30.10.2023
Erasmus+ Sport: Zu Gast bei Sportorganisationen in Marseille
Seit Anfang des Jahres können Organisationen und Vereine im Breitensport über Erasmus+ Sport Fördermittel für Job-Shadowings oder Coaching-Einsätze beantragen. Der Verein Roter Stern Berlin 2012 e.V. gehört zu den ersten, die ein Projekt umgesetzt haben.
Eine Gruppe von zehn Personen reiste im Sommer 2023 nach Marseille und besuchte verschiedene Vereine. Martin Hesse ist Projektkoordinator bei Roter Stern Berlin 2012 und gibt uns Einblicke in seine persönlichen Erfahrungen und die neuen Ideen, die sie aus Frankreich mit nach Berlin genommen haben.
JUGEND für Europa: Herr Hesse, Sie leiten seit zwei Jahren bei Roter Stern Berlin 2012 e.V. sportpädagogische Projekte und sind Übungsleiter für Basketball. Was macht den Verein aus Ihrer Sicht aus?
Martin Hesse: Wir sind ein Sportverein, der mehr sein möchte als ein Sportverein. Wir verstehen uns auch als Bildungs- und Kulturverein, der soziale und sportpädagogische Arbeit im Berliner Stadtteil Wedding leistet. Für unsere 830 Mitglieder haben wir Angebote in verschiedenen Sportarten, darunter u.a. Boxen, Fußball, Basketball, Radsport, Tischtennis und Breakdance. Im Boxen haben wir aktuell eine sehr starke Jugendabteilung, unsere Athlet*innen haben bereits an den Deutschen Meisterschaften teilgenommen. Insgesamt arbeiten wir aber mit allen Zielgruppen, von jung bis alt.
Welche Themen bewegen Ihren Verein aktuell besonders?
Wir wünschen uns, dass unsere Jugendarbeit im Fußball und Basketball ähnlich stark wird wie im Boxen, daher möchten wir die Abteilungen gerne ausbauen. Zusätzlich möchten wir eine neue Abteilung im Wandern aufbauen, um Bewegungsmangel vorzubeugen und um neue Zielgruppen anzusprechen. Darüber hinaus möchten wir uns zukünftig noch professioneller als Ausbilder für Trainer*innen und Übungsleiter*innen aufstellen.
Entstand dadurch die Idee, über Erasmus+ Sport Vereine im Ausland kennenzulernen und sich von der Arbeit von Kolleg*innen inspirieren zu lassen?
Ja genau, wir haben in der Vergangenheit bereits Sportvereine im Ausland besucht und damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Wir möchten unserem haupt- und ehrenamtlichen Personal zukünftig gerne regelmäßig das Angebot machen, an Lernmobilitäten teilzunehmen. Die neue Leitaktion 1 in Erasmus+ Sport kommt für uns wie gerufen.
Sie sind im Sommer 2023 mit zehn Personen aus Ihrem Verein für fast zwei Wochen nach Marseille gereist. Welchen Hintergrund hatten die Teilnehmenden?
Das war ganz unterschiedlich. Alle sind bei Roter Stern Berlin 2012 aktiv, entweder ehrenamtlich oder hauptamtlich. Es waren Übungsleiter*innen dabei und Personen aus dem Vorstand und der Verwaltung.
Was haben Sie genau vor Ort gemacht?
In den elf Tagen haben wir rund zehn französische Organisationen aus dem Sport oder der Sozialen Arbeit mit dem Schwerpunkt Sport besucht. Viele der Organisationen lagen in sozialen Brennpunkten. Wir haben den ausländischen Kolleg*innen über die Schulter geschaut, waren viel im Gespräch und haben auch an Angeboten der Vereine teilgenommen. Wir waren z.B. bei einer Wanderung oder bei Trainingseinheiten für Kinder und Jugendliche dabei.
Welche Impulse konnten Sie dadurch für Ihren Verein gewinnen?
Wir haben wahnsinnig viel gelernt und mitgenommen. Wir haben einen Eindruck darüber gewonnen, wie der Alltag im Verein gestemmt wird, also darüber, wie die Verwaltung funktioniert, wie die Organisationen an die Sportstätten kommen oder wie sie digitale Tools einsetzen, auch beim Training vor Ort. Wir haben auch Anregungen dafür bekommen, wie wir neue Abteilungen aufbauen und gestalten können.
Ganz konkret hat es uns gefallen, dass ein französischer Verein Maßnahmen für ausgewählte Zielgruppen anbietet. Ihr Angebot „Wandern mit Menschen in psycho-sozialen Krisen“ möchten wir auch gerne in unserer neuen Wanderabteilung ausprobieren. Darüber hinaus war es spannend zu sehen, dass viele Vereine in sozialen Brennpunkten mit Übungsleiter*innen arbeiten, die selbst aus dem Viertel stammen und einst als Sportler*innen in den Verein gefunden haben.
Da wir uns auch als Ausbilder professionalisieren möchten, war das eine gute Anregung, noch stärker in den eigenen Reihen auszubilden. Und zuletzt haben wir selbst angefangen zu träumen, als wir den Einsatz von Urban Sports Trucks kennengelernt haben, ein mobiles Angebot auf Sportplätzen in Brennpunkten. So einen Truck in unserem Verein zu haben, wäre ein Traum!
Das klingt nach sehr viel Inspiration für Ihren Verein. Inwiefern haben die Teilnehmenden denn auch auf persönlicher Ebene von den Job-Shadowings profitiert?
Wir haben viele fachliche Inspirationen für unsere individuellen Rollen und Funktionen im Verein mitgenommen. Zudem hat jede und jeder von uns ganz persönliche Highlight gehabt. Ich konnte z.B. einem kleinen Mädchen zu einem Erfolgserlebnis im Basketball verhelfen. Sie hatte schon oft vergeblich versucht, den Korb zu treffen. Ich setzte schließlich einen Stuhl als Hilfsmittel ein, um es der Kleinen etwas leichter zu machen. Und siehe da: sie traf und war überglücklich. „J’ai marqué“ rief sie (deutsch: ich habe getroffen) und rannte dabei euphorisch durch die Sporthalle.
Wir alle machten solche Erfahrungen der Selbstwirksamkeit und haben verstanden, was wir durch unser Engagement im Sport bewirken und auf den Weg bringen können. Durch das kleine Training habe ich auch meine französischen Sprachkompetenzen stark erweitert. Gerade durch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen lernt man die Sprache schnell.
Merken Sie bereits, dass sich nach der Rückkehr etwas im Verein verändert hat?
Oh ja, das ist noch immer spürbar. Die Erfahrungen in Marseille waren wochenlang nach der Rückkehr das Gesprächsthema Nr. 1. Und wir konnten feststellen, dass die Berichte von den intensiven Erfahrungen in Frankreich Eindruck auf andere Vereinsmitglieder machten. Für sportlich Aktive könnte das ein Anreiz sein, sich bei uns zu engagieren, um selbst irgendwann mit dem Verein ins Ausland zu fahren. Wir gehen auch davon aus, dass uns regelmäßige Angebote dieser Art dabei helfen werden, neues Personal zu gewinnen.
Welche Tipps für die unterschiedlichen Phasen des Projektes können Sie anderen mit auf den Weg geben?
Für die Antragstellung sollte man sich einige Tage ausreichend Zeit nehmen. Ich habe mich bei Fragen immer an JUGEND für Europa gewandt und mir wurde schnell und auf den Punkt geholfen. Ich hatte immer das Gefühl, mit Ermöglichern zu sprechen. Bei der Umsetzung würden wir in Zukunft darauf achten, das Programm nicht zu überladen. Gerade bei verschiedenen Job-Shadowings vor Ort bekommt man viele unterschiedliche Eindrücke und es fallen Reisewege an.
Gibt es schon Pläne für die Zukunft?
Ja, wir möchten nächsten Sommer gerne erneut nach Marseille fahren. Neben neuen Teilnehmer*innen möchten auch vier aus diesem Jahr wieder dabei sein. Die vier möchten diesmal länger bleiben und sich im Rahmen eines Coaching-Einsatzes aktiv in Trainings einbringen und mitarbeiten. Das Job-Shadowing in diesem Jahr hat sie dazu ermutigt, länger zu bleiben und noch tiefer in die Arbeit unserer ausländischen Partner einzusteigen. Auch in zukünftigen Projekten wird uns die Verzahnung von Sport und sozialer Arbeit ein großes Anliegen sein.
Lieber Herr Hesse, vielen Dank für die Eindrücke aus Ihrem ersten Projekt in Erasmus+ Sport. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und Freude dabei, die neuen Ideen in Ihrem Verein umzusetzen und die Zusammenarbeit mit Ihren französischen Partnern auszubauen.
Weiterführende Informationen
Alle Informationen zu Erasmus+ Sport finden Sie auf unserer Programmseite.
Mehr über die Arbeit des Vereins Roter Stern Berlin 2012 e.V. erhalten Sie unter: https://roter-stern.berlin/
(JUGEND für Europa)