01.07.2011
Neue Horizonte für Übergänge von Schule zu Ausbildung und Beruf
Ganz still ist es im engen Medienraum. Und warm. Ab und zu dringt ein "I need a coffee"-Stoßseufzer an die Ohren der konzentriert schreibenden Kollegen. Sie brüten, zunächst jeder für sich, über einer Stellungnahme, die am Ende dieses internationalen Fachkräftetrainings von allen geteilt werden soll.
Nach der Stillphase hat jeder etwas beizutragen. Es gibt kaum Diskussion, denn man ist sich schnell einig. "Es gibt einen großen Bedarf an regelmäßiger Fortbildung und an Austausch zwischen Jugendsozialarbeitern aus verschiedenen Ländern..." So geht das Papier los.
Von Regelmäßigkeit kann bisher keine Rede sein. Es ist das erste Mal, dass ein deutscher Träger im Rahmen einer Förderung durch das Programm JUGEND IN AKTION die Initiative für ein europäisches Training zum Thema "Übergänge von Schule zu Ausbildung und Beruf" ergreift.
Die Anfänge
Auch für den Träger selbst, die ver.di JugendBildungsstätte Berlin-Konradshöhe e.V. ist das internationale Fachkräftetraining ein Novum. Auf die Idee, gemeinsam mit europäischen Kolleginnen und Kollegen zum Thema "Übergänge" zu arbeiten, kam das Pädagogenteam, weil es sich seit 2006 in dem Bildungsprojekt ENERGON engagiert. Darin werden sechs Berliner Schulen beim Aufbau eines MentorInnenprogramms für den Übergang ihrer SchülerInnen aus der Schule in Ausbildung oder Beruf unterstützt.
Ziel des Projekts ist die Etablierung einer tragfähigen schulischen und lokalen Infrastruktur für die Berufsorientierungsarbeit. "Im Laufe des Projekts haben wir uns mit verschiedenen Unterstützungssystemen und Ansätzen von Empowerment beschäftigt", erzählt Trainingsleiterin Almut Kirschbaum. "Der Gedanke, dazu einmal das Knowhow aus dem europäischen Ausland zusammenzuholen, hat uns sehr gereizt."
Empowering ist der zentrale Gedanke
Elke Weißer, Leiterin der Bildungsstätte, hat eigentlich keine Zeit für einen Plausch. Zwischen der Verabschiedung von Referenten und der Bitte an die Küche, einem Teilnehmer, der morgen Geburtstag hat, eine Kerze an seinen Frühstücksplatz zu stellen, sagt sie, dass sie begeistert ist von der europäischen Runde.
Denn trotz aller Unterschiedlichkeiten teilt die Runde den pädagogischen Konsens, dass es um Lebensorientierung und Persönlichkeitsbildung der Jugendlichen gehe. "Keiner hier möchte die Jugendlichen nur 'fit für den Arbeitsmarkt' machen. Die Jugendlichen sollen unterstützt und gestärkt werden. 'Empowering' ist der zentrale Gedanke."
Genau so sieht das Renaud Descamps. Ganz im Rousseauschen Sinn plädiert er dafür, dass die Gesellschaft ihren "Sozialvertrag" mit den Jugendlichen einhalten müsse. "Dass sich die Jugendlichen nicht integrieren, ist die falsche Perspektive", schimpft er. "Wir müssen ihnen eine Platz schaffen!"
Mission Locale in Frankreich
Dafür arbeitet er bei der bekannten "Mission Locale" in Frankreich, lokale Unterstützungsstellen für Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16 bis 28 Jahren. Ihr Ziel ist eine lückenlose Begleitung von Jugendlichen von der Schule bis zur Etablierung eines eigenständigen, unabhängigen Lebens. Renaud legt Wert darauf, dass dies nicht gleichbedeutend mit "Beschäftigung" ist. Das Fallmanagement der "Mission Locale" endet nicht mit dem Arbeitsvertrag.
"Lebensautonomie" ist das Ziel, und hierfür sind Faktoren wie Gesundheit, kulturelle Identität, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Mobilität und Selbstvertrauen genau so wichtig. Er weiß, wovon er spricht, denn er arbeitet in Clichy-sous-Bois, einer Vorortgemeinde 15 km östlich von Paris. "Hier gehen die Jugendlichen aus dem einen Quartier ums Verrecken nicht ins andere", erzählt er.
Umso erstaunlicher ist es, dass die Mission Locale von Clichy europäische Jugendbegegnungen pflegt. Da fährt man unerschrocken nach Grenada – mit aus Tunesien stammenden Jugendlichen, die die Ile de France nicht überschreiten würden. Die Fortbildung ist für Renaud auch eine gute Gelegenheit, dafür neue Partner kennenzulernen.
Geteilte Überzeugungen
Unerschrocken sind sie alle, auch die polnische Gruppe rund um Lukasz Markowski. Er kommt aus dem Jugend- und Bildungsamt der Stadt Warschau und ist zuständig für die Berufsschulen, die eine vollzeitschulische Erstausbildung bieten. Aus jeder Schule hat er eine Lehrerin oder einen Lehrer mitgebracht. Als einzige Delegation kommen sie aus der formalen Bildung.
"Das ist symptomatisch, da in Polen der Dritte Sektor fehlt", sagt Lukasz. Polen hat erst 2002/2003 ein neues System der beruflichen Bildung eingeführt, das eine größere Angebotsvielfalt garantieren soll. Aber freie Träger im Bereich der Beruflichen Bildung oder der Jugendsozialarbeit sind noch rar: "Die meisten Sachen laufen in der Schule. Und Lehrer sind für fast alles zuständig". Sie haben mit neuen sozialen Problemen besonders zu kämpfen, vor allem, da ihnen das Know-How fehle.
Umso toller findet er das, was sie während des Trainings lernen konnten. "Von einigen Methoden hatten wir noch nie etwas gehört." Die verschiedenen Mentoring-Programme, die vorgestellt wurden, findet er ebenso inspirierend wie Schülerfirmen oder die ganzheitlichen Case-Management-Ansätze. "Wir haben zwar wenig Geld", meint er, "aber so etwas wie ein Mentorenprogramm könnten wir gut übernehmen." Besonders beeindruckt haben ihn die Schweden, die eher mit ihrer "Haltung" arbeiten, wie er es nennt, "statt mit Wissen".
Schwedische Klassen-Omas und Opas
Die Schweden. Sie sind die Einzigen, die nicht mit Jugendlichen, sondern mit Grundschülern arbeiten. Und sie sind die Ältesten. Initiativen-Veteran Helge Douglas ist 74. "Opa" ist hier kein liebevoller Maßnahme-Jux. "Klassen-Opas" (und "Omas") – "Klassmorfar" – nennen sie sich selbst. So wie das Programm, das in Schweden seit 1996 Furore macht. Das hat wenig mit Jugendsozialarbeit, aber viel mit Empowerment zu tun.
Langzeitarbeitslose 50+ werden nach einer Schulung voll bezahlt an schwedischen Grundschulen angestellt – nicht als Lehrer, sondern als Rollenmodell, Unterstützer, Vertrauensperson. Mit den anderen Teilnehmern und Teilnehmerinnen teilen die schwedischen Opas ihre Überzeugung, dass sie Entwicklungshelfer ins Leben sind. "Alle Kinder sind unsere Kinder", sagt Helge.
Ein europäischer Funke
"Neue Horizonte" – so der Titel des Trainings – haben alle 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Schweden, Deutschland, Österreich, Polen und Frankreich erfahren. Das Programm war aber auch prallgefüllt. Runde Tische, World Café, Workshops, Planspiele, Projektvorstellungen, Exkursionen und Fachgespräche mit Berliner Behörden, Einrichtungen und Experten.
Thomas Schneider ist Teil der österreichischen Gruppe, bei der alle aus verschiedenen Einrichtungen Tirols kommen. Der Betreuer im Jugendtreff in Haiming ist begeistert von den vielen neuen Praxisansätzen und Methoden, die er in dieser Woche kennengelernt hat. Anstrengend war es zwar und er hat Urlaub nehmen müssen für das Training, bereut aber nichts. "Das passt schon!", grinst er.
"Unsere Erfahrung aus dem Training zeigt uns, wie wertvoll es ist, andere Kollegen zu treffen, die an ähnlichen Projekten arbeiten, mit dem gleichen Hintergrund, aber aus verschiedenen europäischen Ländern." So geht das Positionspapier weiter. "Solche Treffen bieten die Möglichkeit, neue Perspektiven kennenzulernen, einfach dadurch, dass man verschiedene Aktivitäten mit dem gleichen Grundkonzept vergleicht."
Das Positionspapier spricht noch von "langfristiger Zusammenarbeit", fordert "tiefergehende Seminare", "Networking", größere Unterstützung und mehr Mittel für Jugendarbeit von der Europäischen Union. Auch hier ist man sich einig: Auf das Ziel "Beschäftigungsfähigkeit" möchte sich niemand reduzieren lassen. Ein 10-Punkte-Katalog zu den gemeinsamen Werten und Qualitätskriterien für gute Praxis bildet daher den Abschluss der Stellungnahme.
Keine Frage, der europäische Funke ist übergesprungen. "Wir machen das sicherlich wieder", ruft Elke Weißer noch und flitzt wieder weg: Die Youthpass-Urkunden müssen noch unterschrieben werden.
(Helle Becker)
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Das Training wurde finanziert über das EU-Programms JUGEND IN AKTION.
Organisiert hat es die ver.di JugendBildungsstätte Berlin-Konradshöhe e.V.
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