29.02.2024

Engage in Inclusion!: Ein Wegweiser und ein Weiterbildungsangebot für inklusive Projektgestaltung in der europäischen Jugendarbeit

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Was gibt es bei inklusiven Projekten mit jungen Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen zu beachten? Wo lauern Barrieren und wie kann ich sie abbauen? Der Wegweiser für inklusive europäische Jugendprojekte "Engage in Inclusion!" – jetzt auch in deutscher Übersetzung – gibt viele praktische Hinweise dazu. In der gleichnamigen Weiterbildung wird praktisches Know-how vermittelt, und es gibt Gelegenheit, neue Methoden kennenzulernen und auszuprobieren.

Der Wegweiser

Der Wegweiser richtet sich an Projektverantwortliche, Mitarbeitende und Teamende in der europäischen Jugendarbeit, die Erfahrung mit europäischen Projekten haben, jedoch nicht in der Einbeziehung von Menschen mit Behinderung.

Mit vielen praktischen Tipps und Einblicken soll er ermutigen, Projekte mit Blick auf junge Menschen mit Behinderungen und gesundheitlichen Einschränkungen inklusiv zu öffnen und zu gestalten. Dabei werden in erster Linie Gruppenaktivitäten im Rahmen der EU-Programme Erasmus+ Jugend und Europäisches Solidaritätskorps in den Blick genommen – inklusive praktischer Tipps zur Nutzung und Beantragung der finanziellen Förderung für Inklusion & Vielfalt.

Die Publikation ist im Rahmen der Arbeitsgruppe "Health and Disabilities" der Strategic Partnership for Inclusion (SPI) enstanden, eines langfristigen Kooperationsprojekts zwischen Nationalen Agenturen für die EU-Jugendprogramme und dem SALTO Inclusion & Diversity Resource Centre. Inzwischen wurde sie in sechs Sprachen übersetzt. Die deutsche Übersetzung wird von JUGEND für Europa herausgegeben.

Hier geht’s zur barrierearmen deutschen Übersetzung: Engage in Inclusion! Wegweiser für inklusive Projekte der europäischen Jugendarbeit mit jungen Menschen mit Behinderungen

Hier geht’s zu den übrigen Sprachversionen: SALTO Inclusion & Diversity

Das Weiterbildungsangebot

Projektverantwortliche und -mitarbeitende, die sich auf den Weg in die inklusive europäische Jugendarbeit machen möchten, können zudem einmal im Jahr an der gleichnamigen Weiterbildung teilnehmen. Der europäische Trainingskurs nimmt bestimmte Aspekte der inklusiven Projektgestaltung nochmal stärker in den Fokus und gibt den Teilnehmenden Gelegenheit, Methoden auszuprobieren und von erfahrenen Trainer*innen zu lernen.  Die nächste Weiterbildung findet vom 13. bis zum 17. Mai 2024 in Lettland statt.

Hier geht’s zur Bewerbung für die Weiterbildung: European Training Calendar

Interview: Inklusive europäische Jugendarbeit ist wichtig

Elżbieta Kosek, die Autorin des Wegweisers und eine der Trainerinnen der Weiterbildung verrät in einem Interview mit JUGEND für Europa, was erste Schritte in eine inklusive europäische Jugendarbeit sein können und warum inklusive Jugendarbeit so wichtig ist.

Im Mai findet das Training Engage in Inclusion! zum dritten Mal statt, dass Inhalte des Wegweisers aufgreift. Was erwartet die Teilnehmenden in dem Training?

Elżbieta Kosek: Zunächst einmal: Ein engagiertes und erfahrenes Trainerinnenteam, das mit Begeisterung dabei ist! Unser Ziel im Training ist es, die Inhalte des Wegweisers nicht nur theoretisch, sondern vor allem praktisch erlebbar zu machen. Wir möchten Fachkräften, die an inklusiver und diversitätsbewusster Jugendarbeit interessiert sind, konkrete Methoden und Werkzeuge anbieten. Diese Tools sollen sie unterstützen, ihre Projekte offener und inklusiver zu gestalten.

Ein wesentlicher Aspekt des Trainings ist der Aufbau von Kapazitäten und die Vernetzung zwischen Fachkräften aus ganz Europa. Als Trainerinnen legen wir großen Wert darauf, die individuellen Bedürfnisse und Fragen der Teilnehmenden zu erkennen und in unsere Planung miteinzubeziehen, um ein zielgerichtetes und bedürfnisorientiertes Trainingserlebnis zu schaffen. Dabei ist es uns ein besonderes Anliegen, mehr Menschen für die Bedeutung von Inklusion zu sensibilisieren und zu gewinnen.

Du bist eine Pionierin der inklusiven europäischen Jugendarbeit und hast langjährige Erfahrung in der Umsetzung inklusiver Projekte. Was würdest du Organisationen und Teams raten, die Projekterfahrungen haben, aber noch keine inklusiven Projekte umgesetzt haben. Was sind die ersten Schritte?

Aus meiner Sicht geht es zuallererst um Haltung. Das Fundament jeder inklusiven Initiative in Organisationen und Teams ist ein verankertes Bewusstsein für die Bedeutung von Inklusion sowie die Bereitschaft, eine inklusive Haltung aktiv zu leben. Dies schafft die Basis für eine Kultur, die Offenheit und Respekt hochhält, Vielfalt als Bereicherung sieht und jede*n Einzelne*n wertschätzt. Das wiederrum kann dann in die methodische und inhaltliche Umsetzung von inklusiven Projekten umgelegt werden.

Die Umsetzung inklusiver und diversitätssensibler Projekte erscheint als große Aufgabe. Aber es hilft, sich klarzumachen, dass es nicht darum geht, alles sofort und perfekt umzusetzen. Inklusion ist vielmehr ein fortlaufender Prozess, der Engagement, die Bereitschaft zu kontinuierlicher Reflexion und die Offenheit für stetige Verbesserung braucht. Erste Schritte können zum Beispiel die Fortbildung und Sensibilisierung der Teammitglieder umfassen ebenso wie eine gemeinsame Auseinandersetzung mit Themen wie Gleichberechtigung, Diversität und Barrierefreiheit und in diesem Zusammenhang den proaktiven Abbau von Barrieren, sei es auf physischer, kommunikativer oder struktureller Ebene.

Viele Organisationen berichten, dass sich gar keine Menschen mit Behinderungen bei ihnen melden, um an einem Projekt teilzunehmen. Wie können sie zeigen, dass diese jungen Menschen in ihren Projekten willkommen sind (und wie können neue Teilnehmende gewonnen werden)?

Wir setzen in unserer Arbeit auf starke Partnerschaften mit Organisationen, die mit und für junge Menschen mit Behinderungen arbeiten. So erreichen unsere Angebote Menschen, die sich sonst wahrscheinlich eher nicht als Zielgruppen non-formaler Bildungsangebote verstehen würden. Der Aufbau von Partnernetzwerken ist eine Zeitinvestition, die sich lohnt. Vertrauen und das Teilen gemeinsamer Werte sind dabei entscheidend. Eine solche Zusammenarbeit ermöglicht es, direkt und authentisch zu kommunizieren und Brücken zu bauen, die Vertrauen schaffen und junge Menschen mit Behinderungen dazu ermutigen können, sich zu beteiligen.

Auch die Kommunikation ist wichtig. Die Kommunikationsmaterialien müssen deutlich machen, dass Menschen mit Behinderungen ausdrücklich willkommen sind. Die Einrichtung von Beauftragten für Inklusion kann ein wichtiges Signal sein, dass ebenfalls dazu beiträgt, Zugangsbarrieren zu senken und zur Teilnahme zu motivieren.

Sehr wertvoll sind die Geschichten von Teilnehmenden mit Behinderungen, die bereit positive Erfahrungen in Projekten gesammelt haben und als Inspiration, Repräsentation und Ansprechpartner*innen dienen können.

Was sind für dich die wichtigsten Aspekte, die man bei der inklusiven Projektgestaltung immer bedenken sollte?

Natürlich gibt es, wie man dem Wegweiser entnehmen kann, sehr unterschiedliche wichtige Aspekte, die bedacht werden können oder sollten. Dazu gehören z. B. die Barrierefreiheit des Projektorts, das Vorhandensein notwendiger Ressourcen und ein gutes Team, dass offen und diversitätssensibel arbeitet.

Aber wenn ich auf unsere inklusive Bildungsarbeit schaue, dann würde ich tatsächlich Flexibilität und Anpassungsfähigkeit als Kernkompetenzen hervorheben. Jede Gruppe und jedes Projekt haben ihre eigenen, einzigartigen Bedürfnisse. Deshalb ist es für mich wichtig, unsere Ansätze flexibel zu gestalten und immer bereit zu sein, sie anzupassen. Das bedeutet auch, ständig Feedback einzuholen und unsere Projekte regelmäßig zu evaluieren – insbesondere auch im Austausch mit den Teilnehmenden, um sicherzustellen, dass sie genau das sind, was die jungen Menschen für ihre Entwicklungs- und Lernprozesse brauchen.

Teilhabe ist ein Menschenrecht und sollte für alle Menschen selbstverständlich sein. In unserer Gesellschaft mangelt es aber leider noch sehr an inklusiven Strukturen und für Organisationen, die sich auf den Weg machen, ist eine Inklusive Projektumsetzung mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Warum sollte man sich auf den Weg machen?

Genau, Teilhabe ist ein Menschenrecht und sollte für alle selbstverständlich sein. Im Kern geht es darum, einen Beitrag zu einer gerechteren und demokratischeren Gesellschaft zu leisten, in der jede Person wertgeschätzt und einbezogen wird. Demokratie lebt von Inklusion, von der Vielfalt menschlicher Stimmen, Perspektiven und Erfahrungen, die unser soziales Gefüge bereichern. Inklusion sollte kein Zusatz sein, sondern eine Grundvoraussetzung für eine lebendige Demokratie, die auf Aushandlung und aktiver Teilhabe basiert und nicht immer nur einfach ist.

Es geht weniger um eine Option als vielmehr um eine grundlegende Verpflichtung, eine inklusive Gesellschaft anzustreben. Es sollte uns vielmehr überraschen und zum Nachdenken anregen, wie weit wir von dieser noch entfernt sind. Daher würde ich eher sagen, dass jeder Beitrag zählt. Von meiner Arbeit kann ich sagen, dass sie durch die Vielfalt der Menschen und ihrer Perspektiven ungemein bereichert wird.

Herzlichen Dank, Elżbieta, für das Gespräch.

(JUGEND für Europa)