17.08.2006
Berliner Kiez und der Europäische Jugendpakt
Der Europäische Pakt für die Jugend - das klingt geschichtsträchtig. Dahinter verbirgt sich das Bestreben der europäischen Staats- und Regierungschefs, die Belange und Interessen von Jugendlichen stärker in der Politik zu verankern.
Unter dem Motto "Der Europäische Pakt für die Jugend – jetzt auch VON der Jugend!“ führen die Servicestelle Jugendbeteiligung, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie JUGEND für Europa seit letztem Jahr ein Kooperationsprojekt durch. Die Kooperation dient dazu, den Europäischen Pakt "nach Deutschland zu holen“. Jugendlichen soll es ermöglicht werden, den Pakt in eigenen Projekten umzusetzen. Damit der Pakt mehr ist als nur ein geschichtsträchtiger Name.
Das Kooperationsprojekt startete Ende 2005 mit einer nationalen Jugendkonferenz, auf der mehr als 100 Jugendliche eine Resolution zum Pakt erstellten. Delegierte wurden ausgewählt, um die Ideen auf der großen europäische Jugendkonferenz "Youth takes the floor“ im Dezember 2005 in Brüssel vorzutragen.
An die nationale Jugendkonferenz schloss sich dann in der ersten Hälfte des Jahres 2006 die Regionalisierung des Paktes in Deutschland an. Seit dem April 2006 ermitteln "Regionale Ansprechpartner" Jugendprojekte vor Ort, die einen Europabezug haben oder/und sich mit Themen des Europäischen Jugendpaktes beschäftigen.
Als gewissermaßen letzter Schritt fand nun vom 28. bis zum 30.07.2006 in Berlin-Kreuzberg ein Kick-On-Treffen statt. Die Veranstaltung stand unter dem Thema: Wie geht es weiter mit dem Pakt? Jugendliche aus ganz Deutschland und Politikprofis waren eingeladen, um über die konkreten Perspektiven des Pakts zu diskutieren. Die Kick-On-Veranstaltung bildet somit eine Art Schlusspunkt des gemeinsamen Projektes und ist gleichzeitig ein Auftakt für neue Entwicklungen. Der Titel weist darauf hin, dass der Prozess, junge Menschen an der europäischen Jugendpolitik und an der Weiterentwicklung des Paktes zu beteiligen, mehr denn je von Bedeutung ist.
Kick it
Berlin-Kreuzberg im Juli 2006: Alle Fenster des Seminarraums in der Axel-Springer-Straße stehen offen, trotzdem hat sich Valentina eine der gelben Seminarkarten genommen, um sich Luft zuzufächeln. Es ist brütend heiß an diesem Freitagabend, und viele Jugendliche sind zu den Seen im Umland geflüchtet. Nicht diese 15 jungen Leute, die auf Einladung der Servicestelle Jugendbeteiligung (SJB) aus ganz Deutschland gekommen sind, um über ein Thema zu reden, das manchen schon von selbst den Schweiß auf die Stirn treiben würde, wenn sie darüber referieren müssten.
Seit dem vergangenen Jahr hat die Servicestelle Jugendbeteiligung, ein bundesweites Beratungsnetzwerk für Jugendinitiativen, den Europäischen Pakt für die Jugend für sich entdeckt. Der Jugendpakt umfasst drei Themenfelder: "Beschäftigung/Integration/sozialer Aufstieg", "Allgemeine und Berufliche Bildung/Mobilität" sowie "Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben". Das Credo der SJB lautet: Wenn schon Pakt, dann auch von der Jugend.
Jugendliche informieren vor Ort über Chancen
Die SJB nutzt den Jugendpakt, um Jugendliche über die Möglichkeiten des Engagements aufzuklären. "Regionale Ansprechpartner“ stehen in ganz Deutschland im Namen der Servicestelle bereit, um Jugendliche über den Jugendpakt zu informieren, ihnen Unterstützung für neue Initiativen anzubieten und die Projekte ins gemeinsame Boot des Pakts zu laden. Sogar Fördergelder ("StarterKits“) in Höhe von bis zu 500 € können lokale Jugendprojekte bei der SJB beantragen, finanziert aus Mitteln von JUGEND für Europa und des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
"Es ist an der Zeit für ein Zwischenfazit“, erläutert SJB-Organisatorin Franziska Pohl die Motivation für das Berliner Treffen. "Wir möchten sehen, an welcher Stelle wir stehen, und wie es mit dem Jugendpakt weitergeht.“ Das dreitägige Programm enthält viel abstrakte Politik: Kurzreferate über die kommende deutsche EU-Ratspräsidenschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2007, über Jugendförderung in Italien und Gruppenarbeiten zu den Jugendpakt-Themen. "Nur wer die europäische Politik versteht“, sagt Pohl, "kann Jugendarbeit gezielt koordinieren und nach vorne bringen.“
Stephan Schilling ist aus Flensburg angereist, um mehr über den Jugendpakt zu erfahren. Der 19jährige ist einer der Regionalen Ansprechpartner und möchte sich fit machen für seine Beratungsdienste. Am Samstagvormittag sitzt Stephan in der Diskussionsrunde zum Thema Bildungspolitik. "Es hat mich interessiert, was die anderen darüber denken – damit ich nicht mehr das Gefühl habe, bloß die eigene politische Meinung zu verbreiten“, sagt er. Für die Jugendgruppen vor Ort sei es wichtig, jemanden zu haben, der ihnen die politischen Rahmenbedingungen erklärt, damit sie sich gezielt einbringen könnten. Der Jugendpakt sei unter Jugendlichen noch kaum bekannt.
Der Pakt als Selbstverpflichtung
Auch Lara Berger hat sich mit dem Thema Bildung beschäftigt und sie möchte konkrete Vorschläge in die Politik einbringen. Bildungsstandards sollten in Europa noch stärker vereinheitlich werden, fordert die 19jährige, die seit kurzem in Wien studiert. Das möchte sie am Sonntag vorschlagen, wenn die Teilnehmer daran gehen, ein Positionspapier zu formulieren. In den Diskussionen mit anderen möchte Lara herausfinden, "wie realistisch unsere Forderungen sind, und was wir im Rahmen des Jugendpakts daraus machen können.“
Was kann der Jugendpakt leisten, was nicht? Darum geht es in einer Diskussion am Samstagnachmittag mit vier Vertretern aus der Kommunalpolitik und von Jugend- und Migrantenverbänden. "Wir sollten den Jugendpakt ernst nehmen, aber nicht zu ernst“, sagt Benjamin Gesing (SJB). "Es könnte sein, dass der Jugendpakt nur ein Stapel Papier ist. Unabhängig davon finde ich die Punkte, die er aufzählt, sehr wichtig.“ "Der Stapel Papier ist gut für die Jugendlobby“, ergänzt Silke Gebel, stellvertretende Vorsitzende der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF), "indem er es den Politikern schwieriger macht, sich aus der Verantwortung zu ziehen.“
Edith Bruhns vom Migrationsrat Berlin-Brandenburg e.V. sieht ganz konkreten politischen Handlungsbedarf: "Jugendlichen aus sozial schwachen Familien wird in der europäischen Jugendpolitik immer noch die Beteiligung erschwert – zum Beispiel, wenn sie Fahrtkosten vorstrecken müssen.“ Silke Gebel (JEF) stimmt zu: "Die Politik darf die Chancen Jugendlicher nicht eingrenzen.“
Lokaler Blick ist entscheidend
Man dürfe die Schuld nicht immer der Politik zuschieben, merkt Benjamin Gesing (SJB) an. "Es ist unglaublich schwierig, die abstrakten Themen des Jugendpakts so herunter zu brechen, dass sie für Jugendliche Sinn machen. Deren Realitäten sind absolut vor Ort.“ Kleine Aktionen könnten große Wirkung zeigen, ermutigt Gesing. Um das Thema Integration praktisch umzusetzen, könne man auch ein Breakdance-Projekt auf die Beine stellen. "Dazu braucht man nur einen Ghettoblaster für 70 Euro.“
Es gelte, Jugendlichen zu zeigen, welche Möglichkeiten sie haben, und alle Möglichkeiten auszuschöpfen – darin sind sich die Diskutanten einig. Welche genauen Rollen die europäische. nationale und die kommunale Politik dabei spielen soll, bleibt ein kompliziertes Feld. "Wir müssen die Vielfalt beibehalten und gleichzeitig Vergleichbarkeit schaffen“, sagt Felicitas Bruhns, Bildungspolitische Sprecherin der SPD in Berlin. "Wir sollten von unten nach oben schauen. Bei der Diskussion über Jugendpolitik kommt man eben doch immer wieder auf Berlin-Kreuzberg zurück.“ Dort kann es schon schweißtreibend genug sein, Lösungen für konkrete Probleme zu finden. (Andreas Menn)
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Texte (Download):
Positionspapier zum Europäischen Pakt für die Jugend
Kommentare
jreschke
29.10.19 14:31
Mehr Infos zur Jugenbeteiligung am Pakt
Webadresse:
http://www.jugendbeteiligung.info/pakt
Email:
europa@jugendbeteiligung.info
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