Die Idee dazu kam von den "Startklar"-Mitarbeitern: "Uns ist aufgefallen, dass unsere Jugendlichen viel rassistischen Hip-Hop hören, ohne dass sie die darin enthaltenen Aussagen wirklich begreifen. Er gilt bei ihnen einfach als cool", erzählt die Pädagogin Susanne Coenen.
Die Pädagogin arbeitet seit zwei Jahren in der Wohngruppe Kirchanschöring. Jugendwohngruppen stellen eine Form der stationären Unterbringungsmöglichkeit nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz dar. Sie bieten für Jugendliche, die aufgrund ihrer individuellen Problemlage nicht (mehr) in ihrer Herkunftsfamilie und noch nicht alleine leben können, das Wohnen in einer pädagogisch betreuten Einrichtung.
Tatjana Weinelt, derzeit Praktikantin in der Wohngruppe, lieferte die Idee, sich auf außergewöhnliche Weise mit dem Problem des "Vor-Verurteilens" auseinanderzusetzen. Als ehemalige Teilnehmerin des Europäischen Freiwilligendienstes betreute sie für acht Monate Jugendliche im portugiesischen Vorort der Stadt Leiria, der durch Armut, eine hohe Gewaltbereitschaft und soziale Segregation gekennzeichnet ist. "Die meisten Jugendlichen dort stammen aus afrikanischen Migrantenfamilien. Auch wenn sie überwiegend in Portugal geboren sind, werden sie, schon aufgrund ihrer Hautfarbe, von der Gesellschaft nicht als Portugiesen angesehen", berichtet die Soziologiestudentin. "Wir waren dort mit sehr viel Rassismus und Vorurteilen konfrontiert."
Die Ähnlichkeit der Problematik veranlasste die beiden Mitarbeiterinnen, eine Begegnung zwischen den Portugiesen aus Leiria und den Jugendlichen der Wohngruppe zum Thema "Vorurteilsbildung und deren Wahrheitsgehalt" zu organisieren. Die finanzielle Unterstützung hatte JUGEND für Europa" zugesagt..
Anfang August war es dann soweit: In einer Jugendherberge in Benediktbeuern trafen sieben deutsche Jugendliche auf acht Portugiesen. "Anfangs war es schon eher ein vorsichtiges Beschnuppern" erinnert sich Coenen. Eine gemeinsame Woche stand den Buben und Mädchen zur Verfügung, um einander kennen zu lernen und Einblicke in den Alltag der anderen zu erhalten. Die Begegnung sollte den Jugendlichen auch die Möglichkeit geben, eine andere Facette Europas zu erleben und Kenntnisse über das andere Land zu erwerben.
Die Betreuer hatten sich dafür ein umfangreiches Rahmenprogramm ausgedacht: eine Berg- und Mountainbiketour, einen Länderabend, Kegeln, Fußballspielen, Namensspiele, ein Besuch im Deutschen Museum. Die Kernstücke des Austausches stellten jedoch ein Fotoworkshop sowie der Besuch bei dem Münchner Rapper Roger Rekless dar. "Da weder unsere Jugendlichen portugiesisch noch die Portugiesen deutsch sprechen, konnten wir uns mit dem Thema Vorurteil sprachlich nicht auseinandersetzen" erklärt Susanne Coenen die Aktivitäten. "Uns war es ganz wichtig, möglichst viel gemeinsam zu erleben und sich so auf eine andere Art näher zu kommen. Musik verbindet auch ohne Worte".
Der Fotoworkshop stellte eine kreative Möglichkeit dar, sich mit dem "Eigenen" und dem "Fremden" auseinanderzusetzen. Ausgerüstet mit Fotoapparaten zogen die Jungs und Mädchen in gemischten Teams in der Münchner Innenstadt los: die Portugiesen auf der Suche nach "typisch deutschen", die deutschen Jugendlichen auf der Suche nach "typisch fremden" Motiven. "Am Anfang wussten die Kids nicht so recht, was sie fotografieren sollten. Außerdem waren sie recht unsicher im Umgang untereinander. Das legte sich aber relativ rasch" berichtet Tatjana Weinelt. Die Bilder, die am Ende des Tages zusammengetragen wurden, können sich durchaus sehen lassen: das typisch deutsche Imbiss-Bierstüberl, der Döner-Stand an der Ecke, Frauen mit Kopftüchern. Im Herbst sollen die Werke in einer selbst geplanten Ausstellung präsentiert werden.
Das "Highlight" der gemeinsamen Woche stellte für die Jugendlichen der Besuch beim Münchner Rapper Roger Rekless dar. Der Musiker hatte sich bereit erklärt, die Gruppe in München zu empfangen und gemeinsam mit ihnen Lieder zu texten, um sie anschließend im Tonstudio aufzunehmen. Anders als bei vielen seiner Kollegen ist die Musik von Roger Rekless nicht aggressiv und ohne jede Vor-Verurteilung. "Ich will mit meinen Liedern und Texten anderen Mut machen. Man kann vieles schaffen, auch wenn es aussichtslos erscheint", erklärt er seinen jungen Fans.
Aufmerksam lauschten die Jugendlichen dem Profi und stürzten sich dann begeistert in die Arbeit: die angesetzten zwei Stunden für die Ausarbeitung der Texte vergingen wie im Flug. Die Betreuer waren von so viel Durchhaltevermögen und Konzentration erstaunt. "Es hat wirklich jeder ein Lied getextet und den Mut gehabt, es aufzunehmen", freut sich Coenen. Die Jugendlichen konnten erfahren, dass sie auch ohne gemeinsame Sprache und gemeinsame kulturelle Herkunft viel verbindet: die Begeisterung für Musik und Themen wie Freundschaft, erste Liebe oder Verlassenwerden.
Nach einer gemeinsam erlebten Woche fiel der Abschied sehr herzlich aus. Man ist sich, auch ohne viele Worte, nahe gekommen, hat den anderen kennen und respektieren gelernt. "Wir glauben, dass die Jugendlichen sehr viel positives aus diesem Austausch mitnehmen", sind sich die Betreuer einig. Durch ein E-Mail-Forum soll der Kontakt untereinander gehalten werden, außerdem ist ein Gegenbesuch in Portugal geplant.
Der Artikel wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der Südostbayerischen Rundschau.
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