05.05.2010

EFD im Rahmen von JiVE: Türkei trifft Türkei

Die Volkshochschule Reckenberg-Ems hat erstmals fünf junge Europäische Freiwillige aus der Türkei aufgenommen, die in Rheda-Wiedenbrück Grundschüler betreuen. Viele der Kinder kommen selbst aus türkischen Familien. Als neugierige Menschen und eifrige Deutschlerner animieren die Freiwilligen die Jungen und Mädchen, es ihnen gleich zu tun.

Das Freiwilligendienstprojekt wird im Rahmen von „JiVE – Jugendarbeit international. Vielfalt erleben“ wissenschaftlich begleitet.

Als Emrah Turan im September 2009 nach Deutschland kam, konnte er auf Deutsch nur Ja und Nein sagen. Mit den Kindern in der Offenen Ganztagsgrundschule in Rheda-Wiedenbrück klappte die Verständigung trotzdem auf Anhieb, berichtet der 25-Jährige. Mit Gesten und Lächeln. Und sie wurde immer besser, je mehr Deutsch er lernte. „Kinder sind einfach unglaublich“, sagt Emrah, „die fünf Stunden in der Schule sind für mich die wichtigsten des Tages.“

Emrah ist wie vier weitere junge Türken mit dem Europäischen Freiwilligendienst in die Emsstadt gekommen. Alle arbeiten in verschiedenen Ganztagsgrundschulen, deren Trägerin die  Volkshochschule (VHS) Reckenberg-Ems ist. Sie essen mittags mit den Kindern und helfen ihnen bei den Hausaufgaben,  gehen gemeinsam spazieren, spielen Karten und treiben viel Sport.

Vormittags büffeln die jungen Männer im Sprachkurs Deutsch, gemeinsam mit anderen ausländischen Besuchern der VHS. „Ich wollte mal in einem anderen Land wohnen“, erklärt Emrah seine Motivation, am Europäischen Freiwilligendienst teilzunehmen. In Izmir hat er Soziologie studiert und in Projekten mit Flüchtlingskindern gearbeitet.

Freiwillige als Vorbilder

Auch an Emrahs Schule in Rheda-Wiedenbrück gibt es Kinder mit Migrationshintergrund, darunter viele Türken. „Aber viele sprechen nicht gut Türkisch“, hat Emrah festgestellt. Erstaunt hat die Freiwilligen auch, dass manche ihrer Landsleute, die schon lange in Deutschland leben, nie richtig Deutsch gelernt haben. „30 Jahre hier und kein Deutsch, das ist Quatsch“, findet der 24 Jahre alte Ibrahim Calismaz, der aus Istanbul stammt und Maschinenlehre für das Berufsschullehramt studiert hat.

Ganz bewusst hat die VHS im Hinblick auf den hohen Anteil von Migrantenkindern in der Nachmittagsbetreuung zum ersten Mal fünf Türken im Rahmen des EU-Freiwilligendiensts aufgenommen. „Es tut gut, Vorbilder zu zeigen“, sagt VHS-Leiter Rüdiger Krüger. „Die Kinder in der Ganztagsgrundschule bekommen mit, dass da junge Männer aus einem anderen Land sind, die erst nicht gut Deutsch sprechen, aber dann Fortschritte machen.“

Wichtiger Austausch

Emrah und Ibrahim sind die ehrgeizigsten in der Gruppe, gute Sprachkenntnisse sind ihnen wichtig. Beide haben vor, einen Masterstudiengang in Deutschland zu belegen. Mit Bangen warten sie daher auf das Ergebnis des Sprachtests, den sie bestanden haben müssen, um zugelassen werden zu können. Das Nachtleben im beschaulichen Rheda ist den beiden Großstädtern ein bisschen zu langweilig, ansonsten haben sie sich aber gut eingelebt, fahren mit Begeisterung Fahrrad und haben sich die deutsche Pünktlichkeit angewöhnt. Emrah spielt Basketball im örtlichen Verein und trainiert dort eine Frauenmannschaft.

Immer wieder wundert er sich über Gepflogenheiten der Deutsch-Türken, etwa pompöse Hochzeiten, die er aus seiner Stadt ganz anders kennt. Fatma Yildiz, die bei der VHS als Mentorin für die EU-Freiwilligen angestellt und selbst Türkin ist, erklärt: „Viele Migranten, die hier leben, haben den Fortschritt in ihrer Heimat nicht mitgemacht. Wenn jetzt junge, moderne Freiwillige herkommen, ist das für beide Seiten von großem Wert.“

Unterschiede würden bewusst, und man nähere sich an. Zumal Emrah auch schon häufig das antiquierte Türkei-Bild der Deutschen zurecht rücken mussten: „Ich habe Leute getroffen, die glaubten, dass bei uns Frauen gesteinigt werden“, berichtet er fassungslos.

Fortsetzung folgt

Da die Betreuung von Kindern in der Ganztagsgrundschule nicht eben eine Männerdomäne ist, verlief der Einsatz der fünf jungen Türken bei aller Offenheit dennoch nicht ganz konfliktfrei. „Manche hatten Probleme mit dem, was sie dort machen sollten“, weiß Krüger. In der Küche zum Beispiel hätten einige nur sehr ungern mitgeholfen.

Als schwierig hat sich auch die Unterbringung in Gastfamilien herausgestellt, die erst nach langer Suche gelang. „Viele Familien wollen lieber jemanden aufnehmen, dessen Muttersprache Englisch oder Spanisch ist, damit er ihren Kindern in diesen Schulfächern helfen kann“, sagt Stephan Crass, der als Fachbereichsleiter Sprachen für die  EU-Freiwilligen zuständig ist.

Crass spricht aus Erfahrung. Für den Einsatz in der Verwaltung nimmt die VHS seit Jahren Spanier auf. Das hat sich durch die engen Beziehungen zu Rheda-Wiedenbrücks katalanische Partnerstadt Palamós so ergeben. Zur Zeit verbringt Ariadna Monge ihren Dienst in Rheda-Wiedenbrück. Die 22-Jährige hat in Spanien Tourismus studiert und während des Studiums schon über das Erasmus-Programm Auslandserfahrung in Irland gesammelt.

„Aber der Freiwilligendienst bringt mehr“, sagt sie, „hier bist du für etwas verantwortlich.“ Den Familienanschluss schätzt sie sehr – und die VHS möchte auf die alltagstauglichen Sprachkenntnisse, die sich daraus ergeben, nicht verzichten. Die nächste Gruppe Freiwilliger soll deshalb aus verschiedenen Nationalitäten bestehen. Weil die Hauptmigrantengruppen, die das breite Angebot an Sprach- und Alphabetisierungskursen der VHS nutzen, Rumänen, Polen und Türken sind, sollen aber auf jeden Fall junge Leute aus diesen Ländern dabei sein.

(Nina Voigt)

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Zum Hintergrund

Das Logo von JiVENoch nehmen zu wenig Jugendliche mit Migrationshintergrund an Projekten der Internationalen Jugendarbeit teil. Gleichzeitig schöpft die internationale Jugendarbeit das Potenzial junger Menschen mit Migrationshintergrund nicht aus.

Das Projekt „JiVE. Jugendarbeit international – Vielfalt erleben“ von JUGEND für Europa und IJAB e.V. will dies ändern. Jugendliche mit Migrationshintergrund sollen nicht nur verstärkt an Maßnahmen der internationalen Jugendarbeit teilnehmen. Auch Projekte oder Einrichtungen in Deutschland, die mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund arbeiten, sollen von den Angeboten der internationalen Jugendarbeit stärker als bislang profitieren können.

Gleichzeitig kann die internationale Jugendarbeit durch die Zusammenarbeit wertvolle Impulse für ihre eigene Arbeit bekommen. Mehr Informationen auf der Seite von JiVE.

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Informationen zur VHS Reckenberg-Ems finden Sie auf folgender Internetseite.

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