10.07.2012

Europatüchtig: Eine Eigenständige Jugendpolitik ist kooperativ, aktiv und inklusiv

Die hohe Zufriedenheit der Teilnehmer mit der Debatte und eine positive Grundstimmung für den weiteren Prozess kennzeichneten das Eröffnungsseminar des Europäischen Peer Learning-Projekts des BMFSFJ zur Jugendpolitik.

Die beste europäische Jugendstrategie ist nur so gut wie ihre Umsetzung auf lokaler Ebene. Darin waren sich die Teilnehmenden vor und nach dem ersten Seminar im Europäischen Peer Learning-Projekt des BMFSFJ zur Jugendpolitik einig.

Mit dem Thema ‚Jugendpolitik in Europa gestalten – Was ist die Rolle der Regionen und Kommunen? ‘ ging man gleich mit der Auftaktveranstaltung in medias res. Knapp 40 Vertreterinnen und Vertreter von Ministerien, Obersten Jugendbehörden, Kommunen und Jugendräten aus Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, der Flämischen Gemeinschaft Belgiens, Schweden, Litauen und der Tschechischen Republik trafen sich am 13. und 14. Juni in Berlin, um sich über die jugendpolitischen Entwicklungen ihrer Länder und dem, was davon in den Kommunen umgesetzt wird, auszutauschen.

Hintergrund

Grundlage dieser Initiative des BMFSFJ ist das Eckpunkte-Papier zur Eigenständigen Jugendpolitik. Das sieht eine Weiterentwicklung des Konzeptes und seiner Umsetzung durch einen multinationalen Erfahrungsaustausch mit EU-Staaten vor. Dafür wurden fünf sogenannte multilaterale Kooperationsprojekte angestoßen:

  • ,Partizipation junger Menschen im demokratischen Europa‘,
  • ‚Freiwilligendienste auf europäischer Ebene‘,
  • ‚E-Partizipation‘,
  • ,Übergänge zwischen Schule, Ausbildung und Beruf‘,
  • ‚Eigenständige Jugendpolitik‘ (Europäisches Peer Learning zu Jugendpolitik).

Das Seminar in Berlin war der Auftakt zum Peer Learning-Prozess in Sachen ‚Eigenständige Jugendpolitik‘ – ein Thema, das sich als äußerst europatüchtig erwies.

Ganzheitliche Aufmerksamkeit

So waren sich nicht nur die Redner vor dem Plenum, sondern auch die Fachleute in den Arbeitsgruppen einig, dass der Jugendphase und ‚den Jugendlichen‘ eine neue, andere Aufmerksamkeit gewidmet werden müsse. Lutz Stroppe, Abteilungsleiter im BMFSFJ, wies in seinem Eingangsstatement auf die Herausforderungen der Jugendphase hin: Jugendliche benötigten Unterstützung bei der Ablösung vom Elternhaus, der Herausbildung von Individualität, der Emanzipation von vorgegebenen Lebensbedingungen.

Er stimmte damit nicht einfach in das Hohelied der Bildung als Schlüssel zur Beschäftigungsfähigkeit ein, wie es auf der Ebene europäischer Politik die Debatten beherrscht. Stroppe plädierte dafür, Jugendliche ganzheitlich anzusehen, das heißt nicht entweder nur als Arbeitskräfte oder als segmentierte ‚Zielgruppe‘ oder als Individuum, das in verschiedene behördliche Zuständigkeiten fällt.

Er kritisierte die vorherrschende Problemsicht auf Jugendliche und beklagte den Mangel an Entfaltungsraum, unter dem alle Jugendlichen zu leiden hätten. Eine eigenständige Jugendpolitik müsse für diese Entfaltungsräume sorgen und dafür vor allem auf kommunaler Ebene abgestimmte Zuständigkeiten und Konzepte hervorbringen. Damit setzte Stroppe einen Verständnisrahmen, den die nachfolgenden Redner unterstützten.

Bart Eigeman, ehemaliger Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Hilfe und Wohlfahrt des Niederländischen Kommunal-Verbands, hielt ein flammendes Plädoyer für eine ‚positive Jugendpolitik‘. Es müsse ein Umdenken in der Jugendpolitik geben, weg von dem Bild von Jugendlichen als „Problemträger“ und hin zu einem ressourcenorientierten Ansatz. Jugendliche seien kein Objekt der Politik, sondern müssten als Subjekte ihrer eigenen Lebensgestaltung ernst genommen und unterstützt werden. Dafür bedürfe es einer Jugendpolitik, die Zuständigkeiten und Orte zusammenbindet und koordiniert.

Uwe Lübking, Beigeordneter für Arbeitsmarktpolitik, Kultur, Sport, Verwaltungsmodernisierung, Demographie, Bildung und Jugendpolitik des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, spitzte das Ganze zu. Er fächerte die ganze deutsche Strukturkomplexität auf, um dann eine Koordinationsstelle auf kommunaler Ebene vorzuschlagen, die Schule und Jugendhilfe zusammenbringen und koordinieren soll.

,Eigenständig‘ ist ,positiv‘

Die anschließende Vorstellung der jugendpolitischen Entwicklungen in den Peer-Ländern machte deutlich, dass man – trotz aller Unterschiede – mit diesem gemeinsamen Nenner eine gute Basis für den Austausch hat. Immer wieder durchzogen die Diskussionen auch in den Kleingruppen die Versuche, ‚eigenständige‘ oder ‚positive‘ Jugendpolitik zu definieren und sich der Grundparadigmen subjektorientierter Jugendhilfe zu vergewissern.

Einträchtig und konstruktiv diskutierten Vertreterinnen und Vertreter kommunaler Jugendhilfe mit Verantwortlichen auf nationaler Ebene über die vielfältigen Möglichkeiten, nationale jugendpolitische Strategien mit den Alltagsanforderungen vor Ort zielorientiert zu vereinen und Regionen und Kommunen bei der Gestaltung einer gemeinsamen Jugendpolitik zu aktivieren und zu beteiligen. Während die einfachen, aber effektiven Modelle der kleineren Länder wie Litauen und der Tschechischen Republik beeindruckten, wurde für manch andere Landesvertreter deutlich, dass strukturelle Komplexität und politische Kurzatmigkeit die größten Hindernisse für eine „Jugendpolitik aus einem Guss“ sind, wie es Uwe Lübking nannte.

Rückenwind durch EU-Jugendstrategie

Auch in den Workshops zu den Themen ‚Sektor übergreifende Zusammenarbeit‘, ‚Partizipation und Empowerment‘, ‚Implementierung von Jugendpolitik‘, ‚Soziale Herausforderungen‘ und ‚Positive Jugendpolitik‘ gab es einen Grundtenor: Gute Jugendpolitik geht von einem gemeinsamen positiven Verständnis von Jugendlichen aus und konstruiert Unterstützungsstrukturen darum herum. Zu diesem Verständnis hat, folgt man den Diskussionen der Teilnehmenden, die EU-Jugendstrategie nicht unwesentlich beigetragen. Sie hat in allen Ländern für den nötigen politischen Rückenwind gesorgt, um das zu bewirken, was einige gar einen Paradigmenwechsel nannten.

Ob es sich nun um einen Perspektivwechsel von einer problemorientierten hin zu einer stärken- und beteiligungsorientierten Sicht auf Jugendliche oder eher um einen Revival grundlegender Prinzipen von Jugendarbeit handelt, in den gemeinsamen Runden mit politisch Verantwortlichen von nationaler, regionaler und örtlicher Ebene wurde ein nicht zu unterschätzender Konsens zwischen der Fach- und Politikebene hergestellt. Kein Wunder, dass der Begriff, den die niederländischen Kollegen eingebracht hatten – „positive Jugendpolitik“ – zu einem der Schlüsselwörter der Konferenz wurde.

Und unstrittig war, dass die Regionen und Kommunen, die in den meisten europäischen Staaten für die konkrete Ausgestaltung von Jugendpolitik, Jugendhilfe und Jugendarbeit zuständig sind, bei einer Neuausrichtung der Jugendpolitik durch die europäische und die staatliche Ebene aktiv eingebunden werden müssen. 

Keine Patentlösungen, aber Einigkeit in der Sache

Natürlich wurden keine Patentlösungen präsentiert. Das war auch nicht das Ziel dieses multilateralen Austauschs. So sind Modelle einer ebenen- und ressortübergreifenden Zusammenarbeit stark abhängig von den vorhandenen rechtlichen und organisatorischen Bedingungen, von den Strukturen und Akteuren in den einzelnen Ländern. Aber in allen Ländern ist das Bewusstsein hoch, dass ein gemeinsames Grundverständnis von Jugendpolitik und Jugendhilfe, ein deutlicher politischer Wille, kordierende Stellen und gemeinsame bzw. abgestimmte Maßnahmen notwendig sind.

In allen beteiligten Peer-Ländern sind dafür Ansätze vorhanden: Von der Fortbildung und Beratung für die regionale und örtliche Jugendpolitik und Jugendhilfe, über nationale Arbeitsgruppen bis hin zu Gesetzesinitiativen mit weitreichenden Strukturreformen sind deutliche Entwicklungen auszumachen. Man war sich einig, dass eine sektorübergreifende Zusammenarbeit nur auf der Grundlage von klaren Zielen, klaren Profilen der Beteiligten, klaren Verantwortlichkeiten und der Beteiligung der Jugendlichen funktioniert.

Ähnliches gilt nach Meinung der Teilnehmenden auch für die Implementierung europäischer und nationaler jugendpolitischer Strategien. Voraussetzung dafür sei ein ‚magisches Viereck‘, in dem Forschung, Politik, Praxis und Jugendliche gemeinsam agieren. Eine „positive Jugendpolitik“, da war man sich einig, müsse kooperativ, aktiv und inklusiv sein.

Weiter in Rotterdam und Prag

Selbst die für einige Teilnehmer enttäuschenden Ergebnisse der Fußball-Europameisterschaft konnten die Laune nicht mindern: Große Zufriedenheit mit den beiden Seminartagen, aber auch große Erwartungen an den Fortgang des Austauschs im Oktober auf dem 2. Peer Learning Seminar in Rotterdam und dann im Frühjahr 2013 in Prag kamen in der Schlussrunde zum Ausdruck. So müsse es weitergehen, hieß es, der Dialog zwischen Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Ebenen müsse gefördert werden – beim nächsten Mal mit mehr Jugendlichen.

Der europäische translokale Austausch und das europäische Peer-Learning sei eine inspirierende Strategie zur Weiterentwicklung der nationalen und kommunalen Jugendpolitik in den beteiligten Ländern. Insgesamt habe das Seminar einen großen europäischen Stellenwert, da in bisher einmaliger Art durch das Format der multilateralen Kooperationsprojekte ein dauerhaftes und nachhaltiges Peer Learning auf europäischer Ebene angestoßen worden sei.

Michal Urban, der erfreut war, dass auch Länder wie Litauen und die Tschechische Republik zum Peer-Learning-Prozess beitragen konnten, ist optimistisch: „In zwei Jahren“, so meinte er, „wenn wir auf den Peer-Learning-Prozess zurückblicken, werden wir hoffentlich feststellen, dass wir alle voneinander gelernt haben und gute Ideen in den Ländern implementiert wurden.“

(Quelle: JUGEND für Europa - www.jugendpolitikineuropa.de)

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