17.04.2009

Europäische Bürgerschaft - "Immer noch alles viel zu abstrakt"

Der Begriff der Europäischen Bürgerschaft ist in aller Munde. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter dem Aufruf zu mehr aktiver Beteiligung der EU-Bürger? Darüber sprach Marco Heuer auf dem "Fachforum Europa" mit Dr. Barbara Tham, Referentin bei der Forschungsgruppe Jugend und Europa, am Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) in München.

Frau Tham, was ist eigentlich Europäische Bürgerschaft und wozu brauchen wir sie?

Eine aktive Europäische Bürgerschaft wird vor allem von der Europäischen Union gefordert und gefördert. Ziel ist es, dass sich alle Bürger an der Gestaltung und Umsetzung europäischer Politik beteiligen. Im EU-Jargon heißt das dann: Die Menschen in Europa sollen sich als solidarische, verantwortungsvolle, aktive und tolerante Bürger in pluralistischen Gesellschaften behaupten können. Die EU demokratischer und bürgernäher zu gestalten – das ist das Ziel Europäischer Bürgerschaft. Denn eins muss uns klar sein: Ohne die aktive Beteiligung der Bürger verliert die EU-Politik die notwendige Unterstützung an der Basis und damit auch die Legitimation für zukünftige Herausforderungen.

Was ist 2009 in Bezug auf die Europäische Bürgerschaft zu erwarten?

Wir müssen ehrlich sein. Gegenwärtig ist die aktive Europäische Bürgerschaft noch sehr abstrakt. Vom Alltag und der Lebenserfahrung der Menschen ist sie weit entfernt. Noch immer sind zu viele Bürger zu wenig über europäische Politik informiert. Sie wissen oft auch nicht, wo und wie sie mitwirken können. Hinzu kommen die fehlenden Angebote vor Ort.

Die Distanz der Bevölkerung zur EU zeigt sich unter anderem in der geringen Wahlbeteiligung. Seit den ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament ist die Wahlbeteiligung kontinuierlich gesunken. Bei den letzten Wahlen 2004 lag sie knapp unter 50 Prozent bei der EU-Bevölkerung – bei den Jung- und Erstwählern sogar nur bei 33 Prozent. Für die Wahlen zum Europäischen Parlament in diesem Jahr lautet die Botschaft daher: mehr Sensibilisierung, mehr Mobilisierung. Die Bedeutung europäischer Politik muss besser vermittelt werden.

Wie kann Europäische Bürgerschaft überhaupt gelehrt werden?

Zunächst einmal fehlen grundlegende Informationen über den Aufbau und die Funktionsweise der EU. Diese gilt es aber nicht einfach nur zu „lehren“, sie müssen vielmehr von den Menschen auch erfahren und erlebt werden. Der persönliche Bezug zu europäischen Themen ist wichtig, Anknüpfungspunkte zu eigenen Interessen können helfen.

Politik und Bürger müssen wieder näher zusammengebracht werden. Die politischen Entscheidungsträger sollten sich dabei der vorhandenen Ressourcen der Bevölkerung stärker bewusst sein. Dann würde es auch leichter gelingen, die Bürger in gesellschaftliche und politische Prozesse mit einzubinden. Unverbindliche Willenserklärungen seitens der Politik reichen jedenfalls nicht aus. Für eine aktive Bürgergesellschaft bedarf es verbindlicher Regeln.

Bei der Zielgruppe der Jugendlichen hat die Forschungsgruppe Jugend und Europa gute Erfahrungen mit dem Ansatz des „Peerlearning“ gewonnen. Junge Menschen setzen sich mit jungen Menschen über die EU auseinander, lernen dabei aktionsorientierte Methoden kennen und erarbeiten sich ein eigenes Europabild. Wichtig dabei: Es geht nicht um eine passive Wissensvermittlung, sondern um eine aktivierende Herangehensweise an das Thema.

Wo schaue ich am besten nach, wenn ich mich über Europäische Bürgerschaft informieren möchte?

Die Europäische Union führt eine Reihe von Befragungen und Anhörungen zu aktuellen Themen der Europapolitik durch. Interessierte Bürger können sich hieran beteiligen und ihre Meinungen zum Ausdruck bringen. Nähere Informationen gibt es unter http://europa.eu/debateeurope/index_de.htm

Die Europäischen Bürgerkonferenzen 2009 bieten zufällig ausgewählten Bürgern der EU die Gelegenheit, untereinander und mit politischen Entscheidungsträgern über aktuelle Themen europäischer Politik zu diskutieren. Siehe hierzu http://www.europaeische-buergerkonferenzen.eu/de

Das EU-Programm "Europa für Bürgerinnen und Bürger" will neue Impulse zur Förderung einer aktiven Europäischen Bürgerschaft setzen. Informationen zum Programm gibt es unter http://ec.europa.eu/citizenship/index_de.htm. In Deutschland gibt die Kontaktstelle auf folgender Homepage Informationen bekannt: http://www.kontaktstelle-efbb.de

Die Forschungsgruppe Jugend und Europa am Centrum für angewandte Politikforschung beschäftigt sich mit europäischer Bildungs- und Jugendpolitik. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt dabei auf dem Thema der Jugendpartizipation in Europa und der Entwicklung der Europäischen Bürgergesellschaft. Ein weiterführender Artikel zum Thema findet sich unter http://www.cap-lmu.de/publikationen/2007/cap-analyse-2007-09.php

 

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