20.10.2006
Guter Rat ist teuer
Coaching für Jugendinitiativen – jeder versteht etwas anderes darunter. JUGEND für Europa lud Experten aus 18 Ländern nach Bonn zur Diskussion über gemeinsame Standards.
Berater, das sind normalerweise die mit den Aktentaschen und den Krawatten. Frank Schmitz trägt weder das eine noch das andere, und trotzdem ist er als Berater unterwegs. Seine Kunden sind keine Unternehmen, sondern Jugendinitiativen. Sieben bis acht mal im Jahr ist Frank Schmitz im Einsatz und hilft Jugendinitiativen, organisatorische, finanzielle oder gruppendynamische Probleme zu bereinigen – meistens mit Erfolg.
Jugendinitiativen – das zeigen die Erfahrungen aus sieben Jahren Förderung – stellen hohe Ansprüche an sich selbst und dafür nehmen sie gerne professionelle Hilfe in Anspruch. Die soll ihnen auch zustehen, sagt Brüssel. Der User’s Guide zum neuen Programm JUGEND IN AKTION führt erstmals den Begriff des Coachings ein und vollendet damit eine Entwicklung auf europäischer Ebene, die seit zwei bis drei Jahren Coaching als innovative Form der Beratung verstärkt ins Spiel gebracht hat.
Grund genug für JUGEND für Europa, gemeinsam mit den Nationalagenturen aus Estland und dem französischen Teil Belgiens sowie dem SALTO Youth Initiatives Resource Center zu einer Diskussion darüber einzuladen, was gutes Coaching eigentlich ausmacht. „Wir möchten den Begriff des Coachings einkreisen und europaweit auf einen gemeinsamen Stand kommen“, erklärt Claudius Siebel von JUGEND für Europa. Es gehe nicht darum, alle nationalen Praktiken anzugleichen. „Aber wir möchten Qualitätsstandards formulieren.“
Jeder versteht etwas anderes darunter
Auf der Konferenz in Bonn trafen sich Ende September Mitarbeiter der Nationalagenturen aus 18 Ländern sowie zahlreiche potentielle Coaches, die in den letzten Jahren bereits mit Jugendinitiativen gearbeitet haben, um ihre Erfahrungen in der Jugendinitiativberatung auszutauschen. Zuvor hatte das SALTO-Büro in Brüssel Fragebögen verschickt und ausgewertet. Das Ergebnis: Die meisten Nationalagenturen des Programms JUGEND bieten den von ihnen geförderten Jugendinitiativen eine Beratung/Coaching an. Was sich aber in der Praxis dahinter verbirgt, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich.
Ein Ergebnis, von dem Frank Schmitz nicht sonderlich überrascht ist. „Mir war schon länger aufgefallen, dass alle das Wort Coaching benutzten, aber jeder etwas anderes darunter verstand: Beratung, Information, Begleitung, Hilfe. Dabei will Coaching vieles davon gerade nicht sein.“ Für einen Coach sei es etwa tabu, Jugendlichen bei der Antragstellung eines Projektes die Worte in den Mund zu legen. „Coaching mischt sich nicht ein. Es ist ein Prozess der Unterstützung und Begleitung.“
Eine begriffliche Trennung, die längst nicht in allen Ländern etabliert ist. So sind in Italien, Polen oder Litauen Mitarbeiter der Nationalagenturen als Berater aktiv – obwohl Coaches streng genommen unabhängig sein sollten. Auch die Beratungsmethoden unterscheiden sich gewaltig – von der DVD bis zum persönlichen Gespräch.
„Jeder sollte sich verbessern können“
Eine Diskussion auf dem Kongress kreiste um die Frage, für wen Coaching überhaupt gedacht sein sollte. Sollten nur Jugendliche mit begrenzten Möglichkeiten in den Genuss des Coachings kommen, oder sollte die Beratung allen offen stehen? Die Diskutanten waren sich bald einig: Zielgruppe seien benachteiligte junge Leute und Jugendliche unter 18 Jahren, aber niemand solle ausgeschlossen werden. „Jeder kann sich irgendwo verbessern, darum sollte jeder ein Coaching erhalten, der es möchte“, argumentiert Nathalie Peters aus Luxemburg.
Doch nur wenige Länder bieten bislang ein Netzwerk an Profi-Coaches. Claudius Siebel kennt den Grund: „Wer professionelles Coaching möchte, muss oft auch professionelle Honorare zahlen.“ Weil Jugendinitiativen dafür auf das eigene Budget zurückgreifen müssen, nehmen nur wenige die professionelle Beratung in Anspruch – in Deutschland sind es weniger als zehn Prozent der geförderten Projekte.
Darum wurde in Bonn besonders rege über das junge Konzept des Peer-Coachings gesprochen. Jugendliche mit Projekterfahrung sollen nach dieser Idee in ihrer Region anderen Jugendlichen zur Seite stehen, die Fragen oder Probleme bei ihren Projekten haben. In mehreren Ländern klappt das sehr gut. Zwei große Peer-Schulungen hat es diesen Herbst schon gegeben, weitere sollen folgen.
Jugendliche zu Coaches ausbilden
Der Vorteil des Peer-Coachings ist neben den geringeren Kosten die höhere Akzeptanz. „Wenn Jugendliche aus der Region das Coaching übernehmen, ist die Hemmschwelle gleich viel niedriger“, sagt Frank Schmitz. Viele Jugendliche seien begierig, ihr Wissen weiterzugeben.
Auch Nerijus Kriauciunas befürwortet das Peer-Konzept. Der Litauer hat selbst jahrelang sein Wissen an andere Jugendliche weitergegeben – freiwillig und ohne Honorar. Dass junge Peer-Coaches nicht alles wissen können, sei kein Hindernis, sondern eine Chance: „Jeder Coach braucht doch Zeit, um sich zu entwickeln und zu lernen. Aus Peers werden irgendwann Professionels, das ist ein logischer Ablauf.“
Kriauciunas ist einer der Autoren, die den Coaching Guide von SALTO verfasst haben – das erste Kompendium zu diesem Thema. SALTO spielt eine Schlüsselrolle in der europäischen Coaching-Debatte und wird auch in Zukunft koordinierend tätig sein. Patricia Brulefert vom Brüsseler SALTO-Büro hat auf der Bonner Konferenz einen tiefen Einblick in die Praxis der Jugendberatung der verschiedenen Länder gewonnen. „Es ist sehr komplex. Wahrscheinlich muss es auch so sein“, sagt sie.
Auf einheitliche Standards konnten sich die Kongressteilnehmer darum nicht einigen. „Aber der Prozess ist angestoßen“, sagt Claudius Siebel. In Zukunft wird sich Jugendberatung stärker auf Netzwerke und freiwillige Arbeit stützen. „Lasst uns darum vorsichtig sein mit dem Wort Coaching“, plädiert Claudius Siebel. „Vielleicht sollten wir einen ganz neuen Namen finden.“ Frank Schmitz wird sich von seinen Coaching-Aufträgen auf lange Sicht verabschieden müssen. Er nimmt’s gelassen: „Von Coaching allein kann eh niemand leben.“ (Andreas Menn)
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Mehr zum Thema:
Coaching is it!: Buchbesprechung "Coaching Guide – Youth Initiatives & Participation"
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