17.12.2024
Erasmus+ Sport: "Einen anderen Verein zu hosten und von ihm zu lernen, das ist wirklich spannend!"
Dieses Training ist anders als andere anderen zuvor: Denn beim Volleyball in Mühlacker ist Jürgen Schmidt heute – anders als sonst – nicht der einzige Trainer in der Halle. Und er ist ziemlich aufgeregt deswegen!
Der Grund: Er hat Besuch aus Finnland. Sieben Trainer*innen des Volleyballvereins Jankko Lentopallo kommen für drei Tage nach Deutschland. Sie besuchen den TV Mühlacker und übernehmen das Training. Ermöglicht wird das sogenannte Job-Shadowing durch das EU-Förderformat Erasmus+ Sport.
Als Host, also als Empfänger-Organisation, ist Jürgen für die Planung des Austauschs und das Programm vor Ort zuständig. Die Finnen hingegen, als Entsende-Organisation, haben den Antrag für den Austausch gestellt. Bewilligt wurde das Projekt daher über die finnische Nationale Agentur für Erasmus+ Sport.
Integration steht im Mittelpunkt
Im Mittelpunkt dieses Austauschs steht das Thema Integration. Die finnischen Trainer*innen möchten lernen, wie in Mühlacker Integration durch Sport gelebt wird, um das später in ihren eigenen Trainingseinheiten umzusetzen.
Mit Integration kennt sich der deutsche Verein aus. Mühlacker, das ist eine kleine, hügelige Stadt im Einzugsgebiet von Stuttgart mit rund 26.000 Einwohner*innen. Der hohe Anteil an Bevölkerung mit Migrationsgeschichte ist nicht das Besondere an der Stadt – er liegt bei 23 Prozent –, sondern dass die meisten Menschen mit Migrationsgeschichte hier besonders jung sind.
Während in der Schule die Sprachbarriere anfangs sehr hoch ist, bieten sich beim Sport ganz andere Integrationsmöglichkeiten an, hat Jürgen gelernt: „Sport kennt keine Sprache. Wir verständigen uns mit Händen und Füßen“.
Sport kennt keine Sprache
Kinder mit Migrationshintergrund aus über 50 Ländern trainieren allein beim Volleyball des TV Mühlacker, viele davon Volleyball. Alle möglichen Sprachen sind in der Turnhalle zu hören. Viele Kinder lernen hier Deutsch beim Spiel. Einige von ihnen besitzen keine Sportkleidung, wenn sie zum ersten Mal zum Training kommen. Spenden und Aktionen des Vereins machen es möglich, den Kindern Trikots zu geben. Und noch viel wichtiger: Freundschaften und das Gefühl, dazuzugehören.
Jürgen spielt seit 45 Jahren Volleyball und ist der einzige ehrenamtliche Volleyballtrainer im Verein – und außerdem dessen Seele. Seit zehn Jahren trainiert er die Kinder. An jedem Wochentag hat er Trainings. Ein paar der älteren Kids hat er mit einer Trainingshelfer-Schein gefördert. Seitdem dürfen sie Übungen selbstständig anbieten.
Sie entlasten Jürgen damit nicht nur, sondern gewinnen ein Vertrauen in sich selbst, dass sie in der Schule so nicht immer erfahren. Fast alle von ihnen haben selbst Migrationsgeschichte erlebt und sind eine Stütze für die, die neu in den Verein kommen.
Alle helfen sich gegenseitig. Im Training ist leicht zu erkennen, dass Jürgen eine Bezugsperson für viele Kinder geworden ist. Er kennt sie alle, fragt, wie es in der Schule läuft. Wer Probleme hat, fragt Jürgen um Rat. Selbst als die Finnen mit dem Training im Job-Shadowing beginnen, laufen alle Spieler*innen einmal zu Jürgen rüber, um ihn zu begrüßen.
Deutsch-finnischer Erfahrungsaustausch
Wie der Verein Integration lebt, das wollen die Finnen aus Loimaa mit ihrem Erasmus+ Sport-Austausch lernen. Als sie selbst das Training anleiten, erfahren sie schnell, wie es ist, Andere nicht verstehen zu können; einige Kinder aus der Trainingsgruppe sind gerade erst in der Grundschule. Englisch ist da schwierig, Finnisch erst recht.
Doch merken die Kinder genauso wie die finnischen Trainer*innen: Vor- und Nachmachen geht auch ohne Sprache. Korrekturen kann man zeigen. Die Kinder haben Spaß und von den Finnen fällt der Druck ab. Sie machen einige Aufwärmübungen, dann üben sie Wurf- und Schlagtechniken. Manchmal hilft der Google Übersetzer.
Am Ende des Abends wird Katharina, eine Trainerin aus Finnland, sagen: „What I liked most today was the kids. They were nice and happy. There was one kid who came to me to say thank you for the training. That was the best moment of all.“
Um das Thema Integration zu vertiefen, findet nach dem Training ein Workshop statt. Jürgen, einige seiner ehrenamtlichen Übungshelfer*innen und die finnische Delegation treffen sich mit Vertreter*innen der Stadt, aus der Jugendarbeit und des Volleyball-Landesverband Württemberg e.V.
Sie tauschen Erfahrungen aus und stellen fest, dass sich die Probleme in Loimaa und Mühlacker ähneln, sie aber verschiedene Herangehensweisen haben. Einige Teilnehmende stellen Projekte und Best Practise Beispiele vor, die den anderen als Inspiration dienen sollen.
Tagesabschluss in den Weinbergen
Nach dem Workshop neigt sich der Tag dem Ende zu. Als letzten Programmpunkt bietet Jürgen eine kleine Wanderung durch die Weinberge bei Mühlhausen an der Enz an. Natürlich möchte er seinen Kolleg*innen aus Finnland seine Heimat zeigen. Der Ort ist klein, aber sehr heimelig und schön. Auf der Wanderung erzählt er, wie Wein angebaut wird und welche Tiere in der Natur zu finden sind. Es werden viele Fotos gemacht und den Finnen gefällt es, wie es scheint.
Doch ganz in den Feierabend starten kann Jürgen noch nicht. Denn auch der Host hat Fragen an seine Gäste, die er auf der Wanderung bespricht: „Das Ziel ist, von den finnischen Kollegen, die schon seit Jahrzehnten mit jungen Kindern arbeiten, zu lernen. Wir wollen jetzt mit der dritten, vierten Klasse einsteigen, und die Finnen trainieren schon ab einem Alter von fünf Jahren. Die haben ganz andere Ansätze, ganz andere Vorgehensweisen im Training.“
Der finnische Verein Jankko Lentopallo existiert seit fast 60 Jahren und hat in dieser Zeit insbesondere eine große Expertise im Training mit ganz jungen Spieler*innen aufgebaut. Für den TV Mühlacker ist das interessant, denn er plant, sein Trainingsangebot auch für die Jüngeren auszuweiten. Welche spielerischen Aufwärmübungen gibt es? Welche Techniken erlernen die Kinder in welchem Alter im finnischen Verein? Juuso und Katharina aus Finnland haben ganz viele Tipps, die sie weitergeben.
Die Führung durch die Weinberge und die Ortschaft endet beim Historischen Backhaus im Ortskern. In dem Holzofen wird immer noch auf traditionelle Art gebacken: Brot, Flammkuchen, Kuchen. Das Abendessen steht also und die Finnen müssen alles probieren!
Nach einem ganzen Tag voller Austausch finden erste private Gespräche statt. Die Jüngeren vernetzen sich auf Instagram und Snapchat. Man verspricht sich gegenseitig, auch abseits des Sports mal zu Besuch zu kommen.
Kein Abschied für immer
Der nächste Tag ist bereits der letzte gemeinsame Tag des Job-Shadowing. Nach einem weiteren Training fahren Jürgen, einige der Sporthelfer*innen und die finnischen Kolleg*innen nach Heidelberg weiter. Sie besuchen das Schloss, das Apothekenmuseum und die Altstadt und dann heißt es bereits, Abschied zu nehmen.
Es ist nicht unbedingt ein Abschied für immer: Denn nach dieser Erfahrung möchte Jürgen selbst einen Antrag für Erasmus+ Sport-Gelder beantragen, um mit den Sporthelfer*innen seines Vereins gemeinsam nach Finnland mit Bahn und Fähre zu fahren und dort das Training des Volleyballvereins Jankko Lentopallo ein paar Tage zu leiten.
(JUGEND für Europa)
Weiterführende Hinweise
Viele Vereine möchten mit Erasmus+ Sport ins Ausland, finden aber keine Partnerorganisation. Das Online Contact Making Seminar am 15. und 16. Januar bietet die Möglichkeit, andere internationale und europäische Vereine und Organisationen kennenzulernen, die ebenfalls auf der Suche nach Austauschpartnerschaften sind. Zur Anmeldung...
Alle Informationen, wie Sie Anträge im EU-Programm Erasmus+ Sport stellen können, erhalten Sie auf unserer Programmseite.
Mehr über die Arbeit des TV Mühlacker erfahren Sie unter turnverein-muehlacker.de