16.03.2009
Rückenwind für benachteiligte Jugendliche: „Ich bin, also lerne ich auch.“
Leo Kaserer ist Sozialarbeiter bei „Point Europa”, einer britischen Organisation, die internationale Jugendprojekte organisiert. In deren EFD-Initiative „Rückenwind“ spielte der Youthpass eine wichtige Rolle.
„Wir“, erzählt Leo Kaserer, „wollten etwas dafür tun, dass auch Jugendliche, die besonders benachteiligt sind, in das Programm JUGEND IN AKTION und speziell in den Europäischen Freiwilligendienst einbezogen werden können. Wir haben deswegen mit unseren Partnern eine besondere Strategie entwickelt.“
Die zehn Partner aus sieben verschiedenen Ländern erfanden „Rückenwind“, eine Initiative, die Jugendlichen im Rahmen des Programms JUGEND IN AKTION spezielle Angebote machen will, die sie in ihrer individuellen Entwicklung unterstützen. Im Rahmen der Rückenwindstrategie wurden Trainings für Jugend(sozial)arbeiter durchgeführt und den Jugendlichen „mit weniger Möglichkeiten“ durch einen Jugendaustausch mit besonderem Programm und besonderer Unterstützung „Appetit“ auf non-formale Lernerfahrungen und Europa gemacht. Als bisherigen Höhepunkt der Strategie organisierte Point Europa im Sommer 2007 einen vierwöchigen Freiwilligendienst in Cornwall für eine Gruppe von 28 jungen Leuten aus den sieben Partnerländern. Die wurden gemeinsam in vier verschiedenen Bereichen, in der Gruppe, in der Öffentlichkeitsarbeit, in der Natur oder bei der Arbeit an Gebäuden eingesetzt.
Alle hatten schlechte Erfahrungen mit dem Schul- und Ausbildungssystem gemacht, einige waren schon lange aus dem Lernprozess, der Schule oder Ausbildung, ausgestiegen. Sie hatten, Leo Kaserer bringt es auf den Punkt, „mit Lernen nicht viel am Hut“. Um das zu ändern, wurde die Lust zu lernen zum Hauptziel des Freiwilligendienstes. „Lernen sollte erfahrbar werden als Entdeckung, als Lust, etwas bewältigen zu können, nicht assoziiert werden mit Lehrern und Zeugnissen“, erklärt Leo Kaserer. „Unsere Idee war es, dass die jungen Menschen nicht-formale Bildung genießen können.“
Dafür wurden schrittweise verschiedene Methoden eingesetzt. Schon in der Vorbereitung bekamen die Jugendlichen ein „Learning diary“, ein Lerntagebuch, und wurden ermuntert, dort ihre Erlebnisse und Lernerfahrungen einzutragen – natürlich in der Muttersprache. Und damit das für junge Leute, die wenig Lust und oft mangelnde Fertigkeiten zu schreiben hatten, auch funktioniert, wurde gleich dazu angeregt, wie das gehen kann: mit Witzen, Zeichnungen und Erklärungen wurde der Einstieg erleichtert.
Dieses Lerntagebuch diente im Verlauf des Freiwilligendienstes als Grundlage von Mentorengesprächen, die zwei mal in der Woche mit den Jugendlichen stattfanden. Bei diesen Gesprächen wurde gemeinsam rekapituliert: Was war bedeutsam, welche Herausforderungen wurden gemeistert, was hat der Freiwillige an Fähigkeiten für sich entdeckt.
„Den Youthpass“, erzählt Leo Kaserer, „haben wir erst beim Mid-term-Meeting nach zwei Wochen vorgestellt.“ Bis dahin hatten die Teilnehmenden das Lerntagebuch schon vielfältig genutzt: „Einige hatten schon 100 Seiten geschrieben, andere gezeichnet, Fotos oder Fundstücke eingeklebt.“ Der Youthpass diente nun, in der zweiten Hälfte der Maßnahme, als Strukturierungshilfe, weniger als Zertifizierungsinstrument. „Wir haben uns an den acht Schlüsselkompetenzen orientiert und danach die Lernerfahrungen der Teilnehmer reflektiert“, berichtet er. Die Freiwilligen wurden aufgefordert, zwischen den Schlüsselkompetenzen und ihren Einträgen im Tagebuch eine Verbindung herzustellen.
Bei den weiteren Mentorengesprächen arbeitete man sich schrittweise an eine Formulierung der Lernerfahrungen heran. Gemeinsam wurden die individuellen Fortschritte in der Muttersprache erläutert und danach – für das Zertifikat - ins Englische übersetzt.
Das Ergebnis, meint Leo Kaserer, habe sicherlich nicht immer dem entsprochen, was der Arbeitsmarkt an Kompetenzbeschreibungen so erwartet. „Es waren junge Leute dabei, für die es ein Fortschritt war, den Unterschied zwischen Euro und Britische Pfund zu verstehen.“ Individuell ein großer Schritt, für ein arbeitsmarktrelevantes Zertifikat untauglich. Darauf kam es aber auch gar nicht an: „Der Youthpass hat dokumentiert: Ich habe etwas erreicht.“ Er sei in erster Linie ein Dokument für den Jugendlichen selbst gewesen. „Wir sind sehr stark ins Individuelle gegangen, das war klar.“ Aber es sei auch eine brauchbare Hilfe für die weitere Betreuung der Jugendlichen, weil er sichtbar mache, an welche Lernerfahrungen man anknüpfen könne. Das wichtigste sei, das das Zeritfikat die Stärken beschreibe: „Da steht etwas Positives, nichts Demotivierendes, so wie ein schlechtes Zeugnis“.
Entsprechend war die Resonanz bei den jungen Leuten „sehr, sehr positiv“, wie Leo Kaserer analysiert. Die Freude am Feedback und an der Unterstützung beim Entdecken eigener Fähigkeiten habe im Mittelpunkt gestanden. „Sie haben Zeit gehabt, sich über sich selbst Gedanken zu machen. Ich verstehe den Youthpass in erster Linie als Hilfe zur Selbstreflexion, als Anreiz. Lernen ist positiv, kann Spaß machen, und schon, wenn ich nur „bin“, lerne ich auch.“
http://www.rueckenwind-project.org
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