28.06.2011

"JIA-Projekte werden als Öffnung, Erweiterung und Bereicherung gewertet."

Interview mit Dr. Hendrik Otten, Direktor des Instituts für angewandte Kommunikationsforschung in der Außerschulischen Bildung, IKAB - Bildungswerk e.V.,und Mitglied des Nationalen Beirats von JUGEND IN AKTION.

Hendrik Otten führte - gemeinsam mit Barbara Tham, CAP - die wissenschaftliche Begleituntersuchung zu JUGEND IN AKTION, "Unter der Lupe", durch.

JfE: Herr Dr. Otten, Sie sind schon seit dem ersten Jugendprogramm Ende der 80er Jahre an verschiedenen Evaluationen auf europäischer wie nationaler Ebene beteiligt. Seit 2009 betrachten Sie JUGEND IN AKTION "Unter der Lupe".

Otten: Der große Vorteil, den "Unter der Lupe" gegenüber den bisherigen Evaluationen bietet, liegt in der Systematik und Regelmäßigkeit der Untersuchungen. Damit erhalten die Ergebnisse eine größere Aussagekraft.

Gibt es auffällige Entwicklungen über die Jahre?

Die größte Veränderung liegt in der heute eindeutig sichtbaren "Politisierung" des Programms. Die jugend- und stärker noch bildungspolitischen Intentionen der Europäischen Kommission bestimmen das Programm.

Die ursprünglich mit dem Jugendprogramm verbundenen Motivationen der damals beteiligten Mitgliedstaaten zielten vor allem auf Austausch und Begegnung von Jugendlichen und Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern, auf die Förderung und Qualifizierung interkultureller Lernprozesse in multilateralen Projekten. Das spielt heute nur noch indirekt eine Rolle.

"Unter der Lupe" zeigt, dass diese Politisierung auch bei den Trägern in Deutschland angekommen ist, sie diese auch prinzipiell für richtig halten, damit JUGEND IN AKTION keine isolierte pädagogische Spielwiese wird. Allerdings ist für die große Mehrheit der Träger das Programm ein Mittel für die Entwicklung personaler, sozialer und interkultureller Kompetenzen durch positive neue Lernerfahrungen in einem nicht-formalen Setting.

Die sind eine notwendige Voraussetzung für eine aktive Bürgerschaft, durchaus auch in einer europäischen Perspektive. Entsprechend vielfältig sind die Projektthemen, die die Träger ohne Mühe den generellen Zielsetzungen und jeweiligen Prioritäten von JUGEND IN AKTION zuordnen können.   

Seit langem wird diskutiert, wie und ob man so genannte "benachteiligte" Jugendliche mit dem Programm erreicht. Welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten sehen die Träger?

Diese Diskussion ist so alt wie das erste Jugendprogramm. Als z.B. Portugal und Spanien sich am Programm beteiligten, galten mehr oder weniger alle Jugendlichen aus diesen Ländern als benachteiligt. Mittlerweile haben wir zwar einen EU-Katalog von Definitionen, was alles unter Benachteiligung verstanden werden kann, aber ich halte diesen für wenig hilfreich.

Er sagt weiterhin nicht eindeutig, in welchen Fällen von Benachteiligung erhöhter Förderbedarf vorliegt und besondere pädagogische Zugangs- und Begleitmaßnahmen erforderlich sind. Die Träger, vor allem jene, die auch in ihrer alltäglichen Jugend- und Bildungsarbeit mit Benachteiligten zu tun haben, wissen dies jedoch sehr genau. Sie machen entsprechend der Art der Benachteiligung differenziert von den verschiedenen Fördermöglichkeiten Gebrauch.

Deshalb kann kaum statistisch korrekt erfasst werden, wie viele Jugendliche denn tatsächlich als benachteiligte zu zählen sind. Daraus resultieren auch unterschiedliche Prozentangaben im Bericht zu "Unter der Lupe".

Sind die Träger also mit der Förderung zufrieden?

Ziehen Sie jetzt nicht den Umkehrschluss, dass in JUGEND IN AKTION ausreichend finanzielle Mittel für Benachteiligte zur Verfügung stünden – im Gegenteil: Die Träger sehen nach wie vor in erster Linie ökonomische und soziale Gründe, die eine Teilnahme an JUGEND IN AKTION gegenüber Nicht-Benachteiligten erschweren oder verhindern. Es folgen Gründe, die im Erziehungs- und Bildungsumfeld der Jugendlichen liegen.

Hier ist eindeutig erhöhter Förderbedarf gegeben, der vor allem auch die besonderen (sozial-)pädagogischen Unterstützungs-, Vorbereitungs-, Begleit- und Nachbereitungsmaßnahmen berücksichtigen muss. Die jetzige Finanzausstattung des Programms reicht dazu eindeutig nicht aus.

Trifft dies auch auf Maßnahmen mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu?

Hier gilt das Gleiche: Wie können sie identifiziert werden? Welche Jugendliche mit Migrationshintergrund sind warum anders anzusprechen, welche Projektformate sind geeignet, was können spezifische Projekte sein, die sich ausschließlich an Jugendliche mit Migrationshintergrund richten?

Selbst wenn diese von Trägern begründet für sinnvoll gehalten werden, wollen die Jugendlichen selbst solche spezifischen Projekte? Im Übrigen ist das Profil vieler Jugendlicher mit Migrationshintergrund gleichzeitig auch durch die vorhin genannten Merkmale von Benachteiligung gekennzeichnet. Ich glaube, hier gibt es noch erheblichen Erkenntnisbedarf und Ihre Frage bringt mich auf die Idee, für die nächste Phase von "Unter der Lupe" einen entsprechenden qualitativen Schwerpunkt vorzuschlagen.

Welchen Mehrwert erfahren die Träger strukturell vom Programm?

Die Ergebnisse aus beiden "Unter der Lupe"-Studien rechtfertigen die Aussage, dass JUGEND IN AKTION auch im Hinblick auf die Trägerlandschaft Wirkungen zeigt. Projekte aus JUGEND IN AKTION werden als Öffnung, Erweiterung und Bereicherung der übrigen Arbeit gewertet, weil sie diese zum Teil auch inhaltlich und damit strukturell verändern.

Es gibt mehr Kontakte und Partnerschaften mit anderen Ländern, es entwickelt sich eine Wertschätzung kultureller Vielfalt, es gibt mehr internationale Projekte und eine intensivere Beschäftigung mit europäischen Themen.

Erfordert das nicht zusätzliche Anstrengungen?

Die Träger sehen durchaus, dass europäische und internationale Jugendarbeit zunehmend professionelles Arbeiten erfordern. Sie befinden sich aber in dem Dilemma, dass der Anteil hauptamtlichen Personals in diesen Projekten zurückgeht, weil keine Ressourcen mehr da sind und der Typ "überlastete(r) EinzelkämpferIn" wieder häufiger anzutreffen ist, der dann zunehmend auf Ehrenamtliche in der Projektdurchführung zurückgreifen muss.

Die alte Trägerforderung, dass qualifizierte europäische Jugendarbeit auch qualifiziertes professionelles Personal erfordert, gilt mehr als zuvor.

Gibt es denn keine Unterstützung durch das Umfeld?

Während die Fragebogenergebnisse nahe legen, dass z.B. JIA-Projekte vom lokalen Umfeld vermehrt als Bereicherung wahrgenommen werden, die Gemeinden sich stärker verpflichtet fühlen im Hinblick auf die Einbeziehung benachteiligter junger Menschen und das Interesse an ähnlichen Projekten in der Zukunft zugenommen hat, äußern sich die Träger in den Interviews eher skeptisch.

Sie bezweifeln dann die zukünftige finanzielle Unterstützung der Projekte durch das lokale Umfeld bzw. die Gemeinde, denn deren Leistungsfähigkeit nehme ab und Sparmaßnahmen seien bereits jetzt zu spüren.

Kann man dem entgegenwirken?

"Wirksamkeitszwang" ist da ein Stichwort, das in den Interviews behandelt worden ist. Dabei werden positive Wirkungen der JIA Projekte von den Trägern in keiner Weise in Frage gestellt. Sie werden auch durch alle Daten von Teilnehmenden wie Trägern kontinuierlich bestätigt. Träger beschäftigt eher die Frage, was von wem als Mehrwert im Kontext von Lernen angesehen wird.

In einem Interview wurde das in der Frage formuliert: "Wie viel Learning by doing wird noch möglich sein ohne Wirksamkeitszwang?" Damit soll nicht gesagt sein, dass Träger sich dem Nachweis entziehen, aber sie müssen offensiver werden und das Heft des Handelns in die Hand nehmen. Sie müssen selbst definieren und nachweisen, was sie warum als nachhaltige Wirkungen verstehen.

Der Youthpass wird als Nachweis nicht formalen Lernens mittlerweile durchweg von den Trägern als sinnvolles Instrument bewertet.

Was befürchten die Träger dann?

Politik hat zunehmend ein Glaubwürdigkeitsproblem. Einerseits verweist sie auf den Nutzen nicht formaler Bildung, andererseits betreibt sie zunehmend eine Einengung auf Bildungsziele, die eher im formalen System angesiedelt sind.

Mit der Forderung nach Validierung, die formalen Bildungsnachweisen gleichwertig sein soll, wird es nicht besser. Dass hier zunehmend Befürchtungen geäußert werden, die besonderen Chancen nicht formaler und informeller Bildung könnten dem Primat der unmittelbaren Verwertbarkeit im Ausbildungs- und Beschäftigungsbereich geopfert werden, ist leicht nachzuvollziehen.     

Wie zufrieden sind die Träger mit den administrativen Bedingungen?

Es ist kein Geheimnis, dass die Träger seit jeher stöhnen. Grundsätzlich werden der Umfang des Antrags - mit vielen redundanten Fragen - und die Struktur des Verfahrens kritisiert. Dieses ist für eine eigenständige Anwendung durch benachteiligte Jugendliche unbrauchbar. Größere Träger mit entsprechendem professionellem Personal haben deutlich weniger Probleme mit dem Verfahren als kleine Träger und Erstantragsteller.

Die Förderhöhe wird sehr unterschiedlich bewertet. Sie hängt von verfügbaren Kofinanzierungen und Trägereigenmitteln ab, die allerdings in der Tendenz weiter abnehmen. Dies alles wird aber nicht der Nationalagentur angekreidet. Deren Beratung und Unterstützung wird durchweg als kompetent und angemessen bewertet.    

Vielen Dank für das Gespräch!

Kommentare

    Bislang gibt es zu diesem Beitrag noch keine Kommentare.

    Kommentar hinzufügen

    Wenn Sie sich einloggen, können Sie einen Kommentar verfassen.