06.04.2011
Fachtagung zu Active Citizenship - Jugendliche als aktive Bürger
Teilnehmer einer Tagung diskutierten in Heppenheim über "Active Citizenship“ in der internationalen Jugendarbeit
Wer im Verein Fußball spielt und im Chor singt, stärkt die Demokratie. Das ist, stark zugespitzt, die These des Politikwissenschaftlers Robert Putnam. Sie geht von einem Zusammenhang zwischen sozialem Engagement und politischer Partizipation aus.
Und zwar nicht des Singens und Kickens wegen, sondern weil im Verein Dialog, Toleranz und andere Fähigkeiten geübt werden, die auch den demokratischen Habitus befördern.
In eine ähnliche Richtung zielt der Begriff "Active Citizenship". Die "Aktivbürgerschaft" umfasst neben der rechtlichen Ebene des deutschen Begriffs "Bürgerschaft" auch die zivilgesellschaftlichen Aspekte des englischen "citizenship", die eher im sozialen Miteinander liegen.
Die EU hat Active Citizenship zum wichtigsten Ziel europäischer Bildungspolitik neben Employability erklärt, und es ist auch ein besonderer Förderschwerpunkt des EU-Programms JUGEND IN AKTION. Gleichzeitig herrscht große Unklarheit darüber, was der Begriff konkret meint und was er für die internationale Jugendarbeit bedeutet.
Genau damit haben jetzt sich rund 30 Teilnehmer der Tagung "Active Citizenship – Zukünftiges Paradigma für die Internationale Jugendarbeit?" in der Akademie Haus am Maiberg in Heppenheim beschäftigt. Die Zeit war mit zwei halben Tagen recht knapp, dennoch diskutierten die Praktiker der internationalen Jugendarbeit zum Teil sehr kontrovers verschiedene Sichtweisen. Insbesondere die Fragen, was zum Beispiel die Teilnahme an einer internationalen Jugendbegegnung bei den Jugendlichen bewirken kann, ob daraus politisches Engagement erwachsen sollte und was darunter wiederum zu verstehen ist, kamen immer wieder auf.
Politische Dimension der internationalen Jugendarbeit stärken
Das Verständnis von Active Citizenship als politische Dimension der internationalen Jugendarbeit – im Vergleich zur persönlich-individuellen Erfahrungsebene – hatte Erziehungswissenschaftler Andreas Thimmel von der Fachhochschule Köln in die Debatte eingebracht. Denn die Tagung stand im Zusammenhang mit einem Projekt aus dem Forscher-Praktiker-Dialog für Internationale Jugendarbeit (FPD), das zum Ziel hat, internationale Jugendarbeit stärker an Themen der politischen Bildung zu orientieren.
Da der Begriff der politischen Bildung im Ausland jedoch häufig mit Indoktrination verbunden und dadurch negativ belegt ist, greift das Projekt auf das international eingeführte Konzept Active Citizenship zurück.
Die Frage, ob sich Active Citizenship dafür eignet, die politische Dimension in der internationalen Jugendarbeit stärker in den Vordergrund zu stellen, konnte in der kurzen Zeit nicht abschließend geklärt werden. Viele Teilnehmer wollten die persönlichen Effekte internationaler Jugendarbeit auf Jugendliche nicht von möglichen politischen getrennt sehen.
Eine Definition, wann das Engagement in einer Jugendinitiative zur politischen Beteiligung wird, fällt schwer und ist nicht unbedingt erwünscht. Barbara Krämer vom deutsch-israelischen Jugendaustausch etwa sagte, die Teilnahme an einem ihrer Projekte sei schon per se politisch. Häufig setzten sich die Teilnehmer nach ihrer Rückkehr aktiv gegen Rassismus und Antisemitismus ein.
Doch diese Linie lässt sich nicht überall ziehen, zumal junge Menschen heute häufig ganz andere Beteiligungsformen bevorzugen als die, die herkömmlich als politische Partizipation gelten. Twitter und Facebook sind Kanäle, die Jugendliche weltweit auch durchaus für politische Zwecke nutzen, was nicht zuletzt die aktuellen Krisen in Nordafrika zeigen.
In etablierten Strukturen fehlten Jugendlichen dagegen häufig echte Gestaltungsspielräume, meinte Andreas Karsten vom Verein Demokratie & Dialog in Berlin, der von einem Projekt mit Nichtwählern aus zehn verschiedenen Ländern berichtete. Birgit Weidemann vom Bildungsverein HochDrei in Potsdam warnte vor einer Scheinbeteiligung etwa von Jugendparlamenten, weil Politiker häufig keine echt Macht abgeben wollten.
Förderpraxis von JUGEND für Europa
Nichtsdestotrotz muss zumindest in der Förderpraxis von JUGEND für Europa derzeit glaubhaft dargelegt werden, dass angestrebte politische Implikationen einer Jugendbegegnung oder gar von Jugenddemokratieprojekten auch entsprechend angeleitet und reflektiert werden. Active Citizenship muss nicht explizit das Thema eines Projektes sein, es kann aber auch nicht als automatisch abfallendes Nebenprodukt vorausgesetzt werden, betonte Programmvertreterin Ingrid Müller. Sie verwies gleichzeitig auf die aktuelle Debatte um die neue Programmgeneration ab 2014, aus der Active Citizenship zu verschwinden droht. Es bestehe die Gefahr, dass dieser Schwerpunkt zugunsten von wachstumsorientierten Themen wie Beschäftigung aufgegeben werde.
An dieser Stelle erscheint es lohnenswert, die Methoden der internationalen Jugendarbeit noch einmal genauer auf ihre spezifische Eignung abzuklopfen, politisches Bewusstsein und Lust auf politische Teilhabe zu fördern. Viele Aspekte von Active Citizenship scheinen in der Praxis der internationalen Jugendarbeit schon lange eine Rolle zu spielen, ohne dass sie theoretisch erfasst sind und sichtbar gemacht werden. Oder wie es Haus-am-Maiberg-Chef Benedikt Widmaier formulierte: "Eigentlich fängt die Diskussion jetzt erst an."
(Nina Voigt)
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Das EU-Programm JUGEND IN AKTION will die aktive Bürgerschaft junger Menschen (insbesondere ihre europäische Bürgerschaft) fördern. Laut Studien berichten 62 % der teilnehmenden Jugendlichen, dass sie sich seit ihrer Programmteilnahme verstärkt gesellschaftlich oder politisch engagieren.
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