24.09.2008

Jugendbegegnung: Kultur machen – Kultur erleben. Aus Europa ins Revier

Die Ruhrfestspiele in Recklinghausen empfangen seit über acht Jahren regelmäßig kulturinteressierte Jugendliche aus europäischen Partnerstädten. Im letzten Jahr nahmen insgesamt 44 Jugendliche aus acht Nationen an einer Jugendbegegnung unter dem Motto „Twins go Fringe“ teil. Während sich der Begriff „Fringe“ für Theater aus der freien Szene etabliert hat, bezeichnet „Twins“ die europäischen Partnerstädte.

Das Ruhrgebiet mit mehr als 50 Städten und Gemeinden hat über 220 Partnerstädte in Europa. Das sind ideale Voraussetzungen, um an der gemeinsamen Zukunft des Hauses Europa mitzuwirken und multilaterale Kontakte unter jungen Menschen zu fördern. Dazu bedarf es natürlich geeigneter Architekten. Und die finden sich bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen, die sich ganzjährig in der Jugendarbeit engagieren.

„Wir haben klein angefangen, mit Jugendlichen aus zwei Nationen“, erinnert sich Theaterpädagoge Alois Banneyer an die Anfänge der Projekte in den 1990er Jahren. Er koordiniert und organisiert die Jugendbegegnungen. „Die Teilnehmerzahl ist kontinuierlich gestiegen. Was als bi- oder trinationale Begegnung startete, ist längst zu einer multinationalen Zusammenkunft geworden, so dass wir im vergangenen Jahr 44 Jugendliche aus acht Nationen begrüßen konnten.“

Kultur baut Brücken

Das Programm der Begegnungen folgt stets dem Gedanken, mittels kultureller Aktivitäten das Aufeinanderzugehen der Jugendlichen zu fördern. Die Kultur hilft, die Kommunikation untereinander zu forcieren und sich gegenseitig besser kennen zu lernen und zu verstehen. Dazu trägt sowohl die Teilnahme an unterschiedlichen Workshops als auch das Rahmenprogramm bei. Die kulturellen Aktivitäten münden schließlich in eine Präsentation, die auf einer öffentlichen Bühne vorgestellt wird.

Im September 2007 begrüßten die Betreuer Jugendliche aus Essens finnischer Partnerstadt Tampere, aus dem slowenischen Kocevje (Oer-Erkenschwick), aus Recklinghausens polnischer Partnerstadt Bytom und aus Marls französischer Partnerstadt Creil. Weitere junge Gäste kamen aus Sörmland, dem schwedischen Partnerkreis des Kreises Recklinghausen, aus Malta und aus Darlington, der Partnerstadt Mühlheims. Deutsche Jugendliche aus den Revierstädten Marl und Recklinghausen vervollständigten das Teilnehmerfeld.

„Eine grundsätzliche Voraussetzung ist natürlich, dass die Jugendlichen offen sind für Kultur“, sagt Banneyer. In mehreren Workshops konnten sich die Teilnehmer ausprobieren, ihre Kreativität entdecken und sich auf diese Art näher kommen. Die Vielfalt des kulturellen Angebots reichte von Tanz und Gesang über Percussion und Maskenbau bis hin zu Pantomime.

Kommunikationsprobleme sind ein Fremdwort

Wenn Menschen aus acht Nationen eine Gemeinschaft bilden, sind sprachliche Hürden unausweichlich. Nicht immer können sich alle Teilnehmer auf Englisch verständigen. Dann hilft entweder Improvisation oder ganz einfach der Zufall. Alois Banneyer hat beispielsweise die Erfahrung gemacht, dass viele Slowenen gut Deutsch sprechen. „Manchmal beherrscht ein Schwede polnisch oder eine Finnin, die französisch spricht, bringt sich gerne als Dolmetscherin ein. Die Sprachverständigung ist meist unproblematisch. Sobald die Jugendlichen Feuer gefangen haben, improvisieren sie, werden temperamentvoll und erfindungsreich.“

Um die Projekte zu verwurzeln und den Jugendlichen einen authentischen Eindruck von Deutschland und dem Ruhrgebiet zu vermitteln, hat es sich bewährt, die Besucher in Gastfamilien unterzubringen. „Auf diese Weise haben sich über die Jahre viele Bindungen entwickelt. Manche Gastgeber-Familie aus Recklinghausen oder Marl war längst zu einem Gegenbesuch auf Malta oder in Slowenien“, weiß Banneyer.

Bewährte Routine

Wie bei allen vorherigen Treffen auch, stand der erste Vormittag ganz im Zeichen des gegenseitigen Kennenlernens. „Um eventuelle Berührungsängste zu zerstreuen, haben wir professionelle Warming-Up Methoden entwickelt, die dabei helfen, sich spielerisch und völlig stressfrei anzunähern“, erklärt der Theaterexperte.

Im Laufe der Zeit haben sich weitere Rituale etabliert: Etwa zur Halbzeit eines Projekts stellen die Jugendlichen ihr Heimatland oder ihre Heimatstadt anhand eines Sketches vor. Die kleinen Aufführungen sorgen stets für ausgelassene Heiterkeit. An einem anderen Abend bereiten sie landestypische Speisen zu. So gab es im vergangenen Jahr ein kulinarisches Potpourri aus schwedischem Gebäck, französischem Crêpe, polnischem Bigos und der slowenischen Nationalspeise mit dem unaussprechlichen Namen „Struklji“.

Spannende Erlebnisse auch außerhalb des Theaters

Wichtig ist auch ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm. Neben den Besuchen von Sehenswürdigkeiten, wie dem Oberhausener Gasometer oder dem Tetraeder in Bottrop, zählte im vergangenen Jahr eine Grubenfahrt zu den Highlights: Die Reise in die Unterwelt der Marler Grube „Auguste Victoria“ führte die Jugendlichen etwa 1.000 Meter unter die Erde. Außerdem besuchten die Jugendlichen ein Heimspiel des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund und veranstalteten einen Filmabend unter freiem Himmel.

Dass das Rahmenprogramm den Meinungsaustausch fördert und manchmal sogar in einen heftigen Diskurs mündet, verdeutlichte der Besuch einer Ausstellung des Künstlers Blalla W. Hallmann in der Recklinghauser Kunsthalle. „Die Werke provozierten ein kontroverses Echo und motivierten viele Teilnehmer zu einer lebhaften Diskussion. Während einige der stark religiös geprägten Jugendlichen die expressionistische Darstellung der Bilder als obszön und gotteslästerlich empfanden, gaben sich andere beeindruckt von der provozierenden Wucht der Bilder“, blickt Alois Banneyer zurück. „Solch spannende Erlebnisse rütteln die jungen Menschen auf.“

Gerade in derartigen Situationen zeigt sich, wie hilfreich Kultur sein kann, um die Jugendlichen einander näher zu bringen. Und immer dann bestätigt sich das wechselseitige Konzept der Ruhrfestspiele: „Kultur machen und Kultur erleben“.

Ausblick 2010

Für das Kulturhauptstadtjahr 2010 planen die Ruhrfestspiele ein neues außergewöhnliches Jugendprojekt: Unter dem Motto „RuhrNation“ wird ein HipHop-Tanz-Projekt entwickelt, an dem zahlreiche Jugendliche aus europäischen Partnerstädten und dem Ruhrgebiet teilnehmen werden. Unter professioneller Leitung der renommierten Zoo Nation Dance Company, London, wird eine Performance auf hohem künstlerischem Niveau erarbeitet. Die ersten Workshops haben schon stattgefunden. Damit starten die Ruhrfestspiele als einer der ersten schon jetzt, zwei Jahre vor 2010, mit einem konkreten Projekt, das sukzessive prozesshaft weiterentwickelt und dessen Ergebnis im Kulturhauptstadtjahr präsentiert wird.

(Michael Sachse)

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