03.04.2023

"Wir wollen keine Solidaritätsspielwiese für Besserverdienende"

Der Parlamentarische Staatssekretär, Sven Lehmann, auf der Fachtagung Engagiert in Europa in Berlinam 13.03.2023Die Fachtagung „Engagiert in Europa“ zeigte einmal mehr, dass Jugend-Freiwilligendienste ihr vielfältiges Solidaritätspotenzial noch längst nicht ausgereizt haben. Mit fair geregelten Sozialleistungen und einer entsprechenden gesellschaftlichen Anerkennung des Einsatzes könnten sie einen zukunftsfähigen Engagement-Rahmen für alle jungen Menschen bieten.

Wenn fast 80 Vertreter*innen des Feldes „Internationales und Europäisches Engagement junger Menschen in Freiwilligendiensten“ zusammenkommen und über nationale und europäische Rahmenbedingungen, zu den Inhalten der aktuellen EU-Ratsempfehlung, zu Fragestellungen aus der Praxis und über Wege zur Steigerung der Inklusivität diskutieren, dann ist das ein Highlight in der zivilgesellschaftlichen fachlichen Debatte. Dem entsprechend muss Politik zuhören, Rede und Antwort stehen und Impulse aufgreifen.

Dafür war Sven Lehmann, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ gekommen. Er erörterte die Ergebnisse der Debatte aus den Workshops mit den Teilnehmer*innen, insbesondere haupt- und ehrenamtlich Engagierte aus Freiwilligenorganisationen, junge (Ex-)Freiwillige, Jugendforscher*innen, und mit der Vertreterin der EU-Kommission, Natascha Sander.

Denn in vielen Belangen ging es auf der Fachtagung um das Europäische Solidaritätskorps (ESK), dessen Zwischenevaluation in diesem Jahr ansteht. Jan Gildemeister, Geschäftsführer der AGDF e.V., sagte in seiner Begrüßung, man wünsche sich für das ESK eine gebührende politische Aufmerksamkeit und die Anerkennung des Stellenwertes. Er äußerte die Hoffnung, dass die zu erwartenden Ergebnisse der Zwischenevaluation zur Verbesserung beitragen können. Die Fachtagung bot Raum für Perspektiven, aber auch für Fragestellungen aus der Praxis, die insbesondere von Freiwilligendienstorganisationen aufgeworfen wurden.

Folgende Positionen und Standpunkte konnten im Laufe der Fachdebatte herausgearbeitet werden:

Es gibt ein weiter steigendes Interesse und einen Bedarf an Angeboten im Europäischen Solidaritätskorps sowie in grenzüberschreitenden Freiwilligendiensten

Das Interesse am Europäischen Solidaritätskorps, insbesondere an Freiwilligenprojekten, ist in Deutschland wie auch europaweit weiter am Wachsen. Das Förderbudget für Freiwilligenprojekte im ESK wird voll verausgabt, es ist in den nächsten Jahren mit steigendem Bedarf zu rechnen. Das ESK und Freiwilligendienste allgemein sollten weiter ausgebaut werden. Natascha Sander von der EU-Kommission wünschte sich für die Zukunft, dass es genau so selbstverständlich sein sollte zu sagen, man habe einen ESK-Freiwilligendienst gemacht, wie es bereits für ein Erasmus+ Studium gilt.
Idealerweise sollte jeder junge Mensch das Recht, vielleicht sogar einen Rechtsanspruch darauf haben, an einem Freiwilligendienst teilzunehmen.

Weitere Anstrengungen sind notwendig, um Zugangshürden für junge Menschen mit geringeren Chancen abzubauen

Dafür müssten bestehende Zugangshürden abgebaut werden: durch Information, gesetzliche Regelungen und mehr Anerkennung von Freiwilligendiensten. Dies entspricht dem Tenor der EU-Ratsempfehlung. Das ESK ist ein Programm, das besonders inklusiv ist und viel dafür tut, jungen Menschen mit weniger Chancen einen guten Zugang zu bieten. Die unterschiedlichen Formate wie Freiwilligen-Teams und Kurzzeit-Freiwilligendienste könnten hier noch mehr genutzt werden. Die Rahmenbedingungen in Deutschland verhindern teilweise den Zugang bestimmter Zielgruppen, an verschiedenen Stellen gibt es konkreten Verbesserungsbedarf in der nationalen Gesetzgebung, z.B. in Bezug auf die Regelungen des Bürgergeldes sowie bei Hilfen zur Erziehung.

Freiwilligendienste tragen zu einer Stärkung der Gesellschaft, zu Demokratie und aktiver Bürgerschaft bei

Viele der Zielsetzungen des ESK finden sich so auch in den nationalen Freiwilligendienstformaten wieder. Eine klare Schnittmenge liegt im Bereich „Aktive Bürgerschaft und Demokratie Lernen“. Der Aspekt der politischen Bildung durch Freiwilligentätigkeiten sollte weiter gestärkt werden. Die positiven Wirkungen internationaler Freiwilligendienste auf die Gesellschaft müssen sichtbarer gemacht werden.

Es braucht eine Annäherung der verschiedenen Qualitätsmanagementsysteme unter Beibehaltung der Diversität der einzelnen Programme und Angebote

Träger, die sowohl im ESK wie auch in nationalen Freiwilligendiensten aktiv sind, wünschen sich eine Annäherung der Systeme und mehr Synergien, u.a. in Bezug auf Qualitätsanforderungen und die pädagogische Begleitung. Die Aufforderung, verstärkt nach Synergien und Komplementaritäten zwischen dem europäischen und nationalen Freiwilligendienstprogrammen zu schauen, findet sich so auch in der EU-Ratsempfehlung wieder. Hierfür wäre u.a. ein europaweites Voneinanderlernen im Freiwilligendienstbereich wünschenswert, auch unter Einbeziehung der politischen Ebene.

Die Rolle der Träger soll gestärkt werden, insbesondere mit Blick auf die Rolle der Sendeorganisationen

Die Rolle von Sendeorganisationen und ihre Aufgaben in der Vor- und Nachbereitung von Freiwilligen sind wichtig und sollten im ESK wieder sichtbarer und auch finanziell gestärkt werden. Die Mittelverteilung zwischen Sende- und Aufnahmeorganisationen sollte klarer geregelt werden. Hilfreich wäre in dem Zusammenhang auch eine weitere Vereinfachung der Antragstellung.

Die in der Ratsempfehlung zur Mobilität junger Freiwilliger in der Europäischen Union benannten Themenfelder sind wesentlich und sollten auf den unterschiedlichen Ebenen weiterverfolgt werden

Die unterschiedlichen Problemfelder und Entwicklungspotentiale werden in der Ratsempfehlung benannt und  sollen aufgegriffen werden: mehr Inklusivität, Steigerung der Qualität wie auch der Anerkennung von Freiwilligendiensten, mehr Synergien und Komplementarität zwischen den verschiedenen Angeboten sowie eine Reaktion auf neue gesellschaftliche Trends mit entsprechender Anpassung der Programme.

In der abschließenden Podiumsdiskussion brachte Sven Lehmann es auf den Punkt. Menschen wie Sie, so adressierte der Parlamentarische Staatssekretär die Anwesenden, gehen die Fragen, mit denen sich das Prinzip Demokratie weltweit konfrontiert sieht, praktisch und human an. Sie setzen in diesen Zeiten Zeichen des Engagements für Solidarität und Demokratie. Der europäische Gedanke wird gerettet durch Menschen wie Sie, so Lehmann. Er sagte zu, sich existierende Zugangshürden für junge Menschen mit geringeren Chancen in Freiwilligendiensten insbesondere in der Sozialgesetzgebung und in entsprechenden Verwaltungsverfahren genau anzuschauen und zu versuchen eine Lösung dafür zu finden. Lehmann sagte außerdem zu, dass ihm auch weitere Hindernisse gemeldet werden können und er sich damit befassen würde.

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Die Veranstaltung „Engagiert in Europa – Perspektiven für freiwilliges Engagement und Solidarität junger Menschen“ wurde von JUGEND für Europa in Kooperation mit IJAB - Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V., NEVSO - Network of European Voluntary Service Organisations und der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland organisiert.

(JUGEND für Europa)