13.01.2012

Diversität und Empowerment: Lippenbekenntnisse allein reichen nicht

Ein wichtiger Aspekt bei der diversitätsbewussten Arbeit mit Jugendlichen: die Bedeutung des Empowerment (deutsch: Ermutigung/Stärkung). JUGEND für Europa hat Ahmet Sinoplu dazu befragt. Er arbeitet als freiberuflicher Trainer und Berater in der internationalen Jugendarbeit. Für JiVE ist er als Coach im Teilprojekt "Interkulturell goes on" aktiv.

JfE: Ahmet, der Begriff "Empowerment" ist ein bisschen zum Modewort geworden. Was verbindest Du mit dem Wort?

Ahmet SinopluAhmet Sinoplu: Empowerment bedeutet für mich, Menschen dabei zu unterstützen, ihre eigenen Stärken und Ressourcen zu entdecken. Sie sollen sich so weiter entwickeln, dass sie für sich selbst und für die Gesellschaft aktiv werden können. Empowerment – so wie ich es verstehe – hilft den Menschen dabei, ihre Interessen selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten. Es geht darum, mehr Machtzugänge und Handlungsspielräume zu erhalten. Dabei ist Empowerment ein Prozess, dessen Strategien und Ziele von den jeweiligen Menschen selbst definiert werden.

Kannst Du Beispiele nennen, was es konkret bewirkt oder bewirken kann?

Empowerment zielt auf die Veränderung gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Mehr soziale Gerechtigkeit ist also ein Ziel. Das ist wichtig, denn die Möglichkeit, an Entscheidungsprozessen teilzuhaben, ist nicht allen Menschen gleichermaßen gegeben. Der Zugang zu materiellen und sozialen Ressourcen ist für viele noch längst keine Selbstverständlichkeit. Wohnraum, Einkommen, öffentliche Anerkennung, Bildung oder überhaupt die Versorgung mit passenden Informationen – das sind Themen, die für minorisierte Gruppen besonders wichtig sind.

Wo kommen die Jugendlichen dabei vor?

In der internationalen Jugendarbeit beobachte ich zum Teil eine interkulturelle Öffnung. Da gibt es Empowerment-Prozesse, die dazu beigetragen haben, dass einzelne Migrantenselbstorganisationen nun selbst in diesem Bereich aktiv sind. Sie nutzen unterschiedliche Programme und Finanzierungsmöglichkeiten. Dadurch können Jugendliche partizipieren, die bislang nicht von diesen Formaten profitieren konnten.

Welche Erfahrungen hast Du persönlich mit Empowerment gemacht?

Wenn man wie ich konkrete Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung gesammelt hat, ist man dankbar, wenn es geschützte und vertraute Räume gibt, in denen man mit Hilfe von Empowerment das eigene Selbst stärken kann. Selbstreflexion war und ist mir immer wichtig. Und es ist auch sehr hilfreich, wenn man sich frei und offen mit anderen Betroffenen über solche Unterdrückungserfahrungen austauschen kann.

Was muss ein Mensch mitbringen, der Dich zum Handeln motiviert?

Das sind immer wieder einzelne, empowernde Menschen, die ich in meinem Leben treffe. Ich spüre ihre wertschätzende Haltung, und darum geht es ja in einer Begegnung: Respekt, Achtung und Interesse – unabhängig von der eigenen Position. Und wenn man so etwas spürt, dann ist man natürlich auch gleich viel motivierter und traut sich einiges zu.

Stichwort diversitätsbewusste internationale Jugendarbeit – was macht für Dich einen guten Trainer oder Teamer aus?

In erster Linie ist es diese wertschätzende Haltung, die ich gerade erwähnt habe. Die Jugendlichen müssen bei einem Trainer spüren, dass sie mit all Ihren Fragen und Problemen sowie mit all Ihren Vorstellungen und Ressourcen willkommen sind. Der diversitätsbewusste Ansatz berücksichtigt die komplexe Identität junger Menschen. Eine große Herausforderung in der globalisierten Welt. Und natürlich gibt es in unserer Gesellschaft immer noch Diskriminierungen hinsichtlich Geschlecht, sozialer Herkunft, Alter, Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung oder Behinderung.

Empowerment muss alle möglichen Probleme in diesen Kategorien berücksichtigen. Unter dem Strich geht es darum, Räume zu schaffen, in denen sich Jugendliche mit ihren Erfahrungen der (Mehrfach-)Diskriminierung konstruktiv auseinandersetzen können. Dabei sollten Homogenisierungen und Festschreibungen vermieden werden.

Welche Gruppen müssen denn vor allem "empowered" werden?

Ich denke da an Jugendliche, die von den Angeboten der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen werden und die konkreten diskriminierenden und rassistischen Strukturen ausgesetzt sind. Diese jungen Menschen müssen gestärkt werden, das ist das Ziel. Dabei muss man nicht bei Null anfangen. Am besten gelingt es, wenn man an den bereits vorhandenen individuellen Strategien der Jugendlichen arbeitet. Am Ende des Prozesses sollten Selbstbestimmung, Selbstbefähigung und Selbstwirksamkeit bei den Jugendlichen im Vordergrund stehen.

Eine schwierige Aufgabe?

Ich will es mal so formulieren: Fakt ist, dass sich im interkulturellen Kontext viele Angebote an die so genannten Mehrheitsangehörigen richten. Die sollen dann mit einer Art Kompetenzerweiterung den Umgang mit den Minderheiten (den "Anderen" also) erlernen. Das Problem dabei: Die "Sensibilisierung" führt zu Verfestigungen von Zuschreibungen und beleuchtet selten Ausgrenzungsstrukturen, die gesellschaftliche und strukturelle Unterdrückungssysteme produzieren.

Sind die Träger engagiert genug?

Viele Fachkräfte sind sehr aktiv und versuchen, bestimmte Zielgruppen von Jugendlichen in ihre Projekte einzubinden und zu "integrieren", schaffen es jedoch aus unterschiedlichen Gründen kaum. Die Frustration führt oft dazu, weitere Zuschreibungen an die Zielgruppe zu richten. Diese verfestigen aber die defizitäre Perspektive. Das Ziel, ganz unterschiedliche junge Menschen zu erreichen, wird verhindert.

Sofern es aber nicht nur Lippenbekenntnisse sind und tatsächlich eine Inklusion gewollt ist, gibt es vielfältige Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen. Aus der Praxis sind erfolgreiche Möglichkeiten und Wege dokumentiert worden. Für viele Organisationen und deren Mitarbeitet ist es scheinbar aber dennoch sehr aufwändig. Oft wird beklagt, das die "Extra-Arbeit", die für die Inklusion bisher unerreichter Jugendlicher notwendig sei, nicht bezahlt wird. Sie ist für viele Organisationen also ein unattraktives Geschäft.

Was ist zu tun?

Es ist auf jeden Fall erforderlich, mehr finanzielle Mittel für die intensive Öffentlichkeits-, Beziehungs- und Vertrauensarbeit zur Verfügung zu stellen. Nur so können die Jugendlichen erreicht werden, die ansonsten keinen Zugang zu non-formaler und internationaler Bildung haben.

Wie lässt sich Empowerment am besten lernen?

Wer reales Interesse daran hat, Empowerment zu lernen und anzuwenden, damit eine gleichberechtigte Anerkennung entsteht, der muss auch dafür sorgen, dass institutionelle Strukturen und Machtverhältnisse verändert werden und Rassismus bekämpft wird. Eine Möglichkeit im Rahmen von Empowerment-Prozessen ist das so genannte Powersharing.

"Erasmus für alle" heißt der neue Programmvorschlag der EU-Kommission ab 2014 – wie viel Empowerment steckt in dem neuen Programm?

Die Entwicklung ist prekär. Aus der Empowerment-Perspektive sind die bisherigen Ziele wie Partizipation, Antidiskriminierung, die Anerkennung nicht formalen Lernens oder die Förderung benachteiligter Jugendlicher besonders wichtig. Wenn ich mir den neuen Programmvorschlag anschaue, sehe ich allerdings nur, dass Mobilität und Bildung zum Zwecke der Beschäftigungsfähigkeit der Jugendlichen genutzt werden soll. Das ist keine gute Entwicklung. Denn Jugendliche, die aus dem Netz des formalen Lernens herausfallen und zumindest zum Teil durch die Internationale Jugendarbeit erreicht wurden, werden in Zukunft sicher kein Erasmus machen (können) oder ähnliche Angebote nutzen.

Das Interview führte Marco Heuer im Auftrag von JfE.

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