06.05.2010

JiVE-Interview - "Vielfalt muss wertgeschätzt werden"

Noch nehmen zu wenig Jugendliche mit Migrationshintergrund an Projekten der Internationalen Jugendarbeit teil. Gleichzeitig schöpft die internationale Jugendarbeit das Potenzial junger Menschen mit Migrationshintergrund nicht aus.

Das Projekt „JiVE. Jugendarbeit international – Vielfalt erleben“ von JUGEND für Europa und IJAB e.V. will dies ändern. Nach zwei Jahren Projektlaufzeit lässt sich eine Zwischenbilanz ziehen.

Was ist der Stand der Dinge? Ein Interview von Nina Voigt mit Christof Kriege – Projektkoordinator bei JUGEND für Europa.

Herr Kriege, worum geht es bei JiVE?

 Die Abkürzung JiVE steht für ‚Jugendarbeit International – Vielfalt erleben’. Es geht um die Integration Jugendlicher mit Migrationshintergrund in und durch Internationale Jugendarbeit. Das zentrale Ziel ist, mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund an den Angeboten der Internationalen Jugendarbeit zu beteiligen.

Während die Debatten in Deutschland vielfach die Defizite junger Menschen mit Migrationshintergrund betonen, wollen wir mit JiVE dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit ihre interkulturellen Kompetenzen Wert schätzt. Wir sind davon überzeugt, dass das interkulturelle Know-how dieser Jugendlichen beispielsweise in internationalen Jugendbegegnungen gut zum Tragen kommt und sie dort ihre Kenntnisse und Ressourcen verstärkt einsetzen können.

Das wird ihre Chancen am Arbeitsmarkt und ihre Teilhabe an der Zivilgesellschaft verbessern. Außerdem will JiVE zur interkulturellen Öffnung von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe beitragen.

Wie sieht das konkret aus?

Das Gesamtprojekt JiVE wird praktisch umgesetzt in drei Kernbereichen der Internationalen Jugendarbeit: 1. Internationale Jugendbegegnungen (Projektname: InterKulturell On Tour), 2. Europäischer Freiwilligendienst (EFD) und 3. Qualifizierung von Fachkräften der Internationalen Jugendarbeit.

Wir haben die Beteiligung für InterKulturell on Tour und für den Bereich EFD öffentlich ausgeschrieben. Das hat etliche Träger der Internationalen Jugendarbeit mobilisiert und wir sind u.a. gezielt auf Vereinigungen junger Migrantinnen / Migrantenselbstorganisationen zugegangen.

Viele Akteure der Internationalen Jugendarbeit sind erstmals mit solchen Vereinigungen / Organisationen zusammen gekommen, um miteinander internationale Projekte zu entwickeln. Der „Dialog auf Augenhöhe“ war von Beginn an das kennzeichnende Prinzip im Projekt JiVE. Das große Interesse hat uns erfreut und überrascht.

Die JiVE-Projekte werden wissenschaftlich begleitet. Gibt es bereits Ergebnisse?  

Das Projekt InterKulturell On Tour ist abgeschlossen. Auch die wissenschaftliche Begleitung der Fachkräftemaßnahmen mit der Türkei und mit Spanien ist abgeschlossen. Beim Europäischen Freiwilligendienst hinken wir etwas hinterher, die wissenschaftliche Begleitung von zehn Projekten läuft seit Januar.

Welche Erkenntnisse lassen sich aus der Begleitung der Internationalen Jugendbegegnungen gewinnen?

Die Teilnehmenden waren mit den internationalen Jugendbegegnungen sehr zufrieden. Als zentrale Errungenschaften wurde der Aufbau eines lebendigen, neuen Netzwerks genannt und die interkulturell herausfordernde Zusammenarbeit.

Positiv bewertet wurde insbesondere von jungen Menschen mit Migrationshintergrund der Perspektivwechsel. Nämlich, dass sie Deutschland im Ausland vertreten. Dies führte tatsächlich zu vielen Auseinandersetzungen über die identitätsstiftende Verortung der jungen Menschen in Deutschland.

Gleichzeitig lehnen es viele der befragten Jugendlichen (und auch der befragten Träger) ab, ihren Migrationshintergrund besonders zu betonen. Sie fühlen sich integriert. Die ihnen zugedachte Rolle ist ihnen überhaupt nicht wichtig. Sie ziehen andere Grenzen, etwa bei Religion, Geschlecht, oder Alter. Unterschiede wurden wahrgenommen und Vielfalt wert geschätzt.

Das ist ja auch eine Erkenntnis.

Ja, in der Debatte um die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland fehlt allgemein die Wertschätzung von Vielfalt. Hier wird häufig noch ein homogenes Gesellschaftsbild gezeichnet, das gar nicht mehr zutrifft. Wir müssen diversitätsorientiert denken und müssen schauen, welche Jugendlichen besonders gefördert werden müssen und wie wir die Jugendlichen erreichen, die faktisch nicht integriert sind.

In der Sache müssen sich Jugendpolitik und Jugendarbeit deutlich engagieren. Für die Fortsetzung des Projekts JiVE bedeutet dies die Verschiebung seiner Zielsetzung. Wir sind jetzt bereits in einer Phase der Neukonzeptionierung.

Und wie könnte das gelingen?

Zukünftig wird eine enge Kooperation von Trägern der internationalen Jugendarbeit, den Vereinigungen junger Migrantinnen / Migrantenselbstorganisationen, den Jugendmigrationsdiensten und den Offenen Türen in den Kommunen wichtig sein.

Wenn diese Träger es gemeinsam schaffen, die Zielgruppe und das internationale Know-how zusammenzubringen, wird es einen Mehrwert für die Jugendlichen geben. Im März gab es in Hannover bereits ein erstes Treffen, um Möglichkeiten der strukturellen Zusammenarbeit zu entwickeln.

InterKulturell On Tour hat erfolgreich gezeigt, dass der Aufbau von Kooperationsstrukturen von Internationaler Jugendarbeit und Jugendintegrationsarbeit, gelingen kann. Die Jugendbegegnungen sind von Beginn an im Tandem-Modell entwickelt und durchgeführt worden: Ein Träger der Internationalen Jugendarbeit hat jeweils mit einer Vereinigungen junger Migrantinnen/ Migrantenselbstorganisationen ganz eng zusammengearbeitet. Das haben beide als sehr bereichernd empfunden.

Gibt es auch beim Europäischen Freiwilligendienst schon Erkenntnisse?

Wir haben 400 Träger angeschrieben und darum geworben, im Rahmen von JiVE Jugendliche mit Migrationshintergrund zu entsenden oder aufzunehmen.

Zwanzig Organisationen haben sich beworben – alles klassische Träger der Internationalen Jugendarbeit, leider keine Vereinigungen junger Migrantinnen / Migrantenselbstorganisationen und keine Jugendmigrationsdienste. Aus diesem Engagement entstehen jetzt die ersten konkreten Projekte im Europäischen Freiwilligendienst. Mit einigen Trägern ist JUGEND für Europa in einen intensiven Beratungsprozess eingestiegen. Es geht vieles nicht so schnell, wie das manchmal angedacht ist.

Wir verstehen die Teilhabe junger Menschen mit Migrationshintergrund am EFD als ein Langzeitziel. Wir sind fest davon überzeugt, dass die interkulturellen Kompetenzen dieser jungen Menschen in der freiwilligen Mitarbeit wunderbar zum Tragen kommen und sie zugleich Dinge lernen können, die ihre Teilhabe und ihre Chancen in der Gesellschaft deutlich verbessern.

Was erfreulich ist: Wir haben festgestellt, dass bereits zahlreiche junge Menschen mit Migrationshintergrund am Europäischen Freiwilligendienst teilnehmen. Diese Projekte sind jetzt im Fokus einer wissenschaftlichen Begleitung. Die Ergebnisse erwarten wir im Sommer.

Wo liegt das Problem, dass sich nur klassische EFD-Träger beworben haben?

Der Europäische Freiwilligendienst setzt eine formale Anerkennung voraus, die manche Organisationen leider nicht erhalten können, weil sie nicht gemeinnützig sind oder weil die inhaltliche Projektidee nicht den Vorgaben entspricht.

Außerdem hat das Teilprojekt eine internationale Dimension. Für die gewünschten Modellprojekte im EFD kommt da erschwerend hinzu, dass der Begriff „Migrationshintergrund“ bei ausländischen Partnern eher auf Unverständnis stößt.

Andere europäische Länder haben ebenfalls Zuwanderungserfahrungen. Allerdings werden zugewanderte Menschen nicht als solche kategorisiert und der „Migrationshintergrund“ nicht problematisiert. Integration und Teilhabe versteht sich hier von Anfang an als selbstverständlich.

Bleibt noch die Fachkräftefortbildung als dritter Teilbereich von JiVE. Wie sehen die Ergebnisse hier aus?

In den von IJAB durchgeführten Fachkräfteprogrammen mit der Türkei und Spanien war das Schwerpunktthema die Integration junger Menschen unter Beteiligung von Praxisfeldern der Jugendhilfe. Zielgruppe waren Mitarbeiter der Jugendmigrationsdienste, der Jugendverbände und der kommunalen Jugendhilfe.

Die Ergebnisse sind ein flammendes Plädoyer für ein verstärktes Engagement: Sie zeigen, wie positiv die Fachkräfte diese Fortbildungen erleben, wie die Fortbildungen zur Erweiterung des Fachwissens und zur gemeinsamen Reflexion der Erfahrungen beitragen und wie die Fortbildungen in aller Regel an die eigene Arbeits- und Lebenserfahrungen anknüpfen.

Schließlich ist es so: Nur über kulturell sensible Jugendarbeiter kann es gelingen, Jugendliche mit Migrationshintergrund in die Internationale Jugendarbeit zu holen. Wenn die Jugendarbeiter selbst nicht bereit sind, sich interkulturellen Erfahrungen zu stellen, bleibt ihnen der Ansatz der Internationalen Jugendarbeit natürlich fremd.

Es ist also noch viel zu tun?

Als Projektträger von JiVE sind wir, bestätigt durch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung, prinzipiell gut aufgestellt. Wir stehen aber am Anfang einer Neukonzeptionierung, die anknüpfen muss an die bisherigen Zielsetzungen. Unsere Aufgabe ist es, die bereits entstandenen Ressourcen einzubinden und zugleich eine inhaltliche Schärfung eines Folgeprojekts vorzunehmen.

In der respektvollen Auseinandersetzung mit den Projektbeteiligten haben wir viel gelernt – insbesondere, dass die Zuschreibung „mit Migrationshintergrund“ diskriminierend für junge Menschen ist und daher unmöglich so weiter verfahren werden kann. Zukünftig müssen wir unter einer „diversitätsorientierten Brille“ die Zielgruppe, die Zielsetzungen und die Methoden neu betrachten. Die Bereitschaft ist da, diese Herausforderungen anzugehen.

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Hintergrund zu JiVE

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Für diese Erkenntnis haben Politik und Gesellschaft lange gebraucht, aber sie setzt sich langsam durch. Im Nationalen Integrationsplan haben sich Bund, Länder, Kommunen und Organisationen der Zivilgesellschaft im Jahr 2007 zu umfassenden Integrationsmaßnahmen verpflichtet. Auch die Internationale Jugendarbeit muss ihren Teil beitragen.

Eine Analyse von Professor Dr. Andreas Thimmel, Fachhochschule Köln, hat ergeben, dass die Potenziale internationaler Jugendarbeit nicht ausreichend erforscht und demzufolge vermutlich auch nicht voll ausgeschöpft sind. Allerdings wird angenommen, dass internationale Jugendarbeit über Potenziale verfügt, die zur Integration junger Menschen mit Migrationshintergrund und zur interkulturellen Öffnung beitragen können.

JiVE. Jugendarbeit international – Vielfalt erleben ist daher auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten ein Pilotprojekt. Mehr Informationen auf der Internetseite von JiVE.

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Nina Voigt hat ein EFD-Projekt besucht, welches im Rahmen von JiVE begleitet wird. Wie die Potentiale der Internationalen Jugendarbeit für die Integrationsarbeit vor Ort genutzt werden können, zeigt ihr Bericht aus Rheda-Wiedenbrück.

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Eine neu veröffentlichte Praxishilfe fasst die Erkenntnisse und Erfahrungen des Projekts InterKulturell on Tour zusammen. Sie ist als Download verfügbar.

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