der Methodik des spielbasierten Lernens und insbesondere im LARP als pädagogisches Instrument trainieren.

JfE: Was würden Sie anderen Organisationen mitgeben, die Jugendbegegnungen organisieren wollen?  

Piotrek Warzyszynski: Ich empfehle spielbasiertes Lernen aller Art zu investieren. Brettspiele, Rollenspiele, LARP - Spielen verändert alles. Mehr und mehr erkennen Akademiker*innen die Zusammenhänge und hören auf Koryphäen der Pädagogik wie Piaget, Vygotsky und Papert, die schon seit Jahrzehnten die Vorzüge des Spielens als Lernwerkzeug anpreisen. Andererseits kann man sich in diesem interdisziplinären Bereich sehr leicht verirren, und es ist wichtig, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die in erster Linie wissen, wie man Spiele entwickelt, die Spaß machen, denn wenn die Menschen ein Lernspiel nicht spielen, wie sollen sie dann jemals damit lernen?

Natürlich stellen diese Methoden hohe Anforderungen an die Moderator*innen; sie erfordern einen enormen Arbeitsaufwand für die Vorbereitung und Durchführung. Aber der Effekt und die Wirkung auf die Teilnehmer*innen sind definitiv den Aufwand wert.

(JUGEND für Europa. Die Bilder stellte Piotrek Warzyszynski zur Verfügung.