07.02.2012
Fachforum Europa 2012: Nachdenken über Europa mit ZEIT-Journalist Jochen Bittner
"Die EU ist zu ihrem Glück endlich einmal zerstritten!", sagt er, sieht die erstaunten Gesichter im Publikum und grinst. Jochen Bittner ist einer, der provoziert. Ein Journalist der ZEIT, der Thesen aufstellt, die nicht allen gefallen. Ein Brüssel-Kenner, der gegen die "Zwangsharmonisierung innerhalb der EU" wettert und die Teilnehmer des Fachforums mit den Worten aufschreckt: "Europa ist nicht bürgernah, es soll nicht bürgernah sein und wird es nie werden."
Von 2007 bis 2011 war Bittner als EU- und NATO-Korrespondent der ZEIT in Brüssel; 2010 erscheint sein Buch "So nicht, Europa!", in dem er die drei großen Fehler aufzeigt, die die EU seiner Meinung nach hat: "Kleines zu groß und Großes zu klein, Weiches zu hart und Hartes zu Weich" und: "Oben zu schnell und Unten zu langsam" lautet seine Diagnose.
Auf dem Fachforum Europa spricht der promovierte Jurist über seine Erfahrungen in Brüssel und in einem Interview mit JUGEND für Europa über Urwaldforscher, die Musik Mahlers und 27-Zylinder-Motoren.
JfE: Herr Bittner, was möchten Sie mit Ihren provokanten Thesen und Ihrem Buch "So nicht, Europa!" eigentlich erreichen? Begeisterung für die EU wecken sicherlich nicht...
Bittner: Nein, für Europa begeistern möchte ich nicht. Ich will aufklären, will Debatten ermöglichen, denn ernsthafte Debatten werden relativ häufig im Keim erstickt. Ich provoziere durch Zuspitzung. Wissen Sie, wenn man als Journalist in Brüssel arbeitet und über die EU berichtet, fühlt man sich ein bisschen wie ein Forscher, der noch unentdecktes Terrain betritt. Ja, diese Arbeit hat etwas von Urwaldforscher.
JfE: Die Medien spielen bei der Vermittlung Europas eine sehr wichtige Rolle. Inwiefern tragen sie durch ihre Berichterstattung zu Europamüdigkeit und Europafrust bei?
Bittner: Die Medien müssen über das Nichtfunktionieren Europas berichten. Über das Positive der EU wird kaum gesprochen. Ja, es gibt aus Brüssel gute Nachrichten, aber die treten in den Hintergrund. Gute Nachrichten sind für Journalisten keine Nachrichten, das darf man nicht vergessen, und so schaffen diese es nicht in die Zeitung oder ins Fernsehen. Dadurch wird bei den Bürgern ein Gefühl von Frust verursacht, denn die Europäische Union wirkt durch die Mediendarstellung zumeist dysfunktional.
JfE: Was würden Sie als Journalist Verantwortlichen der Jugendarbeit raten, wie man Jugendliche erreichen, ihnen Europa spannend vermitteln und sie begeistern kann?
Bittner: Jugendliche für Europa begeistern? Hm... Ich würde ihnen nicht beibringen, wie toll die EU ist, sondern weggehen von diesem Ansatz "Schaut her, Europa ist einfach super!". Stattdessen würde ich sie konfrontieren mit anderen Jugendlichen, die eben nicht aus der EU kommen. Bei solchen Begegnungen wird schnell klar, was wir an Europa haben. Denn man muss es ja auch mal so sehen: Wir sind ein Stück weit betriebsblind geworden. Wir sind in den Nörgelmodus verfallen. Aber durch Reisen, dadurch, dass Jugendliche aus der EU andere junge Leute treffen, zum Beispiel aus der Ukraine oder Mazedonien, verändert sich das. Wenn sie deren Blick auf Europa kennen lernen, deren Hoffnungen und Lebensumstände, dann realisieren auch unsere Jugendlichen, was wir an der EU haben.
JfE: Das heißt Sie empfehlen das "Reisen bildet"-Konzept. Nun können sich aber nicht alle Jugendlichen Reisen leisten, nicht jeder hat die Chance zu einer Jugendbegegnung mit jungen Ukrainern. Wie erreicht man denn diese Anderen, wie bringt man ihnen Europa näher?
Bittner: Durch Zwang.
JfE: Ernsthaft?
Bittner: Ja, durch Zwang. Manche Sachen muss man beigebracht bekommen, um sie schätzen zu lernen. Manchmal erkennt man erst durch einen gewissen Druck, was einem gefällt. Welcher Jugendliche liest schon freiwillig Goethe? Aber wenn es in der Schule gelesen werden muss, entdeckt vielleicht der Eine oder Andere, dass das ziemlich cool ist...
JfE: In der Diskussion sagten Sie, dass Europa ein neues Lied brauche. Wie klingt denn Ihr zukünftiges Lied für Europa, gibt es da schon eine Melodie?
Bittner: Das Europa der Zukunft ist auf jeden Fall rockiger. Sagen wir mal: Ein bisschen mehr Stones, ein bisschen weniger Mahler.
JfE: Wie würden Sie Jugendlichen in wenigen, prägnanten Worten die europäische Idee heute vermitteln?
Bittner: Das ist eine gute Frage. Die europäische Idee... Ich würde sagen: Europa ist ein einzigartiger Motor mit 27 Zylindern. Wenn die alle im Takt laufen, dann sind sie wahnsinnig stark und mächtig – mächtig auch im Sinne von Kreativität, Charme, Intelligenz. Da entwickelt sich eine großartige Dynamik. Andere Mächte haben nur einen einzigen Zylinder und sind damit sehr viel störanfälliger. Europa vereint hingegen so viele einzelne Kraftzentren! Diesen Wert muss man sich klar machen.
(Das Interview führte Elisa Rheinheimer.)
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