21.12.2009
Partnerkontaktseminar "Neue Perspektiven" - Der Auftakt eines langen Prozesses
20 Mitarbeiter aus sieben europäischen Ländern folgten dem Aufruf zur Beteiligung am Partnerkontaktseminar. Alle Teilnehmer arbeiten in ihren Einrichtungen mit benachteiligten Jugendlichen. Sie hatten vier Tage lang die Gelegenheit, sich über die Details des Projektes zu informieren, ihre Erfahrungen auszutauschen und Ideen für gemeinsame Maßnahmen zu entwickeln.
Die Einbindung benachteiligter Jugendlicher ist eine Priorität des EU-Programms JUGEND IN AKTION. "Jugendliche in einen Prozess zu integrieren, von dem sie bislang weitgehend ausgeschlossen waren, ist ein ambitioniertes Anliegen", so die einhellige Meinung der Teilnehmer des Kontaktseminars. Doch wie dies angehen?
Die Zielgruppe
Eine der Eingangsfragen lautete: "Wer zählt zu unserer Zielgruppe?" Da die Besucher des Seminars über vielfältige Erfahrungen in der Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen verfügen, fiel die Antwort entsprechend umfangreich aus. Mehrere Teilnehmer begleiten junge Erwachsene in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder setzen sich für Minderheiten ein, andere kümmern sich um Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder arbeiten in städtischen Jugendclubs mit Jugendlichen aus sozial problematischen Vierteln.
Trotz der unterschiedlichen Aufgaben gibt es zahlreiche Parallelen: Die betreuten Jugendlichen haben in der Regel nur geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt, vielen mangelt es an einer adäquaten Ausbildung sowie sozialen Kompetenzen, und ein großer Teil besitzt keinen Schulabschluss.
Die Vorteile erkennen
"Inclusion" war eines der Worte, das im Laufe des Treffens besonders häufig fiel. Es umschreibt das übergeordnete Ziel aller Aktivitäten: Benachteiligte Jugendliche sollen durch einen Aufenthalt im Ausland lernen, ihr Leben selbständiger zu gestalten und sich besser zu integrieren. Das Programm will dazu beitragen, die Eigeninitiative der Jugendlichen zu fördern, ihr Selbstbewusstsein zu stärken, ihre Offenheit zu wecken, Vorurteile abzubauen, Kompetenzen zu entdecken und dadurch neue Perspektiven zu finden.
Die Teilnehmer waren sich aber durchaus darüber bewusst, dass auf diesem Weg zahlreiche Schwierigkeiten lauern. In einem ersten Schritt muss es darum gehen, die Jugendlichen überhaupt zu erreichen. Nicht alle befinden sich in einer Ausbildung oder in Maßnahmen der Berufsförderung, nur ein geringer Teil ist in Jugendverbänden integriert. Viele – darüber gab es keine Zweifel – werden gegenwärtig nicht erreicht. "Wir werden künftig häufiger dahin gehen müssen, wo die betreffenden Jugendlichen leben, in die Viertel oder auf die Straße", meinte Ka Papa Khalil von der französischen Organisation "Eurocircle".
Motivation wecken und die Hindernisse überwinden
Sobald die entsprechenden Jugendlichen gefunden sind, gilt es, diese für einen Aufenthalt im Ausland zu gewinnen. Nicht jeder 18-Jährige zeigt sich spontan begeistert, das Land oder die Stadt, in der er lebt, zu verlassen. Für viele ist dieser Schritt ein Quantensprung. Ängste spielen eine große Rolle.
Daher ist es sehr wichtig, die Jugendlichen sorgfältig auf ihren Auslandsaufenthalt vorzubereiten. Das Sprachproblem wurde neben dem Fehlen bestimmter Sozialkompetenzen als zentrales Hindernis angesehen. Auch die Auswahl der Einsatzstellen und vor allem die Betreuung vor Ort spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Konkrete Projekte
Das zentrale Anliegen des Seminars war die Partnersuche. Die überschaubare Zahl der Besucher erleichterte dabei das gezielte Aufeinanderzugehen. Nachdem geklärt war, wer als Aufnahme- oder Entsendeorganisation infrage kommt, berieten sich die potenziellen Partner und diskutierten künftige Kooperationen. Aus vielen Ideen entstanden konkrete Projekte und Austauschprogramme. Es wurden Besuche vereinbart, Zeittafeln aufgestellt und weitere Schritte beschlossen.
"Ich bin mit ganz festen Vorstellungen nach Bonn gekommen. Dass sich alles wirklich so schnell realisieren lässt, hat mich dann doch überrascht", sagte Kerstin Wagner von der gKJHG (gemeinnützige Kinder- und Jugendhilfegesellschaft) "Roter Baum" mbh in Dresden. Sie suchte eine Aufnahmemöglichkeit für eine 23-Jährige, die als geringfügig Beschäftigte von ihrer Gesellschaft betreut wird. Diese Gelegenheit bietet sich der jungen Frau künftig bei "Semper Avanti", einer Organisation aus Polen, die auf viel Erfahrung im internationalen Jugendaustausch verweisen kann. Der Antrag soll bis Ende Januar gestellt sein, so dass die junge Deutsche im kommenden Mai und Juni zwei Monate in Polen verbringen kann. Die Vorbereitung auf die Zeit im Ausland wird für sie schon in wenigen Wochen mit dem Englisch-Unterricht beginnen.
Jugendaustausch als Vorbereitung auf den Europäischen Freiwilligendienst
Magnus Ekblad aus dem schwedischen Götene arbeitet im "Kunskapscenter", einer kommunalen Einrichtung, die sich um die Bildung benachteiligter junger Erwachsener kümmert. Die Mehrheit der 18- bis 30-Jährigen hat keinen Schulabschluss, einige sind in der Vergangenheit straffällig geworden. Magnus kooperiert mit Ulrike Baumann vom "Club Aktiv" in Trier. Die Einrichtung engagiert sich auf dem Bildungssektor und bietet Projekte für Menschen aller Altersgruppen in den Bereichen Berufsorientierung, Berufsvorbereitung, Arbeitsmarktintegration sowie Aus- und Weiterbildung an. Beide planen einen einwöchigen Austausch, an dem jeweils acht schwedische und deutsche junge Erwachsene teilnehmen sollen.
Zur Vorbereitung fährt Ulrike Baumann bereits in diesem Monat nach Schweden. Magnus Ekblad wird im Januar in Trier sein. Der gegenseitige Austausch soll im Sommer 2010 stattfinden. "Für viele meiner Klienten wird der Besuch in Trier die erste Auslandserfahrung in ihrem Leben sein. Es wird zunächst ein vorsichtiges Herantasten. Hinterher können wir uns Gedanken machen, ob der eine oder andere Besucher später für einen längeren Aufenthalt im Ausland infrage kommt", erklärt er.
Vorfahrt für kurzfristige Projekte
Im Rahmen eines bilateralen Short-Term-Projekts planen Lorraine Lockyer und Gauthier Bas einen sechswöchigen Musik-Workshop. Lorraine aus dem englischen Malvern vertritt "EIL Cultural Learning". Sie engagiert sich vornehmlich im kulturellen Austausch. Gauthier ist für "ADICE" (Association pour le Développement des Initiative Citoyenne et Européennes) aus Frankreich nach Bonn gekommen.
Die polnische Vereinigung "Semper Avanti", die über sehr viel Erfahrung mit der Aufnahme von europäischen Freiwilligen verfügt, will ebenfalls mit der französischen Organisation "ADICE" kooperieren. Die Repräsentanten Hanna Darafeichyk aus Warschau und Gauthier Bas vereinbarten ein Short-Term-Projekt, an dem vier französische Freiwillige teilnehmen. Sie werden zwei Monate Menschen mit Behinderungen betreuen.
Ka Papa Khalil resümierte: "Wir sind davon überzeugt, dass für die Jugendlichen zunächst eine kürzere Auslandserfahrung wichtig ist. So können sie angeregt werden, später einen längeren Aufenthalt im Ausland anzustreben." Kurzfristige Projekte oder ein mehrwöchiger Jugendaustausch scheint vielen Experten zunächst das probatere Mittel zu sein. Für viele der künftigen Teilnehmer aus der entsprechenden Zielgruppe könnten diese Projekte dann die Chance auf einen späteren längeren, möglicherweise einjährigen Aufenthalt im europäischen Ausland sein.
Multinationale Seminare
Die luxemburgische Einrichtung "Service National de la Jeunesse" lädt im kommenden Februar oder März zu einem Seminar nach Luxemburg ein. Dabei geht es um die Vorstellung und Planung verschiedener Short-Term-Projekte für benachteiligte Jugendliche. An diesem Seminar wollen Vertreter der deutschen Organisationen "Hephata", des "CJD Zehnthof Essen" und der "BAG Katholische Jugendsozialarbeit" sowie die französischen Organisationen "Eurocircle" und "ADICE" teilnehmen.
Ein weiteres Seminar wird von "Eurocircle" in Marseille für August 2010 geplant. Darüber hinaus wurden noch viele weitere bilaterale und mulilaterale Kontakte geknüpft. Die Netzwerke für die Arbeit mit benachteiligten Jugendlichen sind durch das Seminar enger geworden. Trotz aller Freude über viele Hinweise auf konkrete Projekte mahnten einige Teilnehmer allerdings auch zur Nüchternheit.
Michael Bielecki vom "CJD Zehnthof Essen" bemerkte stellvertretend für viele seiner Kollegen: "Natürlich ist es wichtig, neue Perspektiven zu suchen, um Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf voran zu bringen, doch wir dürfen diesen Weg nicht nur um des Programms willen gehen. Wir müssen ihn als Chance sehen, die wir ebenso entschlossen wie kritisch begleiten."
(Michael Sachse)
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