03.07.2007
„Here is the answer“
Christian Daniel, Hauptschüler a.D., schafft spektakulären Bühnenauftritt bei der Europäischen Jugendwoche.
„Ich kann jetzt nicht ans Abendessen denken, verstehen Sie? Es geht nicht.“ Christian Daniel wischt sich noch einmal den Schweiß von der Stirn, im Nachbarsaal stimmen bereits rhythmische Beats auf den Abend ein. In wenigen Minuten soll der 20-jährige Frankfurter im Brüsseler „Residence Palace“ das tun, was er noch nie getan hat: vor rund 200 begeisterten Jung-Europäern eine Rede auf Englisch zum Besten geben, für den ehemaligen Hauptschüler die erste in seinem Leben überhaupt. Grund zur Beunruhigung gibt es dennoch nicht. Immerhin hat ihn die deutsche Nationalagentur als einzigen männlichen Vertreter einer besonders gewürdigten Initiative in Europas politische Schaltzentrale entsandt. Gemeinsam mit seiner Projektpartnerin Kumru Odabas (21), einer Ex-Realschülerin und angehenden Kauffrau für Bürokommunikation, soll er den anwesenden Gästen noch einmal von der Idee ihres Gender-Mainstreaming-Vorhabens erzählen, jenem Jugendaustausch, der Deutsche, Österreicher, Irländer und Malteser in einen verschworenen Haufen verwandelt hat, damals sieben Tage lang in Bonn. Christian macht sich letzte Notizen. Auf der Bühne zückt er schließlich den Spickzettel. „Here is the answer“, ruft er dem Publikum schnurstracks entgegen. Der Moderator hatte zwar noch gar keine Frage gestellt. Doch das zählt jetzt nicht mehr. Das Publikum johlt, und Christian weiß: Spätestens jetzt ist er einer von ihnen - den angehenden und ehemaligen Abiturienten, den studiosis an Europas Universitäten. Die Europäische Jugendwoche hat ihr Versprechen eingelöst, wenn auch erstmal nur im kleinen Rahmen. Doch immerhin: Die soziale Integration so genannter benachteiligter Jugendlicher hat ihren Platz auf der Bühne gefunden.
Und nicht nur sie. Auch die Vielfalt und Ausgewogenheit der von den Teilnehmern erarbeiteten Vorschläge für eine jugendfreundlichere Zukunft Europas fanden – nicht zuletzt dank der von den jungen Berichterstattern zur Schau getragenen Bereitschaft zum hemmungslosen Schlafdefizit – ihren Niederschlag in einem durchaus lesbaren Papier. Acht Seiten füllt der Aktionsplan. Und er mutiert dankenswerterweise nicht zu einem Rundumschlag erdumspannender Genesungswünsche. „Wir haben bis 5.30 Uhr in der Früh an unseren Formulierungen gefeilt“, verkündet die 23-jährige Slowakin Zuzana Svetlosakova, übermüdet, aber stolz, den Politikern einen veritablen Forderungskatalog überreichen zu können. „Wir haben uns mit den Aktionsplänen von Rom und Köln auseinandergesetzt. Wir haben versucht, keine Dubletten zu fabrizieren, sondern die gemeinsamen Ziele und Vorstellungen fortzuschreiben“, sagt Marc Ludwig (22), Berichterstatter der Arbeitsgruppe „Aktive Europäische Bürgerschaft“. Herausgekommen sind konkrete Vorschläge, die die Teilnehmer der Brüsseler Jugendwoche zu recht auf eine Antwort der zuständigen Politiker hoffen lassen. Ob Beschäftigung, Maßnahmen gegen Diskriminierung, die Anerkennung nicht-formalen Lernens oder die Zukunft des Ehrenamts – alle Themenfelder wurden – so gut es in der Kürze der Zeit möglich war – auf ihre Gestaltungsräume hin überprüft. Konkrete Forderungen wurden vor allem an die beiden kommenden Ratspräsidentschaften, Portugal und Slowenien, gestellt. So wünschen sich die Jugendlichen eine neue Debatte über die Grenzen Europas ebenso wie eine baldige EU-Erweiterung um die Balkan-Länder, faire Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sowie eine Herabsenkung des Wahlalters auf 16 bei der kommenden Abstimmung zum Europäischen Parlament 2009. Ein EU-Sitz im UN-Sicherheitsrat gehört für sie ebenso dazu wie die Einrichtung Europäischer Jugendhauptstädte oder die Installation so genannter nationaler Telefon-Hotlines, bei denen engagierte Jugendliche Unterstützung für ihre Ideen zu Projekten der „Aktiven Europäischen Bürgerschaft“ einfordern können.
„Es ist wichtig, dass wir uns künftig noch besser vernetzen“, sagt die 22-jährige Dänin Ida Kragh-Ryding. Morten Grindacker (19) stimmt ihr zu. Der Norweger will künftig auch in Oslo für ein bisschen mehr EU-Begeisterung sorgen.
Christian Daniel will die Eindrücke jetzt erstmal sacken lassen. „Mal schauen, wie ich das meinen Freunden zu Hause erzählen werde“, sagt er. Möglichkeiten, auch Jugendliche mit schwächerem Bildungshintergrund für Europa zu begeistern, sieht er auf alle Fälle. „Wissen Sie, mit der Musik kommt man immer an die Menschen ran“, grinst er. „Der Beat muss halt stimmen.“ (Marco Heuer)
Mehr Informationen zur Europäischen Jugendwoche gibt es unter www.youthweek.eu
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