28.06.2011

Interview: "Man lernt hier in einem Jahr mehr, als man in der Schule lernt."

Interview mit Dr. Barabara Tham zur aktuellen Evaluation von JUGEND IN AKTION in Deutschland.

Barbara Tham arbeitet bei der Forschungsgruppe Jugend und Europa am Centrum für angewandte Politikforschung, München, und ist Mitglied des Nationalen Beirats des BMFSFJ zum EU-Programm JUGEND IN AKTION. Sie führte - gemeinsam mit Dr. Hendrik Otten, IKAB - die Untersuchung "Unter der Lupe" durch, die JUGEND IN AKTION in Deutschland analysiert.

JfE: Frau Dr. Tham, in Ihrem Bericht zitieren Sie einen Jugendlichen, der sagt: "Man lernt hier in einem Jahr mehr, als was man in der Schule lernt.“ Was lernt er denn?

Tham: Fremdsprachenkenntnisse, interkulturelles Verständnis, Kreativität und Selbständigkeit, Teamfähigkeit, soziale Kompetenzen und bürgerschaftliches Engagement, Kommunikationsfähigkeit oder Medienkompetenz: Aus unserer Fragebogenerhebung und den Interviews geht deutlich hervor, dass durch die Teilnahme an Projekten von JUGEND IN AKTION die Kompetenzen Jugendlicher gefördert werden.

52 % der Befragten geben an, dass sie jetzt besser mit unbekannten Situationen umgehen können, 47 % haben mehr über sich selbst erfahren und 46 % sind selbstsicherer geworden.

JfE: Warum lernt er denn mehr als in der Schule?

Tham: Die große Stärke des Programms liegt in der Ermöglichung nicht-formaler Lernerfahrungen. Dies war schon eine Grundaussage der Untersuchung 2009 und konnte in der Evaluierung 2010 erneut bestätigt werden.

Besonders in den Interviews kommt deutlich zum Ausdruck, dass die Jugendlichen die Freiräume schätzen, die sie selbst gestalten können, das selbstbestimmte und eigenverantwortliche Lernen und vor allem den Praxisbezug und den Austausch mit Peers. Die Jugendlichen stehen selbst im Mittelpunkt der Maßnahmen, sie können diese maßgeblich mit gestalten und werden als Akteure ernst genommen. Diese Erfahrung haben viele Jugendliche vorher nicht gemacht.

JfE: Es wird ja verstärkt nach der "Nachhaltigkeit" von solchen Maßnahmen gefragt. Gibt es die?

Tham: Da gilt auch das, was ich eben sagte. Bei den Lernerfahrungen der Jugendlichen geht es zunächst nicht um "richtig" oder "falsch", sondern darum, mitzumachen und mitzugestalten. Damit steigt das Interesse, sich mit Inhalten auseinander zu setzen und auch die Bereitschaft, über das eigentliche Projekt hinaus, aktiv zu bleiben und sich fortzubilden.

84,5 % der befragten Jugendlichen geben an, dass sie nun aktiv ihrer Aus- und Weiterbildung nachgehen wollen und 82,5 % wollen nun ernsthaft ihre Fremdsprachenkenntnisse verbessern. Bei 80,3 % der Jugendlichen hat die Projektteilnahme zu einer Steigerung ihrer Mobilitätsbereitschaft geführt. Immerhin noch 68,5 % der Jugendlichen sind der Meinung, dass sich ihre Beschäftigungsmöglichkeiten verbessert haben und 59,5 % haben eine klarere Vorstellung von ihrer angestrebten beruflichen Laufbahn.

JfE: Gibt es Unterschiede je nach Aktion?

Tham: Ja, natürlich. Anknüpfungspunkte, die die zukünftige Lebensplanung betreffen, sehen vor allem die Europäischen Freiwilligen. Infolge ihrer längeren Auslandsaufenthalten konnten sie intensivere und weiter gehende Erfahrungen gewinnen, die sich nachhaltig auswirken.

Und bei den Jugendinitiativen und Jugenddemokratieprojekten geben überdurchschnittlich viel Teilnehmende an, dass sie sich nunmehr verstärkt gesellschaftlich oder politisch engagieren wollen. Von Politikverdrossenheit kann da nicht mehr die Rede sein.

JfE: Lernen sie denn auch etwas zum Thema "Europa"?

Tham: Europa ist inzwischen das Topthema in allen Aktionen. Das deutete sich in der Evaluation von 2009 schon an, aber jetzt wurde es bestätigt. Wenn Jugendliche gefragt werden, zu welchem Thema sie etwas Neues in den Projekten gelernt haben, wird Europa an erster Stelle genannt. Sie sagen mehrheitlich auch, dass sie sich nun in einem größeren Ausmaß für europäische Themen interessieren.

Allerdings fällt die Wahrnehmung Europas und der EU dabei sehr unterschiedlich aus. Sie erstreckt sich vom überzeugten Pro-Europäer über den kritisch Distanzierten bis hin zu deutlich ablehnenden Positionen. Für 69 % der Jugendlichen hat sich ihr Bild von der EU durch die Projektteilnahme nicht verändert, für immerhin 27 % hat sich dieses verbessert.

JfE: Das scheint aber kein tolles Ergebnis zu sein?

Tham: Das wäre die falsche Schlussfolgerung! Dass sich die Einschätzung der EU bei vielen nicht verändert hat, kann mehrere Gründe haben. Was wir vor allem in den Interviews erfahren konnten ist, dass das Bild von Europa konkreter, differenzierter geworden ist, das Europabewusstsein geschärft wurde.

Für viele Jugendliche waren Europa oder die EU vor ihrer Projektteilnahme eher eine theoretische Angelegenheit, weit weg von ihrem Alltag. Was Europa für sie persönlich bedeutet, haben viele Jugendliche erst in den unterschiedlichen Projektkontexten bewusster erfahren; sie haben ihr Verständnis vertiefen können. Sie haben eine Neugierde auf Europa entwickelt und beschäftigen sich nun mehr damit.

Beispielweise erzählten viele, dass sie nun die Nachrichten anders wahrnehmen oder sich intensiv über ein Land informieren. Sie müssen ja nicht mit den politischen Entscheidungen einverstanden sein. Es geht doch nicht darum, den "Jubeleuropäer" zu schaffen.

JfE: Sie evaluieren JUGEND IN AKTION nun schon zum dritten Mal. Sehen Sie eine Entwicklung in den Erfahrungen und der Einschätzung der Jugendlichen?

Tham: Viele Ergebnisse und Trends der Vorjahresuntersuchung haben sich in der Evaluierung 2010 bestätigt. Die Teilnahme wird als insgesamt bereichernd eingestuft, die Teilnehmenden fühlen sich gut integriert, konnten ihre Ideen und Vorstellungen in die Projekte einbringen und würden anderen empfehlen, an einem ähnlichen Projekt teilzunehmen. Die Zustimmung liegt hier zwischen 90 und 100 %!

Dass die ambitionierten Ziele des Programms erreicht werden, zeigt sich für die Förderung europäischen Bewusstseins und einer aktiven europäischen Bürgerschaft. Während noch im Vorläuferprogramm JUGEND Defizite bei der Vermittlung beziehungsweise der Beschäftigung mit Europa deutlich wurden, kommt Europa nun bei den Jugendlichen an.

JfE: Vielen Dank für das Interview!

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