02.01.2012

"Wir leben bereits einen Teil der alten Utopie"

2011 kriselte es. Es war das Jahr der Eurokrise. Gar der Europakrise. Beziehungsweise der Schuldenkrise. Was hilft gegen die Europamüdigkeit und wie sähe ein ideales Europa im Jahr 2025 aus? Katharina Koppe (20), Désirée Mattausch (20) und Stephan Klingebiel (23) haben während ihres Europäischen Freiwilligendienstes das europäische Ausland kennen- und schätzen gelernt. Sie machen sich ihre persönlichen Gedanken zu diesen Fragen.

Drei Stimmen, drei Blickwinkel – aufgezeichnet von Marco Heuer.

Es gibt gegenwärtig eine Europamüdigkeit. Ist sie gerechtfertigt? Was kann man gegen sie tun? Auch ganz persönlich?

Stephan KlingebielStephan: Man sollte diese ganzen Schlagworte erst einmal genauer hinterfragen. Das sind ja Begriffe der Medien für schwierige Entscheidungsfindungen der aktuellen Politik. Denn nicht Europa an sich steckt in einer Krise, sondern der Euro. Leider wird mit der Eurokrise gleich die gesamte Idee der Europäischen Union schlecht geredet.
Natürlich wird es emotional, wenn es um das Geld geht. Wer ist bereit für die anderen zu zahlen? Das ist schon eine schwierige Frage. Trotzdem denke ich, dass wir alle von Europa profitieren – sei es gesellschaftlich, wirtschaftlich, kulturell oder eben im friedlichen Miteinander ganz unterschiedlicher Kulturen.

Désirée: Europapolitik muss regionaler kommuniziert werden – das hilft gegen Europamüdigkeit. Informationsveranstaltungen zu abstrakten überregionalen und multinationalen Belangen finden wenig Zuhörer. Das schafft keine Identifikation.
Sinnvoller wäre es, regional interessante Themen öffentlich zu besprechen – von Bürger zu Bürger eben. So könnte ich mir zum Beispiel vorstellen, dass Bauernverbände dort Agrarverordnungen der EU diskutieren, wo die Region auch besonders stark von bäuerlichen Strukturen geprägt ist.
Und dann brauchen die Bürger noch etwas anderes: persönliche Handlungsspielräume und Partizipationsmöglichkeiten.

Katharina: Wir müssen zeigen, dass wir auch wirklich ein vereintes Europa sind. Krisen, wie in Griechenland, kann man nur zusammen bewältigen. Das heißt, wir dürfen nicht an den grundsätzlichen Chancen und Stärken Europas zweifeln.
Krisen hat es in der Wirtschaft ja schon immer gegeben. Die Frage ist, wie man aus ihnen herausgeht. Und wir müssen begreifen: Nur mit einer guten Bildung haben wir eine Chance, uns auf dem internationalen Markt zu beweisen. Auch interkultureller Austausch ist wichtig. Der ist doch unsere Zukunft.

Was macht Europa derzeit für Dich aus?

Désirée MattauschDésirée: Momentan wird Europa in der Öffentlichkeit ja als großer Schuldenberg und Objekt der Furcht kommuniziert. Zum einen sollen wir alle unser Geld ausgeben, zum anderen auch noch unsere staatlichen Kompetenzen abgeben. Da entsteht bei einem Großteil der Bevölkerung ein Gefühl der Ohnmacht.
Europa ist ein Kontinent mit Problemen für alle, aber ohne Möglichkeit der Einflussnahme für jeden. Mein ganz persönliches Europa ist ein Kontinent voller Freunde und speziell die EU eine Chance zur persönlichen Weiterentwicklung des interkulturellen Lernens und Kommunizierens. Für mich ist die EU die Chance, mehr aus meinem Leben zu machen.

Katharina: Europa ist für mich im Moment vor allem ein Markt der Möglichkeiten. Es gibt so viele Angebote für junge Menschen, die ich gerne nutzen möchte. Die Reisemöglichkeiten, die Möglichkeit, andere Länder, andere Kulturen und Sprachen kennen zu lernen. Das ist ein großer persönlicher Gewinn an Wissen und Erfahrungen und schafft Weitblick und Toleranz.
Diese Erfahrungen können auch später im Beruf und auf dem Arbeitsmarkt weiterhelfen. Ich persönlich möchte die Vielfalt Europas jedenfalls noch weiter ausschöpfen und zum Beispiel ein Semester meines Studiums im Ausland verbringen.

Stephan: Mir gefällt der Gedanke, dass wir so viele kleine Länder auf einem auch verhältnismäßig kleinen Kontinent haben, um gegenseitig voneinander zu lernen. Offene Grenzen, ein offener Handel oder einfache Arbeitsbedingungen fördern genau diesen Zusammenhalt und den Austausch zwischen den Ländern. Dabei sollte es nie darum gehen, Kulturen zu vereinheitlichen. Und: Ein starkes Europa verleiht unserem kulturell so bedeutenden Kontinent auch eine stärkere Stimme in der Welt.

Und wenn Du Dir DEIN Europa im Jahre 2025 vorstellst – was müsste sich bis dahin alles zum Positiven verändert haben?

Katharina KoppeKatharina: Ich wünsche mir, dass sich die Wirtschaft bis dahin stabilisiert hat. Europa darf sich nicht in wirtschaftlich starke und schwache Staaten teilen, sondern muss wirklich eine Einheit darstellen.
Und mit dem interkulturellen Austausch müssen wir ein gutes Stück vorangekommen sein. Da sehe ich gerade in meiner Generation eine große Chance. Denn noch nie sind junge Europäer so mobil gewesen. Und ich wünsche mir, dass Diskriminierung und Rassismus in unserer Welt endlich verschwinden.

Stephan: Ich hoffe, dass wir dann eine einheitliche Grenzpolitik und einen menschlicheren Umgang mit Flüchtlingen und Einwanderern, vor allem aus Afrika, gefunden haben. Offene Grenzen und der freie Austausch von Gütern und Arbeit innerhalb Europas sind schon möglich – und somit leben wir bereits einen Teil der alten Utopie.
Ich bin sehr glücklich darüber und hoffe, dass wir diese Offenheit nie mehr verlieren. Die Grenzkontrollen Dänemarks haben aber gezeigt, dass das nicht selbstverständlich ist.

Désirée: In meinem Europa 2025 würde es ein europaweites Netzwerk geben, das sich aus Interessenverbänden zusammensetzt, zum Beispiel beim Tierschutz. Dieses Netzwerk sorgt dann für eine transparentere Kommunikation zwischen den EU-Institutionen und den Bürgern.
Außerdem sollte es eine handlungsfähige Opposition gegenüber den offiziellen Entscheidungsträgern der Europäischen Union darstellen. Zum Teil gibt es solche Interessenverbände wie Amnesty International ja schon. Aber bislang sind sie nicht direkt in den Prozess der Entscheidungsfindung eingebunden. Sie sind darauf angewiesen, teure und oft schleppende Lobbyarbeit zu betreiben.
In meinem Europa wären diese Verbände immer dann aktiv eingebunden, wenn es ihr Interessensgebiet betrifft. Warum also künftig nicht auf die Meinung des "Europaweiten Bunds der Kosmetikindustrie" hören?

---

Katharina Koppe, Désirée Mattausch und Stephan Klingebiel sind auch als EuroPeers aktiv.

Kommentare

    Bislang gibt es zu diesem Beitrag noch keine Kommentare.

    Kommentar hinzufügen

    Wenn Sie sich einloggen, können Sie einen Kommentar verfassen.