07.06.2011
Seminar: Interkulturelles Lernen auf dem Prüfstand
Kulturelle Vielfalt ist Teil unserer Gesellschaft, und doch lautet ein politischer Vorwurf regelmäßig: Multikulturalismus sei als Konzept gescheitert. Will man diesem Vorwurf entgegentreten, kommt dem interkulturellen Lernen eine große Bedeutung zu – gerade in der internationalen Jugendarbeit.
Doch interkulturelles Lernen ist manchmal nur gut gemeint, nicht aber gut gemacht. In Bonn diskutierten Experten aus 15 Ländern über notwendige Veränderungen für ein altes Konzept in der europäischen Jugendarbeit.
"Intercultural Learning is a monster." So leitete der irische Medienwissenschaftler Gavan Titley ein zweitägiges Seminar mit rund 30 Experten der internationalen Jugendarbeit aus 15 Ländern ein, die in Bonn über die Zukunft des interkulturellen Lernens diskutierten.
Die Frage "Intercultural learning in European youth work – time to rethink?" im Titel des Seminars war eher rhetorischer Art, wie schnell deutlich wurde. Denn das Monster ist zwar ein freundliches, betonte Gavan Titley. Doch es ist zu dick geworden und außer Kontrolle geraten.
"Das Konzept des interkulturellen Lernens wurde total überladen, es sollte die Lösung für alles sein", bestätigte Mark Taylor aus Straßburg. "Alle nehmen sich Übungen aus dem T-Kit zum interkulturellen Lernen, aber oft ist gar nicht klar, mit welchem Ziel genau", sagte Michael Strowik aus Frankfurt. Gleichzeitig verbreitet sich auf politischer Ebene in Europa die Auffassung, Multikulturalismus sei als Konzept gescheitert.
Inhalte vor Methoden
Grund genug also, die Rolle des interkulturellen Lernens in der europäischen Jugendarbeit zu überdenken. Der Europarat und die Europäische Kommission befördern diesen Prozess seit einiger Zeit vor dem Hintergrund einer wachsenden EU mit immer mehr Mitgliedsstaaten und zunehmender kultureller Vielfalt innerhalb der Gesellschaft.
In der Vergangenheit sei zu stark auf die Methoden des interkulturellen Lernens und zu wenig auf Inhalte geachtet worden, sagte Hendrik Otten, Leiter des Instituts für angewandte Kommunikationsforschung in der Außerschulischen Bildung (IKAB). Diese Inhalte könnten zum Beispiel Werte wie Menschenrechte sein, um zu verdeutlichen, dass gewaltfreier, respektvoller Umgang miteinander nicht bloß auf gutem Willen oder Nettigkeit basiert, schlug Antonia Siamptani aus Zypern vor.
Diversity in der multikulturellen Gesellschaft
Damit einher geht auch die mehrfach geäußerte Feststellung, bisher zu stark auf Kultur fixiert gewesen zu sein und damit politische und historische Inhalte vernachlässigt zu haben. Der diversitätsbewusste Ansatz, der sich in der internationalen Jugendarbeit langsam durchsetzt, versucht diese Fixierung auf Kultur aufzulösen, beziehungsweise Kultur als einen dynamischen Prozess zu begreifen.
Viele Teilnehmer warnten beim Schlagwort diversity davor, einfach nur die Unterschiedlichkeit zu feiern, ohne Konflikte und Probleme abzubilden. Richtig verstandene diversitätsbewusste Jugendarbeit beinhaltet jedoch auch die Wahrnehmung gesellschaftlicher Machtstrukturen und thematisiert Vorurteile, Zuschreibungen und Diskriminierung.
Dabei setzt sie auf empowerment, das heißt auf die Förderung der Stärken und Ressourcen der Jugendlichen – ein Begriff, den auch Els van Mourik in ihrem Vortrag nannte. Sie berichtete den Seminarteilnehmern von ihrer lokalen Arbeit mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Amsterdam, in der es stark um Identitätsfindung und Zugehörigkeitsgefühl geht. Angesichts der Situation dieser häufig benachteiligten Jugendlichen verschwimmen die Grenzen zwischen Sozialarbeit und Jugendarbeit, und es stellt sich die Frage, wie interkulturelles Lernen hier ausgestaltet sein muss, um positive Effekte auf die Jugendlichen zu ermöglichen.
Professionalisierung erwünscht
Zum einen sollte sich die politische Dimension in der Praxis des interkulturellen Lernens stärker wiederfinden, um (noch wirkungsvoller als bisher) Rassismus, Vorurteilen und Intoleranz entgegenzuwirken. Zum anderen ist eine Professionalisierung des interkulturellen Lernens notwendig. Darin stimmten die Teilnehmer weitgehend überein, trotz sehr unterschiedlicher Situation der Trainer und Jugendarbeiter in den verschiedenen Ländern von Albanien bis Zypern.
Die Ausbildung von Jugendarbeitern muss verbessert, Konzepte müssen weiterentwickelt, Ergebnisse zertifiziert werden. In der Kleingruppenarbeit am zweiten Seminartag sammelten die Teilnehmer bereits Ideen zur Konkretisierung und Veränderung der Methoden in den T-Kits und diskutierten Qualitätskriterien für interkulturelles Lernen in der internationalen Jugendarbeit.
Interkulturelles Lernen ist lebenslanges Lernen
Konsens bestand auch darüber, dass interkulturelles Lernen ein Langzeitprozess ist, weshalb sich vor allem Langzeitformate wie der Europäische Freiwilligendienst dafür eignen, interkulturelle Kompetenz zu entwickeln. Bei kürzeren Formaten wie Jugendbegegnungen ist die Nachhaltigkeit zu gewährleisten, was ebenfalls speziell ausgebildeter Jugendarbeiter bedarf. Der bloße Kontakt mit Jugendlichen aus einem anderen Land führt ohne Anleitung nicht notwendigerweise zu interkulturellem Dialog.
Viele mahnten zudem an, dass interkulturelles Lernen in alle Bereiche des täglichen Lebens hineinreicht – nicht nur im Jugendalter, sondern auch darüber hinaus – und deshalb auch für die formale Bildung ein Thema sein sollte. Christof Kriege, Programmreferent bei JUGEND für Europa, schlug zum Abschluss des Seminars vor, diese Ansätze im nächsten Schritt auch mit den strukturellen Vorgaben der Europäischen Jugendstrategie und der EU-Leitinitiative "Youth on the move" in Verbindung zu bringen.
(Text und Foto: Nina Voigt)
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Das Seminar war eine Kooperation zwischen JUGEND für Europa und IKAB e.V. – Institut für angewandte Kommunikationsforschung in der Außerschulischen Bildung.
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Das T-Kit zum Interkulturellen Lernen können Sie in unserem Publikationsbereich herunterladen.
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