27.11.2024
"Die europäische Dimension der Jugendarbeit als Mehrwert für nationale Programme begreifen"
Wie können Kommunen und lokale Einrichtungen die Chancen der europäischen Jugendarbeit besser nutzen? Darko Mitevski, Leiter der Nationalen Kontaktstelle zur European Youth Work Agenda, erläutert im Interview den Mehrwert, den europäische Kooperationen für die lokale Jugendarbeit haben. Und erklärt, wie die neu eingerichtete Nationale Kontaktstelle hier unterstützen kann.
JfE: Lieber Herr Mitevski, Sie leiten seit September die "Nationale Kontaktstelle zur Umsetzung der European Youth Work Agenda". Was genau ist der Auftrag der Kontaktstelle?
Darko Mitevski: Die European Youth Work Agenda entstand unter der deutschen Ratspräsidentschaft im Jahr 2020. Sie bot eine positive politische Unterstützung für die Mitgliedstaaten, um bei der Entwicklung der Jugendarbeit auf nationaler und lokaler Ebene in die gleiche Richtung arbeiten zu können. In Deutschland haben die einzelnen Bundesländer und Kommunen ihre eigenen Pläne und Ziele, die durch verschiedene Institutionen umgesetzt werden.
Der Auftrag der Nationalen Kontaktstelle (NKS) besteht darin, die Kommunen zu ermutigen und zu unterstützen, einen konkreten Aktionsplan zur lokalen Umsetzung zu entwickeln, um Synergien zwischen den verschiedenen Ziel- und Systemansätzen zu schaffen, verschiedene Instrumente miteinander zu verknüpfen und unterschiedliche Fördermittel (europäisch, national, lokal) zu kombinieren.
Auf diese Weise können wir die europäischen Fördermöglichkeiten nutzen, um mehr Chancen für junge Menschen in Deutschland zu schaffen, die lokalen Institutionen zu unterstützen und die Qualität der Arbeit zu verbessern.
Derzeit suchen Sie Träger der Jugendarbeit, die Lust und Interesse haben, Teil der Umsetzung der European Youth Work Agenda in Deutschland zu werden. Warum ist die European Youth Work Agenda relevant für einen lokalen Träger?
Viele Institutionen, die mit Jugendlichen arbeiten, sind sich der Möglichkeiten, die durch die verschiedenen europäischen Programme geboten werden, nicht bewusst. Diese Programme richten sich in erster Linie an junge Menschen und bieten unterschiedliche Lernformate wie Jugendbegegnungen, Freiwilligenprojekte, lokale Aktivitäten und vieles mehr. Viele junge Menschen in Deutschland wissen nicht, dass es diese Angebote gibt.
Unser Ziel ist es, Institutionen dabei zu helfen, diese Programme kennenzulernen und die Kapazitäten aufzubauen, um sie für die lokale Jugend zugänglich zu machen.
Gleichzeitig gibt es auf europäischer Ebene verschiedene Instrumente für Fachkräfte, wie z. B. die Schaffung von Netzwerken, den Austausch von Know-how und die Weiterentwicklung von Kompetenzen. Diese werden ebenfalls zu wenig genutzt. Institutionen wie Schulen, Jugendzentren und andere Einrichtungen könnten von diesen Angeboten profitieren, um ihren Jugendlichen mehr Möglichkeiten zu bieten und gleichzeitig zu lernen, wie sie eigene Programme entwerfen und umsetzen können.
Unser Ziel ist es, unterschiedliche Akteure zusammenzubringen, um Aktionspläne zu entwickeln, wie diese Programme in ihre Gemeinden gebracht werden können. Dabei sollen die verschiedenen Institutionen miteinander verknüpft werden, sodass junge Menschen am Ende mehr und vor allem sinnvolle Erfahrungen machen können.
Was ist der besondere Mehrwert der "europäischen Dimension"?
Es ist ein vielschichtiges und multidimensionales Thema. Die Jugendarbeit in Deutschland hat eine lange Tradition, verfügt über eine ausgezeichnete Infrastruktur, umfangreiches Wissen und Ressourcen und nimmt in vielen Bereichen eine führende Rolle in Europa ein.
In den letzten 20 bis 30 Jahren hat die Jugendarbeit jedoch in verschiedenen europäischen Ländern viele neue Formen und Ansätze entwickelt. Gleichzeitig sind innovative Programme, Methoden und Know-how entstanden. In den kommenden Jahren sehe ich die europäische Dimension der Jugendarbeit als einen Mehrwert für nationale Programme – nicht als Ersatz, sondern als gut integrierten, ergänzenden Bestandteil.
Jugendzentren in Deutschland können Netzwerke mit Partnern aufbauen, in denen sie Jugendbegegnungen und Freiwilligenprogramme organisieren, Fachkräfte der Jugendarbeit austauschen oder voneinander lernen. Ihre Einrichtungen könnten langfristige Forschungsprojekte oder Kooperationen durchführen, neue Methoden und Tools für die Arbeit mit jungen Menschen entwickeln und gemeinsam Innovationen schaffen.
Ein Beispiel: Straßensozialarbeitende aus Deutschland, Frankreich und Spanien tauschen sich darüber aus, wie sie die Herausforderungen mit Jugendlichen, die auf der Straße leben, angehen können. Oder Jugendzentren, die Freiwillige zwischen Partnerstädten entsenden und aufnehmen, sowie Schulen, die jährlich Austauschprogramme mit ihren Schüler*innen aus anderen Ländern organisieren.
Viele dieser Ansätze funktionieren bereits, und viele weitere werden im Rahmen unserer Arbeit als Kontaktstelle aufgebaut.
Und wir kratzen hier nur an der Oberfläche.
Was haben Sie an weiteren Maßnahmen geplant?
Im Januar werden wir eine Kick-Off Veranstaltung durchführen, um lokale Partnerschaften zwischen den Akteuren der jeweiligen Kommune und einen Aktionsplan zu entwickeln. Wir werden im Juni eine Online-Veranstaltung und im November 2024 eine Abschlussveranstaltung durchführen. Darüber hinaus bereiten wir einen Mapping-Prozess, eine Bedarfsanalyse sowie politische Handlungsempfehlungen vor, die bis Ende 2025 abgeschlossen sein sollen.
Unsere Strategie ist langfristig und vielschichtig. Wir gehen davon aus, dass im kommenden Jahr weitere Kommunen Interesse bekunden werden, wodurch wir eine Pipeline von Kommunen aufbauen können. Diese Kommunen würden nicht nur an den kommenden Jahren des Programms teilnehmen, sondern sich auch weiterhin gegenseitig unterstützen, ihre Kapazitäten erweitern und die Zusammenarbeit auf nationaler sowie europäischer Ebene fördern.
Letztendlich sollte dies zu mehr und qualitativ hochwertigeren Möglichkeiten für junge Menschen führen – insbesondere für jene, die weniger Chancen haben oder schwieriger zu erreichen sind.
Im Mai nächsten Jahres werden Sie Teil einer deutschen Delegation für die European Youth Work Convention sein. In Malta werden rund 300 Akteur*innen aus dem Arbeitsfeld zusammenkommen, um europäische Jugendarbeit weiterzuentwickeln. Welche Impulse erhoffen Sie ihr sich von diesem Ereignis?
Für mich ist es essenziell, die gewonnenen Erkenntnisse zu reflektieren – was gut funktioniert hat und was nicht – um den Implementierungsprozess der EYWA zu optimieren.
In Deutschland sind wir einen ähnlichen Weg gegangen: Wir haben erfolgreiche Ansätze identifiziert, Herausforderungen analysiert und darauf aufbauend das aktuelle Rahmenwerk entwickelt. Jetzt liegt der Fokus auf praktischen und greifbaren Maßnahmen.
Erweiterte Synergien auf europäischer Ebene würden nicht nur zusätzliche Ressourcen bringen, sondern auch deren effizientere Nutzung ermöglichen, was letztlich den jungen Menschen zugutekommen würde – dessen bin ich mir sicher. Auch wenn die Koordination mit zahlreichen Akteuren Zeit in Anspruch nimmt, bin ich überzeugt, dass klar definierte Wege und Ziele zu Zufriedenheit auf vielen Ebenen führen werden.
Schließlich werden wir die konkreten Ergebnisse unserer gemeinsamen Anstrengungen sehen können.
Was denken Sie, wann endlich muss Jugendarbeit nicht mehr um ihre Anerkennung kämpfen?
Angesichts der zahlreichen Herausforderungen, mit denen unsere Gesellschaft heute konfrontiert ist – vom rasanten Fortschritt der KI-Technologie bis hin zu geopolitischen Umbrüchen – ist es schwierig, dass ein friedliches und entwicklungsorientiertes Thema wie die Jugendarbeit die Aufmerksamkeit und Anerkennung erhält, die es verdient.
Zum Beispiel gerät ein Erasmus+-Projekt wie "Make Music. Not War.", das junge Musiker aus Konfliktgebieten zusammenbringt, um Friedensmusik zu schaffen und sich gegenseitig kennenzulernen, völlig in den Hintergrund – trotz seiner wirklich inspirierenden Geschichte. Stattdessen liegt der Fokus häufig auf Grausamkeiten, Konflikten und Zerstörung, die die vielen andauernden Kriege begleiten.
Die Jugendarbeit ist als relativ junges Feld noch immer auf dem Weg der Weiterentwicklung. Dennoch müssen wir die Medien, politische Entscheidungsträger und Führungspersönlichkeiten dazu auffordern, bewusst ihren Fokus auf diese Themen zu lenken und junge Menschen ins Zentrum zu stellen.
Denn genau darum geht es bei nachhaltigem Regieren – nicht nur die Bedürfnisse von heute zu adressieren, sondern auch eine Grundlage für morgen zu schaffen.
Lieber Herr Mitevski, wir bedanken uns für das Gespräch!
(JUGEND für Europa)
Zur Person
Darko Mitevski ist seit 2012 Vorsitzender von NaturKultur e.V. und leitet seit Juli 2024 die Nationale Kontaktstelle. Als Leiter ist er verantwortlich für die Entwicklung der Gesamtstrategie und die Koordination der verschiedenen Aktivitäten. Seine Tätigkeit in der Jugendarbeit begann im Alter von 16 Jahren. Seither hat er Führungspositionen in verschiedenen NGOs in Europa übernommen. In den letzten 20 Jahren hat er viele erfolgreiche Projekte als Trainer und Projektmanager umgesetzt. Er ist Buchrezensent seit 2019 bei der European Journal of Social Work.
Mehr Informationen zur "Nationale Kontaktstelle zur Umsetzung der European Youth Work Agenda" finden Sie unter: https://eywakontaktstelle.de/.