07.02.2012

Fachforum Europa 2012: Impulse für die europabezogene Bildung mit Jugendlichen

"Europa vermitteln" - das Motto des diesjährigen "Fachforum Europa" deutet auf eine Herausforderung hin, die größer nicht sein könnte. Ist heute von Europa die Rede, so meistens in Verbindung mit Milliardensummen, Rettungsschirmen und Krisengipfeln. Wie sich Europa jenseits, trotz oder gerade aufgrund der Krise vermitteln lässt, diskutierten rund 120 Teilnehmer vom 1. bis 3. Februar in Hamburg.

Ein Teilnehmer spricht darüber, wie er mit dem Fahrrad mehrere Monate lang als Couchsurfer durch die Republik reiste und eine groß angelegte Studie zum Thema Jugend durchführte. Ein Mittzwanziger erzählt von Schülerprojekten im Balkan und eine weitere Teilnehmerin spricht über die Bedeutung des Spiels für Europa. Ein buntes Durcheinander an verschiedenen Erwartungen, Herangehensweisen und Erfahrungen versammelt sich hier auf dem Fachforum.

Gemeinsam haben die Teilnehmer in der Tat lediglich, dass sie alle mit Jugendlichen arbeiten und beruflich einen Bezug zu Europa haben, der mal stärker, mal schwächer ausfällt. Doch gerade diese Vielfalt wird sich durchweg als positiv erweisen. Jeder berichtet aus seiner Perspektive. Und das ist erfrischend.

Warum Europa keine Seele braucht und wir alle ein bisschen Schweiz sein dürfen

Am Mittwochnachmittag liefert Josef Janning vom European Policy Centre Brüssel mit seinem Einführungsvortrag Gedankenanstöße – und viel Diskussionsbedarf. "Den Bürgern entgeht die Wirklichkeit Europas", ist eine seiner Aussagen, und weil das so ist, plädiert er für schonungslose Offenheit vonseiten der Politiker, da sie Verständnis und Zustimmung bei den Bürgern nur dann erreichen könnten,  wenn diese genau wüssten, was wie läuft – in der EU und "daheim" im Nationalstaat.

Zu diesem Wissen zählt auch, dass Entscheidungen von nationalen Politikern oft auf die europäische Ebene verlegt werden, um Buhrufe der Bürger nach Brüssel "umzuleiten". "Innerhalb des Schutzraumes der EU können wir alle uns ein bisschen Schweiz-sein leisten", lacht Janning. Und Europa eine Seele geben? Dem steht er skeptisch gegenüber, was einen Großteil der Teilnehmer überrascht, denn unter ihnen sind eine Menge "Kulturaffine", für die die EU mehr ist als ein politisches Projekt. Doch Janning ist der Ansicht, "ein kalkulierbares, rationales, politisches System sollte man nicht zu sehr mit transzendenten Begriffen aufladen".

Kaffeepausen sind mehr als Kaffee und Gebäck

Kaffeepause! Die ideale Zeit, um sich auszutauschen. Jannings Ansichten werden rege diskutiert und Visitenkärtchen wechseln die Besitzer. Zwei junge EuroPeers erzählen zwei gleichaltrigen Young European Professionals von ihrem Europa-Picknick mit Samba-Band. Eigentlich will man seine Ohren überall zugleich haben. Erfahrene Jugendarbeiter und Politiker freuen sich über die frischen Ideen der Jugend und die wiederum profitiert von den Erfahrungen und Berichten der "Alten". Der Ruf, mit Jugendlichen zu diskutieren und nicht über sie, wird immer wieder in verschiedenen Gruppenkonstellationen laut. Auf dem Europamarkt am Mittwochnachmittag besteht so eine Gelegenheit.

Europa vermitteln – aber wem? Benachteiligten Jugendlichen oder Eliten?       

Auf dem Europamarkt präsentiert beispielsweise der 16-jährige Alexander Mohrenberg souverän "sein" gleichnamiges Projekt. Der Hamburger Schüler organisiert in seiner Stadt gemeinsam mit vielen anderen ein alljährlich stattfindendes Straßenfest zu Europa. Veranstaltet von Jugendlichen für Jugendliche. Ein Raum weiter stellt Carmen Kong aus Hong Kong die Internetplattform Europe & Me vor und berichtet, warum sie als Asiatin sich auch als Europäerin fühlt: "Weil Europa ein Ort ist, an dem ich mich zugehörig fühle, an dem ich Chancen habe."

Von einer Räumlichkeit zur nächsten schlendern die Teilnehmer und erhalten bei den jeweils vierzigminütigen Präsentationen und Diskussionen viel "Input" – und Kontroversen. Herbert Wiedermann spricht über das europapolitische Jugendkonzept der Stadt Hamburg und seine Schwerpunktsetzung für benachteiligte Jugendliche, während das Projekt EUSTORY der Körber-Stiftung, das eine Etage darunter vorgestellt wird, auf Elitenförderung setzt.

Am Mittwochabend klingt der Tag bei einem wunderbaren Büffet im Hamburger Traditionshaus Zippelhaus aus. Und eine Teilnehmerin, die schon zum dritten Male beim Fachforum dabei ist, schwärmt bereits nach einem halben Konferenztag begeistert: "Das Beste sind die vielen guten Ideen und Projektbeispiele, die Energie der Teilnehmer und der Enthusiasmus, den alle mitbringen!"

Wie vermitteln Sie Europa?

Von der Johannisbeere im Langnese-Eis und dem Wald, den man vor Bäumen nicht sieht

Donnerstag ist Workshoptag: Vormittags und nachmittags nähern sich die Teilnehmer in Kleingruppen einem Themenkomplex. Michael Matern von der Europäischen Akademie Otzenhausen beispielsweise erarbeitet mit seiner Gruppe das Thema: "Renationalisierung und Entsolidarisierung oder weitere Vergemeinschaftung?".

Eckhart Stratenschulte von der Europäischen Akademie Berlin stellt drei Grundthesen zum Verständnis der Währungskrise auf und schlägt Wege vor, Schülern diese zu vermitteln. "Die EU ist nicht auf Liebe und Vertrauen gegründet, sondern auf Hass und Misstrauen. Und genau das ist ihre Leistung!", beginnt er. In seiner Präsentation wird "der Wald, den man vor lauter Bäumen nicht mehr sieht" erkennbarer - sprich: Die Währungsunion als politisches Projekt, die Schuldenkrise mit all ihren Ecken und Enden, die Europäische Union als großes Ganzes.

Mit so mancher Metapher wird Europa erklärt, und da ist Deutschland auch schon mal die Johannisbeere im Langnese-Eis, wenn es darum geht, die Rolle Deutschlands in der EU zu skizzieren. Soll heißen: Deutschland als harter Kern in einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten bzw. einem Europa der konzentrischen Kreise. Aus fünf verschiedenen Workshops können die Teilnehmer zwei auswählen, bevor am Abend eine große Podiumsdiskussion ansteht.

Von einem, der provozieren will und einer, die mehr Mensch und weniger Wirtschaft im neuen EU-Jugendprogramm fordert

Der Donnerstagabend steht ganz im Lichte des politischen Europas: Eine Podiumsdiskussion mit Jochen Bittner, einem ZEIT-Journalisten, der einige Jahre lang als EU- und NATO-Korrespondent von Brüssel aus berichtete, wird nicht nur von den Teilnehmern des Fachforums gut angenommen, sondern auch von der Hamburger Öffentlichkeit. Der Vortrag ist gut besucht. Jochen Bittner spricht über die EU, erzwungene Harmonisierung, die Schuldenkrise und die Medien. Und darüber, dass Deutschland als neuer Hegemon auf dem Weg ist, in die Rolle des "europäischen Weltpolizisten" zu gelangen.

Der Freitag beginnt mit einem Vortrag der Europäischen Abgeordneten Petra Kammerevert, die über den Kommissionsvorschlag für ein Nachfolgeprogramm von JUGEND IN AKTION spricht. Der Vorschlag eines Programms mit dem Namen "Erasmus für alle" sei gerade keine Verwaltungsvereinfachung, wie es oft vonseiten der Kommission dargestellt wird, schimpft sie. Und betont, die Ausrichtung auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit in der Jugendarbeit, die die Europäische Kommission derzeit erkennen lässt, sei „zu kurz gedacht und nur eine Seite der Medaille“. Ihre Worte hinsichtlich der Forderung nach einem eigenständigen Kapitel "Jugend" sind Balsam für die Seele vieler Zuhörer.

Wer seid ihr und was macht ihr? - "Café Europa" als Abschlussrunde des Fachforums 

Ulrich Ballhausen von der Europäischen Jugendbildungsstätte Weimar bringt es auf den Punkt: Hauptthema des "Café Europa" mit seinen acht Stehtischen ist es, Antworten zu sammeln auf die Frage "Wer seid ihr und was macht ihr?".

An einem Tisch sind europäische Förderprogramme vertreten, die Auskunft geben über ihre Arbeit, daneben Stiftungen. Dann gibt es einen Tisch für die Politik und einen für Träger der politischen Bildung. Europäische Verbände und Netzwerke haben genauso die Möglichkeit, sich zu präsentieren, wie Vertreter der schulischen Bildung. Und neben europäischen Bildungseinrichtungen ist auch die Stadt Hamburg mit einem eigenen Tisch zu finden - die vielen verschiedenen Facetten des Fachforums Europa 2012 werden noch einmal sichtbar.

Augenscheinlich zufrieden mit Organisation, Inhalt und den neu geknüpften Kontakten füllen die Teilnehmer in der Abschlussrunde die Stellwände mit den gelben, positiven Feedback-Kärtchen. Aber einige Verbesserungsvorschläge gibt es auch: "Wo sind eigentlich die radikal-kritischen Beiträge zum Thema Europa?", fragt Ulrich Ballhausen und gibt zu bedenken, diese bei der Planung des nächsten Fachforums doch stärker mit einzubeziehen.

Zum Auftakt der Veranstaltung am Mittwoch stellte Lothar Dittmer von der Körber-Stiftung die Frage, welches Europa wir bräuchten. Eine Antwort darauf wurde in den drei Tagen Fachforum zwar nicht gefunden, dafür aber viele verschiedene Wege aufgezeigt, wie sich Europa kreativ vermitteln lässt – welches Europa es auch sein mag.

(Text und Foto: Elisa Rheinheimer)

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Das "Fachforum Europa" war eine Kooperation zwischen JUGEND für Europa, der Bundeszentrale für politische Bildung, der Körber-Stiftung, dem Netzwerk europäische Bewegung Deutschland sowie der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar.

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